Psychologisches, organisatorisches und planerisches Umdenken erforderlich:

Datenbank muß sich zum strategischen Instrument entwickeln

14.05.1982

In Personalanzeigen für EDV-Mitarbeiter wird oft mit der neuesten Technologie aus Hardware und Software geworben. "Wir arbeiten mit dem Datenbanksystem XY", heißt es da leichtfertig. Dabei wären Formulierungen wie "Wir kämpfen verzweifelt gegen das Datenbanksystem XY". oder "Wir haben XY zur Zugriffsmethode degradiert" eher angebracht. In dem Artikel von Helga Ude und Rainer Haferkorn* wird das Verhalten der unterschiedlichen DBMS-Anwender untersucht, um daraus eine Strategie für den erfolgreichen Einsatz eines DBMS abzuleiten.

Der Vertrag zum Einsatz eines DBMS bedeutet vordergründig Lieferung von Software gegen Entrichtung von Miet- und Kaufpreis. Die Bindung der Anwender an ein DBMS spielt sich jedoch auf einer ganz anderen Ebene ab. Sie liegt darin, dem DBMS mit seinen hervorragenden technologischen Möglichkeiten auf der Verhaltensseite entgegenzukommen, um die Vorteile von auskosten und somit eine hohe Rendite auf die Investion erzielen zu können.

Eine zentrale Ablage von Daten zu haben, bedeutet eine schwierige Gratwanderung zwischen Vollständigkeit und Redundanz von Daten. Bei der bisher üblichen Vorgehensweise, eine Anwendung nach der anderen zu erstellen, tauchte bei leicht zu erbringenden Daten das Redundanzproblem sehr früh auf, bei schwer bereitzustellenden Daten - besonders im Sinne von Managementinformationen - das Problem der Vollständigkeit der Daten. Um beide Probleme lösen zu können muß Antwort auf die Frage gefunden werden, welches eigentlich die Daten eines Unternehmens sind und welche davon in einer zentralen Ablage abgebildet werden sollen.

Antwort auf diese Frage gibt eine umfangreiche Analyse der Datenstrukturen. Dabei zeigt sich immer wieder, daß ein Unternehmen zwei Klassen von Strukturen besitzt: die Strukturen des eigentlichen Aufgabengebietes (Bank, Handel, Fertigung) und die Strukturen, die sich aus der Organisationsform ergeben (Hierarchie, Matrixorganisation). Die Organisationsstrukturen werden unter anderem von Einflußgrößen wie Volkswirtschaft, Politik, funktionale Zuständigkeit, Rechtsform und Managementstil geprägt und sind deshalb äußerst dynamisch. Diese Strukturen in einer Datenbank zu reflektieren hieße, sich permanentem Wandel zu unterziehen.

Mit Analyse aufdecken

Die Arbeitsstrukturen dagegen sind statisch. Ein Handelshaus wird unabhängig von seiner Organisation, immer mit Kunden, Artikeln und Lieferanten zu tun haben, solange es Handelshaus bleibt. Wie es seinen Handel abwickelt, ist eine Frage der Funktionen und gehört deshalb in einen späteren Schritt, die Verarbeitung. Während Organisationsstrukturen sich oft als hierarchisch darstellen und somit zukünftige Flexibilität bereits einschränken, zeigen sich die Arbeitsstrukturen meist als differenzierte Netzwerke. Diese Netzwerke mit Datenstrukturanalyse (DSA) aufzudecken und festzuhalten, heißt, sich die Erkenntnisbasis dafür zu schaffen; wie man die verschiedenen abzuwickelnden Aufgaben eines Unternehmens effizient und kostengünstig auf die sich ständig wandelnde Organisationsform verteilen kann.

Aus Sicht des DBMS wird hier bereits ein erster sinnvoller Aufgabenblock definiert, nämlich das Erfassen, logische Prüfen und Ablegen von unternehmensweit essentiellen Daten. Setzen wir an dieser Stelle wohlwollend ein gut arbeitendes Data-Entry-System als gegeben voraus (was durchaus nicht bei allen DBMS-Lieferanten verfügbar ist), so zeigen sich bereits erste Anforderungen an den Benutzer.

Planerisches Umdenken

Wurden bei anwendungsorientierter Vorgehensweise in Abteilungsgrenzen ( = Organisationsstruktur) nur die Daten beim DBMS abgeliefert, die von der Abteilung auch später wieder abgerufen wurden, so war das kurzfristig billiger und somit der Weg des geringsten Widerstandes. Eine zentrale Ablage mit Daten zu versorgen und dabei insgesamt den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, bedeutet, daß derjenige die Daten abliefert, der sie mit dem kleinsten Aufwand bereitstellen kann; die Frage nach der Nutzung der bereitgestellten Daten sollte hierbei unerheblich sein. Diese Vorgehensweise impliziert psychologisches, organisatorisches und planerisches Umdenken. Einsatz und Pflege einer Datenbank sind somit nicht mehr nur der DV-Abteilung zu überantworten, sondern zum strategischen Instrument eines Unternehmens über Profit-Center-Grenzen hinaus geworden.

