Hoffnungsschimmer Intranet

Datenfunk versinkt in der Bedeutungslosigkeit

10.11.1998
MÜNCHEN (jha) - Die mobile Datenkommunikation fristet nach wie vor ein Mauerblümchen-Dasein. Während die Betreiber von Handy-Netzen stetig stolze Zuwachsraten vermelden können, bleiben die mobilen Datendienste links liegen. Den Anbietern fehlt die zündende Idee, eine "Killerapplikation", so die Marktforscher der International Data Corp. (IDC).

Standards, Frequenzen und Bandbreite interessieren Handy-Besitzer herzlich wenig. Technische Kriterien, die die Kaufentscheidung beeinflussen, finden sich allenfalls in dem Dreieck Sprachqualität, Reichweite und Batteriekapazität wieder. "Je schneller die Minutenpreise im TK-Markt fallen, desto mehr müssen sich die Telcos neue Dienstleistungen und Marktsegmente erschließen", meint Ian Gillot, Vice-President des Marktforschungsinstituts IDC, und fügt hinzu: "In Europa haben sich die Preise im Mobilfunk im letzten Jahr halbiert."

Doch eine schlüssige Antwort auf die Frage, wie sich die Betreiber der Handy-Netze über die reine Sprachkommunikation hinaus Erfolg verschaffen können, indem sie ihre Infrastruktur um Datendienste erweitern, bleibt auch der IDC-Manager schuldig.

Leise Hoffnungen wecken lediglich drahtlose Internet-Applikationen für professionelle Anwender. Dazu zählen etwa der E-Mail-Versand und -Empfang via Handy sowie Dienste, die selbsttätig aus dem Internet aktuelle Informationen etwa über Konkurrenten abgreifen und an das Mobilfunkgerät versenden.

Mit diesen Angeboten könnten die Handy-Netz-Betreiber mit ihren mobilen Datenkommunikations-Optionen am Wachtsum der unternehmensweiten Intranet-Installationen etwas teilhaben. Die Schattenseite dieser Entwicklung zeigt jedoch, daß die polulären GSM-Dienste mit zusätzlichen Datenfunkangeboten allen anderen Formen der mobilen Kommunikation den Garaus machen. Das belegt auch eine Umfrage der COMPUTERWOCHE über die Auswirkungen der Liberalisierung im TK-Markt, derzufolge deutsche Anwender derzeit die Datenfunkoptionen der Anbieter nur minimal nutzen (siehe Grafik).

In dieses Bild passen auch die Schwierigkeiten der Datenfunknetze Mobitex und Modacom. Schon im Herbst 1996, nach weniger als zwei Jahren operativen Betriebs, mußte die Gesellschaft für Datenfunk (GFD) mit ihrem Mobitex-Dienst mangels Nachfrage die Segel streichen. Damals hieß es, in Deutschland sei kein Platz für ein zweites Datenfunknetz. Doch offensichtlich reicht die Kundenkapazität nicht einmal für eine Infrastruktur zur mobilen Datenübertragung: Die Deutsche Telekom AG kündigte bereits das Ende ihrer Modacom-Installation an (siehe CW Nr. 41/98, Seite 35: "Modacoms Ende ist besiegelt"). "Der reine Datenfunk in Deutschland ist nicht mehr konkurrenzfähig, weil GSM-Dienste bezüglich Preis und Leistungsdaten wesentlich attraktiver und auch populärer sind", erklärt Detlef Klostermann, Geschäftsführer der Funkconsult GmbH in Senden.

Als ein weiteres Sorgenkind der Deutschen Telekom gilt das Bündelfunkangebot.

In einer Pressekonferenz deutete Kai-Uwe Ricke, Vorsitzende der Geschäftsführung bei T-Mobil, kürzlich an, der Carrier erwäge, Mobilfunk-Dienste auslaufen zu lassen, die dem Konzern keinen Gewinn bringen. Man wolle sich mit ganzer Kraft auf die Spitzenposition im GSM-Markt konzentrieren. Im Klartext heißt das: Neben Datacom könnte es den Bündelfunkdienst "Chekker" treffen, der zunächst einmal in eine separate Beteiligungsgesellschaft ausgegliedert werden soll .

