Systemwechsel: Elektrisch angetriebene Autos, Web und Cloud Computing

Das Thin-Client-Modell verändert die Autoindustrie

13.01.2009
Von Wolfgang Sommergut 
Der allgemein erwartete Systemwechsel zu Elektrofahrzeugen führt zum stärker vernetzten Auto, bei dem die Komplexität des Fahrzeugs sinkt und die Bedeutung der Infrastruktur steigt. Dabei zeigen sich Ähnlichkeiten mit IT-Entwicklungen.

In seinem Buch "The Big Switch" stellt Nicholas Carr eine Parallele zwischen der historischen Entwicklung der Elektrizität und jener der IT her. Demnach beziehen Firmen zunehmend IT-Dienste in standardisierter Form von einer globalen Infrastruktur, anstatt selbst Rechenzentren zu betreiben. Sie folgen damit einem ähnlichen Muster wie Unternehmen, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihre eigenen Generatoren stilllegten und Energie von großen Kraftwerksbetreibern einkauften.

Die bevorzugte Nutzung von IT-Diensten aus der Cloud markiert laut Carr den Endpunkt einer schon länger anhaltenden Entwicklung, in deren Zuge immer mehr Intelligenz von den Endgeräten in das Netz abwandert. Der Fat Client ist daher seit Mitte der 90er Jahre einer ständigen Diät unterworfen. Relativ neu ist hingegen, dass sich Client-Rechner immer mehr mit externen Services anstatt mit firmeneigenen Servern verbinden.

Selbstversorger außerhalb des Netzwerks

Während demnach die IT-Branche mit 100 Jahren Abstand die Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft nachvollzieht, hat es Letztere bis heute nicht geschafft, eine große Gruppe verbrauchsstarker Maschinen in ihr Netzwerk zu integrieren. Es handelt sich dabei um Automobile, die eine Reihe von Übereinstimmungen mit dem Fat Client der frühen 90er-Jahre aufweisen.

Das trifft besonders auf die als Antriebstechnik eingesetzten Verbrennungsmotoren zu, die an die komplexen lokalen Installationen der Client-Server-Ära erinnern. Diese Aggregate wandeln einen auf Mineralöl basierenden Primärenergieträger in Bewegung um. Dabei müssen sie auch Aufgaben erledigen, die typisch für den Betrieb von kalorischen Kraftwerken sind. Dazu zählen besonders die effiziente Steuerung von Verbrennungsprozessen sowie die relativ aufwändige Reinigung der entstehenden Abgase.

Die Krise als Katalysator

Der wirtschaftliche Abschwung hat die Autobranche besonders hart erwischt. Sie muss sich nun den Vorwurf einer falschen Modellpolitik gefallen lassen, die einseitig auf leistungs- und verbrauchsstarke Fahrzeuge ausgerichtet war. Nachdem die Förderung von Öl mit der steigenden Nachfrage immer weniger Schritt halten kann, werden die Preise mit der wirtschaftlichen Erholung wieder anziehen. Gleichzeitig beseitigt die mittlerweile deutlich verbesserte Speichertechnik auf Basis von Lithium-Ionen-Akkus eines der größten Hindernisse für den Elektroantrieb. Autos mit Verbrennungsmotoren gelten daher als Auslaufmodelle.

Während einer Übergangsphase zum reinen Elektroauto planen die meisten Hersteller Hybridfahrzeuge, die sowohl Elektro- als auch Verbrennungsmotoren enthalten. Dabei zeichnen sich zahlreiche Varianten und Mischformen ab: vom Mild-Hybrid, bei dem ein Elektromotor den Verbrennungsmotor unterstützt, über den Vollhybrid wie den Toyota Prius, der alternativ mit beiden Antriebsarten fahren kann, bis zum rein elektrisch angetriebenen Auto, das einen Verbrennungsmotor zum Laden der Batterien ("Range Extender") einsetzt (beispielsweise den von GM angekündigten "Volt"). Einige Modelle laden die Akkus nur über die zurückgewonnene Bremsenergie, andere lassen sich über die Steckdose auffüllen ("Plug-in-Hybride").

Während Hybridfahrzeuge als komplex gelten, handelt es sich beim reinen Elektroauto um eine vergleichsweise einfache Konstruktion. Gerade die deutschen Premiumhersteller, bei denen die hoch entwickelten Verbrennungsaggregate einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung ausmachen, stehen vor der Herausforderung, wie sie sich beim Elektroauto von der Konkurrenz absetzen können.

Während sich die europäischen und japanischen Technologieführer bei Verbrennungsmotoren erst zögerlich in Richtung Elektroauto umorientieren, setzen Neueinsteiger wie China und die gescheiterten Konzerne aus Detroit stärker auf den Systemwechsel. Angesichts der begrenzten Perspektiven für herkömmliche Antriebe sehen sie kaum noch Chancen, den Entwicklungsrückstand gegenüber den Deutschen und Japanern aufzuholen. In den USA sollen geänderte politische Rahmenbedingungen den Umstieg beschleunigen. Die Elektrifizierung des Autos war sogar Gegenstand der Antrittsrede des neuen US-Präsidenten Obama.

