Data-Highway: Deutschlands Rueckstand betraegt zwei Jahre Andreas von Bechtolsheim ist vom Online-Geschaeft ueberzeugt

30.06.1995

BONN (CW) - Am 15. Mai 1995 traf sich der Technologierat der Bundesregierung im Bonner Kanzleramt, um ueber die "Informationsgesellschaft in Deutschland" zu reden. Zu den prominenten Teilnehmern aus der Industrie zaehlte Andreas von Bechtolsheim, der 1982 im Silicon Valley zusammen mit Scott McNealy und Vinod Khosla Sun Microsystems gruendete. Seine Ansichten zu den Themen Information-Highway, Internet und Video on demand erfragte fuer die CW der freie Journalist Helmuth Thronicker aus Frankfurt am Main.

"Auffaellig", so von Bechtolsheim zum Standort Deutschland, "ist die Vorgehensweise bei der Nutzung neuer Informations- und Kommunikationsmoeglichkeiten. In den USA wurde das Internet zunaechst etabliert, in zweiter Linie kamen dann Regeln und Vorschriften auf. Hier in Deutschland ist es umgekehrt, zuerst ueberlegt man, was eventuell erlaubt sein soll, dann wird dem Anwender die Nutzung gestattet."

Vertrauen in den muendigen Buerger

Von Bechtolsheim bestreitet dabei nicht, dass der kommerzielle Einsatz von Online-Systemen wie Compuserve und Internet auch Probleme aufwirft: "Sicherheit und Datenschutz muessen verbessert werden. Es ist aber sehr schwierig, die schnelle technische Entwicklung vorab zu reglementieren. Ausserdem wird diese im wesentlichen von amerikanischen Unternehmen vorangetrieben, das verringert die Einflussmoeglichkeiten noch weiter."

Im uebrigen vertraut der Sun-Gruender mehr auf den muendigen Buerger als auf eine wie auch immer geartete Administration. "Heute herrschen im Internet immer noch Zustaende fast wie im Wilden Westen - aber das weiss der Benutzer, und er kann sich darauf einstellen. Ein Beispiel: Wenn bei uns in Kalifornien jemand einen Job braucht, wird er dies ganz sicher im Internet bekanntmachen, einschliesslich seines beruflichen und persoenlichen Backgrounds. Es liegt ja an ihm, wie weit er mit seiner Selbstdarstellung gehen will. Die Vorteile eines solchen Vorgehens ueberwiegen nach meiner Meinung eindeutig ueber die Nachteile."

Die Diskussion im Kanzleramt bezeichnete der Sun-Boss als offen und auf hohem Niveau. Drei Arbeitsgruppen wurden bei dem Treffen gebildet, die bis nach der politischen Sommerpause eine Kabinettsvorlage vorbereiten sollen. Von Bechtolsheim wird an den Sitzungen einer Gruppe via Information-Highway "elektronisch" teilnehmen und zur Abschlussdiskussion wieder in Deutschland erscheinen.

Er ist davon ueberzeugt, "dass die moderne Informationsgesellschaft in jedem Fall kommt - also sollten wir das Beste daraus machen". Zum Stand der Dinge in Deutschland befragt, meinte er: "Eine den USA entsprechende Infrastruktur und einen Massenzugang von Benutzern sehe ich in Deutschland noch nicht. Ich schaetze den Rueckstand auf etwa zwei Jahre ein. Allerdings kann diese Luecke schnell geschlossen werden, Akzeptanz der Anwender, niedrige Kosten und einfach zu nutzende Tools vorausgesetzt. Deutschland sollte den Anschluss an die moderne Informationsgesellschaft nicht verlieren. Mehr Aktivitaeten sind noetig, damit vor 1998 eine entsprechende Basis aufgebaut ist. Hier ist besonders die Telekom gefordert."

Von Bechtolsheim geht von dem aus, was machbar ist, konzentriert sich auf die Nutzung vorhandener und den Aufbau kuenftiger Kommunikationsstrukturen. Aus seiner Erfahrung heraus beurteilt er weitergehende Plaene, die heute diskutiert werden, eher skeptisch: "Video on demand zum Beispiel wird wahrscheinlich fruehestens in fuenf Jahren einsatzbereit sein. Heute fehlt dafuer noch die technische Basis, ausserdem sind die Kosten viel zu hoch."

Das gelte selbst fuer die USA, wo wesentlich mehr Leute viel laenger vor dem Fernsehapparat saessen als in Deutschland. "Es macht ja keinen Sinn, etwa 100 Dollar fuer die Uebermittlung eines Films zu zahlen, den man sich in einer Videothek fuer wenig Geld leihen kann. Das heisst aber nicht, dass man sich nicht intensiv mit Versuchsphasen beschaeftigen soll, fuer Marketing-Anwendungen sehe ich hier zum Beispiel Moeglichkeiten."

Fuer die kommerzielle Nutzung des Internets nennt der Sun-Boss dagegen konkrete Beispiele: "In Palo Alto stellen viele Restaurants ihre Speisekarte in das Internet. Etwa 100 Dollar kostet monatlich eine Seite auf dem Web-Server. Damit sind die Moeglichkeiten besonders fuer kleine Firmen aeusserst guenstig. Gerade diese kleinen Companies spielen in den USA im Internet eine grosse Rolle, weil sie dort auf ihre Produkte aufmerksam machen koennen."

Autokaeufer koennten beispielsweise Testberichte herunterladen, Videosequenzen ansehen, Preislisten und Angebote anfordern und Testfahrten vereinbaren. Auch kulturelle Institutionen oder Verlage haetten die Chance, auf sich aufmerksam zu machen. Fachjournale liest von Bechtolsheim meistens elektronisch. Sein Argument: Sie kommen frueher ueber das Netz und erlauben Lesern die vertiefende Recherche in Verlagsdatenbanken.

Preiswerter Einstieg in das Internet

Zum Thema Postgebuehren befragt, antwortet der DV-Guru: "Natuerlich sind die Gebuehrenstrukturen in den USA und hier in Deutschland unterschiedlich. Der Zugang zum Internet ueber den Ortstarif von 23 Pfennig ist aber sehr preiswert. In den Vereinigten Staaten existiert zusaetzlich eine Einrichtung, die ich den Deutschen auch empfehle: Dort gibt es Network Access Points in San Franzisko, Chikago und New York, zwischen denen konkurrierende Anbieter, beispielsweise Sprint, MCI oder AT&T, die Long-distance-Verbindung uebernehmen. Der Wettbewerb bringt es mit sich, dass heute Enduser fuer 15 bis 20 Dollar monatlich einen unbegrenzten Zugang haben und auch Unternehmen nicht mehr als 1000 Dollar zahlen muessen."

Die geringen Kosten haetten zur grossen Verbreitung des Internets beigetragen. Auf sehr vielen Visitenkarten in den USA finde sich heute schon die E-Mail-Adresse (zum Beispiel: avb