Der Informationsbedarf im Einzelhandel:

Daten dort verarbeiten, wo sie benötigt werden

22.05.1987

Trends und Forderungen bei der Entwicklung eines neuen richtungsweisenden Konzeptes für die Informationsverarbeitung im Einzelhandel formuliert Manfred Wallner*. Nur wer Informationen schnell austauschen kann. gewinnt entscheidende Vorteile gegenüber dem Mitbewerb.

Der deutsche Einzelhandel hat sich mit seinen rund 360 000 selbständigen Unternehmen und einem jährlichen Gesamtumsatz von gut 400 Milliarden Mark in den letzten 30 Jahren zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig entwickelt. Seine Effizienz und Produktivität, seine Angebotskultur und Mannigfaltigkeit sichern ihm einen festen Platz in der Weltspitze.

Mitbestimmend für diese sehr erfolgreiche Entwicklung waren:

- die Einführung des Selbstbedienungs-Konzeptes in den fünfziger Jahren

- die rasche Verbreitung des Discountprinzips und der Filialisierung in den 60er Jahren

- der Wegfall von Preisbindung in den 70er Jahren

- die starke Expansion von Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern in den 80er Jahren.

Es liegt aber auf der Hand, daß die aufgezeigten Erfolgskomponenten - Selbstbedienung, Discountpreise und Filialisierung - gleichzeitig auch neue Konzepte und Techniken der Informationsverarbeitung im Einzelhandel notwendig machen.

Der Einzelhandel hat bereits heute mit einer Reihe von Gegebenheiten zu kämpfen, die neue Anforderungen an den Einsatz der Informationstechniken stellen. Nahezu 50 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes werden heute von nur einem Prozent der Unternehmen realisiert. Berichte über weitere Konzentrationserscheinungen durch Unternehmensfusionen, Aufkäufe und Geschäftsaufgaben sind an der Tagesordnung. In vielen Branchen stagniert die Konsumentennachfrage, in anderen Bereichen ist das Wachstumspotential deutlich geringer als noch vor fünf Jahren.

Seit 1955 ist auf allen Ebenen die Tendenz zu beobachten die Sortimente sowohl in der Breite als auch in der Tiefe zu vergrößern. Mit der Einführung der Selbstbedienung wurde es möglich, die vorhandenen Verkaufsflächen intensiver zu nutzen. Das Vordringen der Massenverteiler führte darüber hinaus zu einem zusätzlichen Angebot insbesondere in der Billigpreis-Sparte, so daß Angebot und Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen tendenziell weiter auseinanderdriften.

Ein zunehmend härterer Wettbewerb, geringere Spannen und höhere Kosten, größere Sortimente und ein kontinuierlich um sich greifender Konzentrationsprozeß stellen also immer extremere Anforderungen an ein innovatives informationstechnisches Instrumentarium. Die unternehmerischen Ziele lassen sich nämlich nur noch dann erfolgreich realisieren, wenn effiziente Entscheidungshilfen zur Verfügung stehen. Dies setzt exakte, umfassende, zeitgenaue und kostengünstige Informationen über die eingesetzten Vermögenswerte zwingend voraus.

Gefahr droht auch, wenn das Geschäft läuft

Unter Vermögenswerten sind in diesem Zusammenhang die klassichen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital zu verstehen. Den Faktor Boden wollen wir bei unserer Betrachtung jedoch außer acht lassen und uns insbesondere auf Arbeit und Kapital konzentrieren.

Was das Kapital betrifft, so kommt den Waren als Bestandteil des Umlaufvermögens eine besondere Bedeutung zu. Hier muß als erstes die Sortimentgestaltung und -pflege angesprochen werden. Eine ungeschickte Auswahl, eine "falsche

Preisgestaltung, eine verspätete Reaktion auf das sich ändernde Verbraucherverhalten, all dies kann leicht dazu führen, daß der Kaufmann auf seiner Ware "sitzenbleibt".