Das traditionelle Konzept für Kraftfahrzeuge entspringt der Notwendigkeit zu einer weitgehenden Autarkie, weil es sich während des laufenden Betriebs in kein Versorgungsnetz einhängen kann wie etwa die Eisen- oder Straßenbahn. Für einen solchen Offline-Modus erwiesen sich Treibstoffe wie Benzin oder Diesel aufgrund ihrer hohen Energiedichte als besonders geeignet, während die bisher genutzte Akku-Technik zur Speicherung der benötigten elektrischen Energie nicht ausreichte.

Elektromotoren sind effizienter

Trotz hoher Investitionen der Automobilhersteller in die Entwicklung effektiverer Verbrennungsmotoren erreichen die persönlichen Kraftwerke unter der Motorhaube nur einen Wirkungsgrad von knapp 20 Prozent bei typischen Fahrzyklen, wobei besonders der Teillastbetrieb und der Leerlauf die Ausbeute schmälern. Damit schaffen sie gerade einmal die Hälfte des Ertrags von Braunkohlekraftwerken, wobei moderne Anlagen dort bereits auf über 40 Prozent kommen. Dagegen liegt der Wirkungsgrad von Elektromotoren bei über 90 Prozent, und das gesamte Antriebssystem eines Elektroautos kommt immer noch auf mehr als 60 Prozent, wenn man etwa die Ladeverluste der Batterie oder den Aufwand für die Leistungselektronik einkalkuliert.

Abgespeckt

Jeder Autobesitzer kann ein Lied davon singen, welche Kosten die Wartung eines Verbrennungsaggregats verursacht: von der Abgassonderuntersuchung über den Ölwechsel und die Erneuerung von Kupplung, Auspuff, Zahnriemen oder zahlreicher bewegter Teile. Das Elektroauto verfügt nicht nur über einen relativ einfachen und wartungsfreien Motor, sondern kommt auch ohne einige bis dato unverzichtbare Bauteile aus: Es benötigt unter anderem kein Getriebe, keine Kupplung, keinen Auspuff, keinen Katalysator, keinen Anlasser, keine Lichtmaschine, keine Wasserkühlung und keinen Benzintank.

Projekte wie "Active Wheel" von Michelin oder "eCorner" von VDO lassen erwarten, dass Elektrofahrzeuge in Zukunft noch schlanker werden. Beide Unternehmen entwickeln Räder, deren Nabe Stoßdämpfer und einen Elektromotor enthalten. Letzterer dient nicht nur dem energieeffizienten Antrieb des Fahrzeugs, sondern ist auch für die Lenkung und das Bremsen der Räder zuständig. Solche "Drive-by-wire"-Systeme eliminieren daher die mechanische Lenkung, das hydraulische Bremssystem sowie den Antriebsstrang in Form von Achsen, Kardanwellen oder Differenzialen.

Damit reduzieren sich die Komplexität und das Gewicht der zukünftigen Autos noch weiter. Da für einen Motorraum keine Notwendigkeit mehr besteht, eröffnen sich neue Möglichkeiten für das Design der Fahrzeuge. Dabei werden die Hersteller versuchen, das Gewicht durch Leichtbauweise noch weiter zu verringern und so die Effizienz und Reichweite der Autos zu verbessern. VDO geht davon aus, dass integrierte Räder vom Typ eCorner ab 2015 zum Einsatz kommen.

Derzeit sehen Elektroautos wie konventionelle Fahrzeuge aus, die trotz der neuesten Lithium-Ionen-Akkus bei höherem Gewicht weniger Platz und Reichweite bieten als ihre benzingetriebenen Pendants. Das gilt etwa für BMWs "Mini E", der auf dem etablierten Serienfahrzeug basiert und im Rahmen eines Pilotprojekts nur in begrenzter Stückzahl gefertigt wird.

Diese Wahrnehmung verstellt jedoch den Blick darauf, dass elektrisch angetriebene Autos einen Systemwechsel bedeuten, der den Veränderungen der IT durch Web und Cloud-Computing in nichts nachsteht. Kraftfahrzeuge wandeln sich damit von Stand-alone-Maschinen zu Knoten in einem Netzwerk, das bisher lokal erbrachte Leistungen übernimmt. Kommt etwa der Strom aus Kohlekraftwerken, dann werden Abgase dort an zentraler Stelle gereinigt und nicht mehr in jedem Kraftwagen. Zusätzlich können elektrische und Datennetze zusammen intelligente Dienste erbringen, die das Auto zu einem nützlichen Knoten in einer insgesamt effizienteren Energiewirtschaft macht.