Bündelfunk ist allerdings nicht gleich Datenfunk. Für die nur regional operierenden Bündelfunkinstallationen entscheiden sich Anwender trotz Datenfunkoptionen überwiegend wegen der Sprachkommunikation. Doch zeigt sich in diesem Geschäft, das fast ausschließlich von professionellen Anwendern beherrscht wird, ein dem Marktgeschehen gegenläufiger Trend. Nutzten vor einem Jahr rund zehn Prozent der Bündelfunkkunden die Netze sowohl zur Sprachübertragung als auch zur Datenkommunikation, sind es heute bereits 18 Prozent.

Allerdings ist die Datenkommunikation nach wie vor keine Triebfeder für die Entwicklung des Bündelfunkmarktes. Neue Kunden interessieren sich zunächst für die Sprachübertragung, die im Vergleich zu den GSM-basierten Handy-Netzen wesentlich günstiger ist. So schielen die Anbieter insbesondere auf die rund 1,2 Millionen Betriebsfunkanwender, die via Äther miteinander sprechen. Auch die potentielle Kundschaft in Behörden, nach Angaben von Peter Steding, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Marktentwicklung öffentlicher Bündelfunk (AGMB), etwa 450000 Personen, dürfte sich zunächst auf die Sprachübertragung stürzen.

Dabei bieten Bündelfunkinstallationen auch interessante Möglichkeiten, wenn sie zur Übermittlung von Daten eingesetzt werden. So lassen sich etwa Zählerabfragen oder Meßdaten via Funknetz an eine Zentrale übermitteln. In Frankfurt läuft darüber hinaus ein Projekt, in dem Parkuhren an ein Bündelfunknetz angeschlossen werden. Der Autofahrer zahlt per Chipkarte, die Daten werden dann zur zuständigen Behörde transferiert.

Datenfunk bietet wenig Bandbreite

Das sind aber Nischenmärkte, die noch keinen Trend zur stärkeren Auslastung der Netze durch die Datenkommunikation erkennen lassen. Nur wenn es um die Vermittlung geringer Daten- mengen geht, scheinen die drahtlosen Dienste konkurrenzfähig zu sein. Das liegt vor allem an den mageren Datenübertragungsraten. Im Zeitalter der Excel-Sheets und überladenen Winword-Dateien bieten Transferraten von maximal 9,6 Kbit/s in GSM-, Datenfunk- und Bündelfunknetz keine Leitungsmerkmale, die Anwender hinter dem Ofen hervorlocken.

Abhilfe könnten neue Standards bringen, die sowohl im Handy-Netz wie beim Bündelfunk bevorstehen. Das auf GSM folgende Standard Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) wird jedoch erst im Jahr 2002 eingeführt und dann Transferraten von bis zu 2 Mbit/s unterstützen. Im Bündelfunkmarkt scheint sich zumindest in Deutschland die Norm Tetra (Trans European Trunked Radio Access) durchzusetzen, die digitale Installationen mit einer Bandbreite von 33 Kbit/s vorsieht. Die heute verwendeten analogen Verfahren erreichen maximal 2,4 Kbit/s.

Etwas fortschrittlicher ist die Situation im lokalen Umfeld. Dort verabschiedete das Institute of Electrical and Electronical Engineers (IEEE) bereits Mitte dieses Jahres den Funk-LAN-Standard 802.11, der eine Transferrate von bis zu 2 Mbit/s vorsieht. Die Normierung beflügelte den Markt. Mehr und mehr Anwender lassen sich laut Klostermann mittlerweile davon überzeugen, sich entsprechende Netze ins Haus zu holen. Obwohl die Formulierung des Standards einigen Kritikern zufolge recht "schwammig" ausgefallen ist, können mit etwas Anpassungsaufwand Installationen erstellt werden, die aus Komponenten verschiedener Anbieter bestehen.