Umsatzziele können nicht realisiert werden, Kapital wird unnötig gebunden, Verkaufs- und Lagerflächen werden blockiert, die Kosten schnellen in die Höhe, die Rentabilität sinkt gefährlich, der Kollaps zeichnet sich ab!

Gefahr droht aber selbst dann, wenn das Geschäft läuft. Aktive Artikel müssen rechtzeitig erkannt Nachbestellungen zum optimalen Zeitpunkt ausgelöst werden, Preis-Elastizitäten sind zu nutzen, um die Effizienz des Unternehmens zu erhalten und womöglich zu steigern. Gewinnspannen müssen regelmäßig überprüft werden, denn zwischen dem Soll der Eingangskalkulation und den tatsächlichen (Ist-)Ergebnissen liegen nicht selten Welten.

Die Situation ist besonders dann brisant, wenn in einer Artikelgruppe überproportional viele knapp kalkulierte Sonderposten zum Umsatz beitragen sollen oder wenn der Einkauf "schief lag" und hohe Preisabschriften gewährt werden müssen, um die Ware aus den Regalen zu bekommen. Hier scheint sich zumindest in der Theorie ein neues Bewertungsverfahren durchzusetzen: das "Direct-Product-Profit"-Konzept. Nicht der reine Rohertrag eines Produktes soll bei der Beurteilung seiner Vorteilhaftigkeit herangezogen werden, sondern der Nettoertrag, das heißt, der produktbezogene Bruttogewinn abzüglich der direkten Kosten.

Ein weiterer Schwerpunkt im Bereich des Waren-Managements, der auf eine besonders intensive informationstechnische Unterstützung angewiesen ist, ist die Waren-Distribution. Die Bestellung, der Wareneingang, die Verteilung beinhalten in aller Regel signifikante Optimierungsreserven, die ausgeschöpft werden müssen, wenn eine höhere Rentabilität erreicht werden soll.

Die Waren-Präsentation ist ebenfalls ein Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Durch eine optimale Gestaltung der Auslagen, eine gezielte Plazierung der Ware sowie ein adäquates Gruppieren einzelner Produkte lassen sich wesentliche Rationalisierungseffekte und Produktivitätssteigerungen erzielen.

Strategische Planung des Arbeitseinsatzes notwendig

Dem Personal-Management kommt gerade im Einzelhandel eine wesentliche Bedeutung zu. Die bereits durchgesetzten oder anstehenden Arbeitszeitverkürzungen machen eine strategische Planung des Arbeitseinsatzes zwingend notwendig. Dies um so mehr, als im Einzelhandel sehr viele Teilzeitkräfte beschäftigt werden. Die Schulung, Aus- und Weiterbildung des Personals ist eine weitere wichtige Erfolgskomponente. Mängel und Fehlleistungen, die zusätzliche Schulungsmaßnahmen erforderlich machen, können nur dann aufgedeckt werden, wenn eine differenzierte Datenbasis mit Kennzahlen über Personalleistungen zur Verfügung steht.

Als Beispiel sei hier nur erwähnt, daß die heutigen Systeme es ohne weiteres zulassen, am Kassenplatz automatisch zu erkennen, wie schnell und fehlerlos Kunden bedient werden. Werden durchschnittliche Leistungskennzahlen unterschritten, so scheint es angebracht, die betreffende Kassiererin in der Bedienung des Systems nachzuschulen. Fassen wir zusammen:

- Das erfolgreiche Managen der Vermögenswerte, der Waren und des Personals, setzt voraus, daß zeitgerechte, genaue und relevante Informationen über die "betriebsinternen" Abläufe und deren Ergebnisse und Konsequenzen auf wirtschaftliche Art und Weise gesammelt, erfaßt und aufbereitet werden.

- Diese Informationsbasis bildet die Grundlage einer rechnergestützten "Entscheidungshilfe", die das Management der Vermögenswerte erleichtern soll.