Informationsbank

Bisher wurde nur von Daten gesprochen. Sie bilden Rohmaterial aus dem Informationen gewonnen werden. Im Vorfeld der Datenbankrealisierung fließen hier Arbeitsergebnisse aus Datenstrukturanalyse (DSA) und Funktionsanalyse (SADT) zusammen und bieten mit dokumentierten Datenmodellen und Aktivitätenmodellen die Erkenntnisgrundlage für die Umsetzung in die zweite Hauptaufgabe des DBMS: die Verarbeitung. In dieser Stufe finden sich die meisten der so oft untersuchten technischen Features wieder - wie Zugriffsschutz bei konkurrierendem Zugriff, Wiederanlauf, Datensicherung, Datenintegrität. Man kann davon ausgehen, daß fast alle gängigen DBMS des Marktes diese Anforderungen erfüllen und sollte deshalb diese Funktionen allein nicht überbewerten. Großangelegte Nutzwertanalysen in dieser Richtung sind wie das berühmte Kanonenschießen auf Spatzen. Die Verantwortung für eine effiziente Verarbeitung der Daten zu Informationen liegt sinnvollerweise bei den Fachleuten der DV-Abteilung, die sich je nach DBMS der Datenbank-Administration mehr oder weniger umfangreich zu widmen hat. Das Ergebnis der Verarbeitung ist die zentrale Ablage von Informationen, die man von nun an Informationsbank nennen dürfte.

Teuere Fehler bei der Ausgabe

Wir sind beim dritten und entscheidenden Aufgabengebiet eines DBMS angelangt, der Ausgabe von Informationen an seine Benutzer. Und genau an dieser Stelle werden heute noch immer die teuersten Fehler begangen. Die Phantasie der Benutzer durch Kombinationen von Sortierung, Auswahl, Aufbereitung und Verdichtungsstufen immer neue Berichte zu fordern, ist grenzlos, aber auch berechtigt im Sinne eines Informations-Systems. Aus den ungefähr 500 bis 1000 Datenelementen, die sich aus den Arbeitstrukturen der Eingabe ergeben, lassen sich rund 10(1000) (in Worten zehn hoch tausend) verschiedene Reports und Abfragen erzeugen. Die Servicefunktion einer EDV-Abteilung wäre total falsch verstanden und nicht praktizierbar, wollte man jeder realen Anforderung nach Information programmierenderweise nachkommen. Der Service muß darin bestehen, die Informationsbank so aufzubereiten, daß der Benutzer selbst daraus schöpfen kann. Anwenderorientierte Werkzeuge wie Reportgeneratoren oder Abfragesprachen seitens der DBMS-Anbieter sind dazu unabdingbar. Gleichermaßen wichtig aber ist das Zusammenspiel aller an einem Management-Informations-System beteiligten Anwender.

Analytiker und Organisatoren sorgen dafür, daß bis zum Ende der Verarbeitung die Datenbank von Organisationsstrukturen frei bleibt und sich nur mit Arbeitsstrukturen beschäftigt. Die Datenadministration erhält die Kontrolle über Vollständigkeit und Redundanzfreiheit. Die Beschaffung einwandfreier Daten obliegt den Fachabteilungen. Programmierung und Verarbeitung bleiben in der DV-Administration mit dem Ziel, eine von technischen Strukturen und Navigationslogik möglichst freie Informationsbank bereitzustellen, aus der sich die Endbenutzer mit entsprechenden Mitteln bedienen.

Aus solcher Vorgehensweise betrachtet gewinnen Forderungen, wie man sie bisher an ein DBMS gestellt hat, einen neuen Sinn und kehren als Forderungen an die Anwender des DBMS zurück. Begriffe wie Redundanzfreiheit, Datenintegrität, Vollständigkeit oder Möglichkeiten der Strukturdarstellung regen dazu an, erneut überdacht zu werden. Gleichzeitig werden sich Ergebnisse von Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen positiver darstellen, wenn man in dieser Weise "mit" einem Datenbanksystem arbeitet.

Zum Abschluß ein kleiner Hinweis. In einem südeuropäischen Land verbringt man unter Freunden die Abende in Gasthäusern traditionsgemäß so: jeder legt entsprechend seinen Möglichkeiten Geld auf den Tisch, der Wirt serviert und gemeinsam wird geschwelgt. Und das schon lange, bevor es Datenbanken gab.

*Helga Ude und Rainer Haferkorn sind Dozenten der SCS Akademie