Newcomer in Deutschland: Artnet.com

Das Web soll einen modernen Kunsthandel schaffen

18.06.1999
Von CW-Mitarbeiterin Riem Sarsam FRANKFURT/M. - Der Börsenstart der Hamburger Artnet.com AG vor einigen Wochen verlief unspektakulär, aber positiv. Nun muß der Dienstleister, der mit Hilfe des Internet-Handels die Kunstbranche revolutionieren will, beweisen, daß hinter den Visionen letztlich auch ein funktionierendes Geschäftsmodell steckt.

Der Erwerb von Original-Kunstwerken ist mühsam und erweckt den Anschein eines antiquierten Verfahrens - jedenfalls im Zeichen der Internet-Kommunikation. Um zumindest einen kleinen Überblick über aktuelle Offerten am Kunstmarkt zu erhalten, sind Kunden bislang auf Kataloge der Galerien und Auktionshäuser angewiesen oder müssen regelmäßig Ausstellungen besuchen. Hinzu kommt, daß dem Markt der schönen Künste ein eigener Kostenmechanismus zugrunde liegt, der sowohl mit der Einmaligkeit der Güter als auch mit der subjektiven Frage des guten Geschmacks zusammenhängt. Für Originale gibt es daher nur vage Preisvorgaben, die sich lediglich am Erlös ähnlich geschätzter Kunstobjekte orientieren können.

Auch auf seiten der Galeristen und Auktionäre ist der Handel bislang mit hohem Aufwand verbunden. Die kostspieligen Farbkataloge, die nur eine begrenzte Klientel erreichen, führen ebenso wie aufwendige Präsentationen und Vernissagen, die mit Versicherung und Transport der Wertgegenstände verbunden sind, zu einem überdurchschnittlichen Kapitalbedarf. Dies treibt die Transaktionskosten auf eine Höhe von bis zu 25 Prozent des Kaufpreises.

Hans Neuendorf, Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender der Artnet.com AG, kennt die Kunstbranche seit nunmehr 30 Jahren. Was den ehemaligen Galeristen von Beginn an störte, waren die trägen Mechanismen, die diesen elitären Markt beherrschen. Er hält den traditionellen Verkauf von Originalen für wenig effizient, denn etwa bei Auktionen werden nur 60 bis 65 Prozent der angebotenen Stücke tatsächlich verkauft. "Man muß sich vertrauensvoll an den Kunsthändler wenden oder es lassen. Und viele Leute lassen es", beschreibt der ehemalige Galerist, was ihn zur Gründung von Artnet führte.

Ursprüngliches Ziel des zunächst rein amerikanischen Unternehmens war es, sämtliche Informationen aus dem Kunstgewerbe zu sammeln und potentiellen Käufern sowie Händlern gegen Gebühr zur Verfügung zu stellen. 1989 begann Neuendorf mit Hilfe gleichgesinnter Kunsthändler unter dem Dach der New Yorker Centrox Corp., Kataloge von Auktionen aus vielen Ländern zu abonnieren und Abbildungen der Kunstwerke sowie die erzielten Preisen elektronisch zu erfassen. Auf diese Weise gelang es, eine Datenbank aufzubauen, in der mittlerweile gut zwei Millionen Werke von über 185000 Künstlern gespeichert sind. Ein Referenzprojekt, wie man heute weiß, das für Käufer wie Verkäufer gleichermaßen interessant ist und für das Unternehmen zum Fundament einer neuen Marktstratgie avancierte, da damit der Anstoß zu mehr Preistransparenz und Marktüberblick im Kunsthandel geschaffen wurde.

1995 startete das mittlerweile in Artnet Worldwide umbenannte Unternehmen den Aufbau seiner Services im Web und bezeichnet sich seitdem als "reinrassige Internet-Firma". Das neue Medium bedeutet für Neuendorf "eine Gottesgabe für den Kunsthandel", da nun endlich die Möglichkeit besteht, die Präsentation farbiger Abbildungen zu vereinfachen, zu beschleunigen und damit den seit 200 Jahren im wesentlichen unveränderten Kunsthandel zu modernisieren.

Zusätzlich zur Datenbank wurde ein virtueller Kunstmarktplatz eingerichtet, auf dem derzeit über 700 Künstler und Galeristen ausstellen. Ein elektronisches Magazin versorgt die Klientel außerdem mit täglich aktualisierten Nachrichten aus dem globalen Kunstgeschehen. Über einen Online-Bookshop kann bestellt werden. Als "letztes fehlendes Stück" des Projekts lief schließlich Ende März dieses Jahres ein Online-Service an, der permanente Kunstauktionen abhält. Anbieter sind dabei ausschließlich Galerien und Händler, während die Gebote von jedem Besucher der Web-Site abgegeben werden können, der sich vorab registrieren läßt. Nach Ablauf einer ein- bis dreiwöchigen Auktionsfrist organisiert Artnet. com die Abwicklung, wofür dem Käufer eine Provision in Höhe von fünf Prozent berechnet wird.