Wieviel Datenverarbeitung braucht nun der Betrieb? Natürlich läßt sich eine solche Frage nicht abstrakt beantworten. Man wird im konkreten Einzelfall immer die verschiedenen Unternehmensziele sowie die "Umfeldfaktoren" mit in Betracht ziehen müssen. Es gibt jedoch einige Einflußkomponenten allgemeinerer Art. Hierzu zählen unter anderem:

- unterschiedliche Organistionsstrukturen

Filialunternehmen können in ihrer Entscheidungsfindung sehr stark zentral oder dezentral orientiert organisiert sein. Dies wirkt sich dann unter anderem bei der Sortimentsfestlegung, der Preisgestaltung, der Lieferantenauswahl etc. aus.

- unterschiedliche Vertriebsschienen

Hier stellt sich die Frage, welche Informationen aus welchen Unternehmensbereichen, wem wann zur Verfügung stehen müssen, damit der unternehmerische Gesamtprozeß reibungslos ablaufen kann. Wie kann gewährleistet werden, daß alle Daten, Angaben und Informationen vergleichbar sind?

- unterschiedliche Sortimente

Mit der Größe und Breite des Sortiments werden auch die Ansprüche an das Informationssystem vorbestimmt. Wie detailliert sollen die anfallenden Daten aufbereitet werden?

An welcher Stelle soll eine Verdichtung vorgenommen werden? Wie hoch soll der Verdichtungsgrad sein?

- unterschiedliche Qualifikationen der Mitarbeiter

Bei der Entscheidung, wieviel Datenverarbeitung in einem Hause betrieben werden soll, ist die Frage nach der Qualifikation der Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. Unbegründete Technologie- und Schwellenängste führen bei ungenügend oder schlecht vorbereiteten Mitarbeitern nicht selten zu einer generellen Akzeptanzverweigerung. Das beste EDV-Instrumentarium muß unter solchen Umständen versagen.

- unterschiedliche branchenspezifische Mengengerüste

Zur Verdeutlichung der im Einzelhandel zu verzeichnenden Datenexplosion seien hier exemplarisch nur einige Größenordnungen genannt:

- im Textil und Hartwaren-Sektor sind, wenn wir die verschiedenen Farben und Größen nicht berücksichtigen, etwa 100 000 Artikel informationstechnisch zu führen

- im Großgeräte- und Möbelbereich finden wir rund 20 000 Artikel

- die Buch- und Tonsparte liegt mit über 200 000 Posten an der Spitze - allein das Lebensmittel-Sortiment eines größeren Super- beziehungsweise Verbrauchermarktes umfaßt rund 10 000 Artikel.

Ungeachtet der oben zitierten allgemeinen Einflußkomponenten gilt es, zwei besondere Regeln zu beachten: Daten sind dort zu erfassen, wo sie anfallen und dort zu verarbeiten wo sie benötigt werden!

Transaktionsorientierte und interaktive DV

Generell unterscheiden wir zwischen transaktionsorientierter und interaktiver Datenverarbeitung. Typische Anwendungsbeispiele für die Transaktionsverarbeitung sind im POS-Bereich, im Bankenbereich und bei Kreditunternehmen zu finden. Die interaktive Datenverarbeitung ist dagegen durch einen bildschirmgesteuerten Dialog zwischen Anwender und Maschine gekennzeichnet. Klassiche Beispiele beim Einzelhandel sind hier die Wareneingangserfassung, die Zeitabrechnung, die Stammdatenpflege sowie unterschiedliche Ergebnisabfragen.

Die transaktionsorientierte Datenverarbeitung zeichnet sich durch folgende Merkmale und Anforderungen aus:

- hoher Datendurchsatz

- prioritätsgesteuerte Verarbeitung

- zufallsverteilter Datenanfall

- geringe (minimale) Antwortzeiten

Bei der interaktiven Verarbeitung gewinnt der einzelne Anwender den Eindruck, die gesamte Maschine stünde ihm allein zur Verfügung. Da die manuelle Eingabe der Daten keine schnelle Reaktion des Systems erfordert, ist es dem Rechner nämlich möglich, viele verschiedene Anwender mit vielen verschiedenen Anwendungen alternativ zu bedienen.

