Data-Warehouses befreien nicht von den Muehen der Komplexitaet

06.10.1995

Dr. Hans-Georg Kemper, Akademischer Rat am Lehrstuhl fuer Wirtschaftsinformatik, (Informations-Management) der Universitaet Koeln

Kaum ein anderer Begriff wird in der wirtschaftsinformatischen Diskussion heute schillernder verwendet als der des Data- Warehouse. Executive Information System (EIS), Decision Support System (DSS), Management Information System (MIS) sind - glaubt man den Schlagzeilen der Presse - Schnee von gestern und haben als Konzepte versagt.

"Das Data-Warehouse soll endlich halten, was diese Systeme versprachen", so erfahren wir dort. Von einem "Datenkaufhaus" ist in vielen Beitraegen die Rede, bei dem sich jeder Benutzer auf einfache Art und Weise selbst bedienen kann. Der Gedanke ist verlockend, laesst er doch allen Assoziationen freien Lauf.

Informations-Selbstbedienung ueber alle Hierarchieebenen bis zum Topmanagement - das alles mit einem System! Und - glaubt man den Softwarehaeusern - diese Systeme sind bereits erhaeltlich. Zugriffsmoeglichkeiten auf alle Arten von internen operativen Daten, zusaetzlich Einbindungsmoeglichkeiten externer Informationen, konsistente Datenhaltung der dispositiven Informationen und Unterstuetzung anspruchsvoller Benutzer-Schnittstellen werden demzufolge aus einer Hand geliefert und loesen alle Probleme der Management-Unterstuetzung!

Fuer geplagte Projektmitarbeiter waere das ein Segen. Hatten sie es bislang mit einem kaum ueberschaubaren Wust von Abkuerzungen wie ESS, MIS, Olap (Online Analytical Processing), TOP-MIS, EUS und vielen mehr zu tun, werden sie jetzt lediglich mit einem Begriff konfrontiert, fuer den bislang - sehr verwunderlich fuer die Szene - noch nicht einmal eine der sonst so beliebten Dreibuchstabenabkuerzungen existiert. Aber betrachten wir die Problematik naeher: War uns der Blick bislang wirklich so verstellt, dass wir das Wesentliche nicht erkannten und unsere Anstrengungen auf Nebenschauplaetzen vergeudeten? Ich denke nein.

Schon der Blick ins Englisch-Woerterbuch - einigen Autoren durchaus empfohlen - entmystifiziert den Begriff Data-Warehouse. "Lagerhaus, Speicher" findet man hier als Uebersetzung und nicht "Warenhaus", das heisst im Englischen naemlich "department store".

Auch die Definition des Wortschoepfers William Inmon, der das Data- Warehouse als "Datenbanksystem mit subjektorientierten, integrierten, zeitbezogenen und zugleich dauerhaften Informationen" bezeichnet, weist in diese Richtung.

Data-Warehouse-Konzepte nehmen sich demnach schlichtweg der Datenproblematik von Management-unterstuetzenden Systemen an. Und hier besteht in der Tat Handlungsbedarf. Neuere Studien belegen, dass die Qualitaet, die Integritaet und die Konsistenz des zugrundeliegenden Datenmaterials einer der kritischen Faktoren fuer den Erfolg von Informationssystemen darstellt. Allerdings sind einschlaegige Schwierigkeiten in aller Regel nicht primaer technischer Natur. Vielmehr stellen sie betriebswirtschaftliche Herausforderungen dar.

Die operativen DV-Systeme generieren in aller Regel Daten, die zweckbezogen auf die Erfuellung konkreter Aufgabenstellungen ausgerichtet sind. Diese Daten sind meist voellig ungeeignet fuer die Management-Unterstuetzung, da sie begrifflich unterschiedlich untergliedert werden, differenzierte Periodizitaeten aufweisen und sich meist in aufgabenspezifischen Aggregationszustaenden befinden. Die Hauptaufgabe bei dem Aufbau eines Data-Warehouse ist demnach eher konzeptionell ausgerichtet und verlangt den Unternehmen den erfolgreichen Umgang mit einer betraechtlichen Komplexitaet ab.

Fragen der Organisationsgestaltung und der semantischen - also begriffsbildenden - Modellierung mit all ihren soziologischen Facetten der Motivation, Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft stehen hier viel eher im Vordergrund als die technischen Moeglichkeiten eines direkten Datendurchgriffs oder die Verwaltung der Informationen mit Hilfe von Metadaten.

Es ist keine Frage, dass erfolgreiche Systeme zur Management- Unterstuetzung vollstaendig in die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur eines Unternehmens eingebunden werden muessen. Das Konzept des Data- Warehouse ist auf diesem Weg sicherlich der richtige Ansatz. Die heutige Diskussion um diese Problematik ist jedoch haeufig zu techniklastig und verstellt nicht selten die Sicht auf die wirklichen Probleme der Harmonisierung betriebswirtschaftlicher Kenngroessen und der Gestaltung der Benutzer-Schnittstellen und Funktionalitaeten fuer den Anwenderkreis, der sich ja aeusserst heterogen aus obersten Fuehrungskraeften, Entscheidungsvorbereitern und Managern mittlerer Hierarchieebenen rekrutieren soll.