"Da können Sotheby''s und Christies mit ihren riesigen Strukturen gar nicht mithalten", begründet Neuendorf das seiner Meinung nach konkurrenzlose Angebot. Obwohl die Traditionshäuser sich bereits in der Aufbauphase ihrer Internet-Aktivitäten befinden - Sotheby''s plant beispielsweise Investitionen in Höhe von 25 Milionen Dollar -, betrachtet er dies nicht als Bedrohung. Der Vorteil seiner Company liege zum einen in der überschaubaren Größe von (noch) 70 Mitarbeitern sowie in dem Auk- tionsdatenspeicher, dessen Nachahmung so schnell nicht möglich sei. Gegenüber anderen zum Teil schon recht bekannten und etablierten Online-Auktionären wie E-Bay, das erst kürzlich Amerikas drittgrößtes Auktionshaus Butterfield & Butterfield übernommen hat, setzt Neuendorf auf Spezialisierung. Langfristig hält er in seinem Marktsegment nur solche Internet-Firmen für überlebensfähig, die sich auf ein besonderes Produktangebot konzentrieren und hierzu entsprechende Dienstleistungen sowie Fachwissen anbieten.

Als Neuendorf sich vor fast zehn Jahren daranmachte, seine Visionen von einem neuen vertrauenserweckendem Kunstmarkt zu verwirklichen, war er vollständig auf finanzielle Unterstützung aus seinem persönlichen Umfeld angewiesen. Im Lauf der Jahre stiegen 56 Freunde und Bekannte als Aktionäre in das Unternehmen ein. Bis heute jedoch wirtschaftet Artnet im roten Bereich, obwohl Neuendorf erklärt, daß die "private" Venture-Capital-Phase überwunden sei. Die Betriebsverluste der letzten drei Jahre belaufen sich auf insgesamt 8,47 Millionen Dollar. Im Geschäftsjahr 1998 verzeichnete man Einnahmen von knapp einer Million Dollar, dieses Jahr sollen rund 5,5 Millionen Dollar umgesetzt werden. Das Unternehmen zeigt sich zuversichtlich, rechnet in Zukunft mit einem "dreistelligen Wachstum" und geht davon aus, daß die Gewinnzone 2001 erreicht wird. Seine Einkünfte bezieht der Anbieter aus vier verschiedenen Einkommensströmen: den Gebühren der Datenbankabonnenten, den Margen der Galerien und Künstler, die sich auf der artnet.com-Site präsentieren, Werbeeinnahmen und Sponsoring, die überwiegend das Kunstmagazin einbringt und nicht zuletzt den Transaktionseinnahmen aus den Online-Auktionen.

Eigens für den Gang an den Neuen Markt wurde die deutsche Muttergesellschaft Artnet.com AG gegründet, was Neuendorf mit der Tatsache rechtfertigt, daß 90 Prozent der Anteilseigner Deutsche sind. Gleichzeitig hofft er, sich nun auch auf dem deutschen Kunstmarkt, der nach den USA als der zweitgrößte weltweit gilt, etablieren zu können.

Geld soll vor allem in Werbung investiert werden

Ein gutes Drittel der 1,07 Millionen Anteile umfassenden Emission stammt aus dem Besitz der Altaktionäre, unter denen der Vorstandschef mit einem Anteil von rund 17 Prozent Hauptaktionär ist. Weitere 554000 Aktien ergaben sich aus einer Kapitalerhöhung auf rund 815 Millionen Mark. Bereits eine Woche nach dem Börsengang befanden sich 300000 Aktien im Umlauf.

Die Gelder, die dem Unternehmen durch den Börsengang zufließen, sollen in erster Linie für Werbung verwendet werden. Der Kampf um die Marktanteile im Internet sei bereits voll entbrannt, man benötige nun die Mittel, um sich behaupten zu können. Die elektronischen Magazine sollen mit einer deutschen, französischen und englischen Ausgabe mehr Bezug zum lokalen Geschehen erhalten. Immerhin geht es um einen Markt, dessen Volumen weltweit auf rund zehn Milliarden Dollar geschätzt wird. Der Artnet-Chef geht aber gleichzeitig davon aus, daß, wenn sich seine Idee von einem transparenten und effizienten Kunstmarkt erstmal durchgesetzt hat, "das Zwei- bis Dreifache drin ist".