Um beide Typen, die transaktionsorientierte und die interaktive Datenverarbeitung, miteinander zu verbinden, sind heute drei Lösungswege möglich:

- ein "Einrechner"-System

- ein "Dualrechner"-System

- autonome Subsysteme mit einem übergeordneten Rechner

Im ersten Fall laufen transaktionsorientierte und interaktive Verarbeitung auf einem Rechner. Hardware und Betriebssystem müssen in der Lage sein, sowohl die angeschlossenen POS-Systeme als auch einen oder mehrere Bildschirme für sogenannte Back-Office-Applikationen zu unterstützen. Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, daß nur ein Rechner benötigt wird. Das Betriebssystem ist in der Regel auf die POS-Anwendung hin optimiert, die Bildschirm-Antwortzeiten werden daher bei starkem Datenanfall sehr leicht kritisch. Der Hauptnachteil besteht allerdings in einer schlechten Verteilung der Investitionskosten sowie in

der Forderung nach Hardwareredundanz, wenn ein Ausfallschutz zu gewährleisten ist.

Beim Zwer-Rechner-Konzept werden beide Anwendungen je einem Computer zugeordnet. Beide Systeme stehen in permanenter Kommunikation, so daß gesichert ist, daß bei Ausfall eines Systems die Last auf den anderen Rechner übertragen werden kann. Der Vorteil einer solchen Lösung ist offensichtlich. Durch die dedizierte Aufgabenstellung kann jede Konfiguration optimiert werden. Dennoch ist auch dieses Konzept nicht ohne Probleme. Die Synchronisation der Daten zwischen beiden Rechnern ist eine aufwendige und komplexe Angelegenheit.

Die dritte Lösung ist eine Kombination der beiden ersten und beruht auf dem Distributed Data-Processing. Die Transaktionsverarbeitung wird auf eines oder mehrere Subsysteme übertragen, und ein übergeordneter Filialrechner, der die interaktiven Back-Office-Applikationen unterstützt, übernimmt zusätzlich die Steuerung der Subsysteme. Der Vorteil dieser Lösung besteht darin, daß jedes Subsystem einen in sich geschlossenen eigenen Regelkreis bildet. Dies gewährleistet einen hohen Datendurchsatz und einen stufenweisen modularen Ausbau des Gesamtsystems. Besonders attraktiv ist die DDP-Variante jedoch durch die einfache Integration neuer Technologien und vor allem durch die Möglichkeit, Fremdprodukte zu integrieren.

Aus der Sicht von NCR ist der DDP-Ansatz aufgrund seiner Flexibilität seiner Wirtschaftlichkeit sowie seiner modularen Ausbaumöglichkeiten allen anderen Varianten vorzuziehen.

Bei der Entwicklung eines neuen richtungsweisenden Konzeptes für die Informationsverarbeitung in Einzelhandel sind darüber hinaus folgende Trends und Forderungen zu berücksichtigen:

- innovative Systemarchitekturen,

- offene Schnittstellen,

- modulare Ausbaumöglichkeiten,

- Ausfallschutz und Fehlertoleranz,

- Industrie-kompatible Betriebssysteme,

- Datenbank-Orientierung,

- Programmiersprachen der 4. Generation,

- effiziente Datenfernverarbeitung,

- zukunftsweisende Bürokommunikation und

- einfache und Benutzerfreundliche Bedienung.

Gerade in fillial-orientierten Unternehmen aller Branchen ist die Reaktionsgeschwindigkeiten ein wichtiger Faktor. Nur wer Informationen schnell hin- und hertansportierten kann, gewinnt entscheidende Vorteile in der Informationsbearbeitstellung und -auswertung. Systeme mit einem hohen Ausfallschutz stellen beim heutigen Stand der Technologie keine besondere Rarität mehr dar. Sie gewährleisten auch bei Ausfall einer oder mehrerer Komponenten einen störungsfreien Weiterbetrieb des Gesamtsystems.

Bei aller Technikfreunde sollten wir einen Aspekt jedoch nicht vergessen: Je einfacher die Systeme zu bedienen sind, desto größer ist ihre Akzeptanz beim Anwender.

*Manfred Wallner, NCR GmbH, Augusburg