Zur Anwendung kommen die Verfahren häufig im Lagerwesen, wo Mitarbeiter eingehende und angelieferte Waren per drahtlose Barcode-Scanner erfassen.

Die Installation vermittelt die Daten unmittelbar an den Host, wo sie der Disposition sofort zur Verfügung stehen. Im Büroumfeld sind dort Einsatzmöglichkeiten denkbar, wo Mitarbeiter häufig an wechselnden Arbeitsplätzen beschäftigt sind.

Eine weitreichendere Installa tion gibt es ab Mitte November in Berlin zu sehen. Dort errichten die örtlichen Verkehrsbetriebe zusammen mit dem Anbieter Soreh Telecommunications GmbH ein drahtloses LAN entlang der U-Bahn-Linie 4. In den Waggons überwacht eine Videokamera den Innenraum und überstellt die Bilder via Äther einer zentralen Leitstelle. Zudem versorgt das System Flachbildschirme in den U-Bahn-Wagen mit Fahrplan-Informationen, Nachrichten und Werbesendungen für die Fahrgäste.

Das Netz arbeitet mit einer Multimedia-fähigen Transferrate von 11 Mbit/s und ist somit nicht IEEE-konform. Die Berliner legen mit ihrer Installation Schwächen des aktuellen Standards offen, der mit seinen 2 Mbit/s selbst im Vergleich mit dem altehrwürdigen Ethernet (10 Mbit/s) deutlich abfällt. Dennoch meint Klostermann, der in jüngster Zeit einige Projekte an deutschen Flughäfen zur drahtlosen Kommunikation verantwortete: "Durch den IEEE-Standard ist die mobile Kommunikation im lokalen Umfeld kein Nischenmarkt mehr."

Die Beispiele zeigen, daß nur im professionellen Anwendungsbereich Wachstumschancen für den mobilen Datenfunk bestehen. Das verbraucherorientierte Geschäft sucht nach wie vor nach der von IDC angemahnten Killerapplikation. Solange die nicht gefunden wird, können die Anbieter nur hoffen, daß von professionellen Anwendern Impulse auf den Markt ausgehen, die sich auf das Consumer-Geschäft übertragen.

Tetra versus Tetrapol

In Europa gibt es die zwei konkurrierenden Verfahren Tetra und Tetrapol, die für die Digitalisierung des Bündelfunks vorgesehen sind. In einem mühsamen Normierungsprozeß einigte sich das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) auf das Verfahren Trans European Trunked Radio (Tetra). In Deutschland haben sich einige Bündelfunkbetreiber für den Tetra-Standard entschieden, der zudem den Rückhalt von rund 60 IT- und TK-Anbietern hat. Nicht unwesentlich ist ein Beschluß der Europäischen Union, die im Rahmen des Schengener Abkommens den Behörden mit Sicherheitsaufgaben die Nutzung von Tetra nahelegt, um grenzüberschreitende Kommunikation zwischen den Amtsstuben zu gewährleisten.

Doch die Tetra-Front bröckelt. In Deutschland betreiben Unternehmen wie Audi, BMW, die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sowie der Frankfurter Flughafen Tetrapol-Installationen. Das Verfahren wurde von der französischen Matra-Gruppe entwickelt und der ETSI nicht zur Normierung vorgelegt. Weil die langwierige Standardisierung umgangen wurde, konnte Matra die Technik schneller umsetzen und ausgereifte Produkte präsentieren.

Zudem scheren die französischen Behörden aus. Sie ignorierten die Empfehlung der EU, den Tetra-Standard zur grenzüberschreitenden Kommunikation einzusetzen. Sie nutzen in den Ballungsräumen bereits Tetrapol-Installationen und wollen in den nächsten Jahren das Netz flächendeckend einführen.