Autos als dezentrale Energiespeicher

Eine der wesentlichen Änderungen besteht darin, dass der Anschluss des Autos an das elektrische Netz die einseitige Bindung an fossile Brennstoffe auflöst. Das eröffnet solchen Kraftfahrzeugen den Zugang zu regenerativen Energien, die sich im Fall von Wind- und Solarkraftwerken aufgrund ihrer ungleichmäßigen Verfügbarkeit besonders gut zum Laden von Autobatterien eignen. Im Gegensatz zu den meisten anderen elektrischen Geräten leidet das Füllen der mobilen Energiespeicher nicht unter solchen Schwankungen.

Das vernetzte Auto muss sich zukünftig aber nicht auf die passive Rolle als Konsument von Energie beschränken, sondern kann ebenso als Lieferant eine Rolle spielen. Diversen Untersuchungen zufolge fährt ein Kraftfahrzeug durchschnittlich nur während drei Prozent seiner Lebensdauer, den Rest der Zeit steht es auf dem Parkplatz oder in der Garage. Bei ausreichender Zahl von Ladestationen würde die Fahrzeugflotte meistens im Online-Modus bleiben und dabei als dezentraler Stromspeicher fungieren. Im Fall von kurzfristigen Bedarfsspitzen könnten Autos Energie zurück in das Netz einspeisen.

Allein diese zusätzliche Funktion als Zwischenspeicher für Strom zeigt, dass die Infrastruktur für Elektroautos intelligenter sein muss als jene, die heute für die Verteilung von Benzin zuständig ist. Bei einem bidirektionalen Austausch von Strom sollte das System etwa sicherstellen, dass der Besitzer sein Fahrzeug nicht mit leeren Akkus vorfindet, wenn er eine Fahrt antreten will. Bei der Rückspeisung von Strom ins Netz wäre es deshalb von Vorteil, wenn die Infrastruktur über die typische oder aktuell beabsichtigte Nutzung des Autos Bescheid wüsste. Dafür ist eine Verknüpfung von Informations- und Stromnetz erforderlich.

Intelligentes Laden

Diese eröffnet zusätzliche Möglichkeiten, die der Charakteristik von Elektrofahrzeugen entgegenkommt. Hubert Berger, Professor für Elektronik und Technologiemanagement am Joanneum im österreichischen Kapfenberg, geht etwa davon aus, dass Navigationssysteme einen wesentlichen Beitrag für die Betriebsstrategie der Fahrzeuge leisten können. So sei es hilfreich zu wissen, welche Steigungen oder Gefälle die geplante Route enthält, um die in Doppelschicht-Kondensatoren ("Supercaps") gespeicherte Bremsenergie optimal einsetzen zu können.

Um einen ausgewogenen Energiefluss zu erreichen, werden mit steigender Zahl von Elektroautos voraussichtlich überall dort Ladestationen entstehen, wo regelmäßig Fahrzeuge geparkt werden, etwa vor Einkaufszentren, an Parkuhren oder in Tiefgaragen. Während man Autos mit Verbrennungsmotor in vergleichsweise langen Intervallen ausschließlich an der Zapfsäule betankt, werden Elektrofahrzeuge daher häufig und an wechselnden Orten aufgeladen. Deshalb wird eine Herausforderung für die Infrastruktur darin bestehen, die individuellen Fahrzeuge bei jedem Einbuchen ins Netz zu erkennen und die Lade- und Entladevorgänge detailliert abzurechnen.

Darüber hinaus sollte eine Ladestation bei begrenzter Kapazität in der Lage sein, jene Abnehmer zu bevorzugen, die den größten Bedarf haben. Im Idealfall berechnet sich dieser nicht nur aus dem Ladezustand der Akkus, sondern auch anhand der ins Navigationssystem eingegebenen Fahrtroute. Unter günstigen Bedingungen wären bei Verfügbarkeit von Drehstromanschlüssen die Batterien bereits vollständig aufgeladen, wenn der Fahrzeughalter mit einem weiten Heimweg vom Einkauf im Supermarkt zurückkehrt. Zusätzlich könnte das System wirtschaftliche Anreize setzen, indem es Ladevorgänge außerhalb von Lastspitzen durch niedrigere Preise fördert.

Standardisierung erforderlich

Der Übergang von relativ autarken Autos mit Verbrennungsmotor zu vernetzten Elektrofahrzeugen stellt nicht nur hohe Anforderungen an die Infrastruktur, sondern setzt eine gewisse Standardisierung voraus, damit alle Knoten des Netzwerks miteinander kommunizieren können. Die Normierungsprozesse dürften das elektrische System nicht vor solche Herausforderungen stellen wie die IT in ihrem Übergang vom Desktop-Computing zu global vernetzten Rechnern. Immerhin existieren schon längst Standards in Bezug auf die Netzspannung, Stromstärke oder Steckerformate, auch wenn diese teilweise national voneinander abweichen. Dennoch wird sich erst erweisen müssen, ob sich schließlich alle Autos von unterschiedlichen Herstellern an jeder Ladestation befüllen lassen.

Zusätzlich ist noch unklar, ob die Automobilhersteller einen Standard für die Formate und die Montage von Akkus anstreben, so dass sich die Speicher bei Bedarf austauschen lassen, um die Reichweite der Fahrzeuge zu vergrößern. Genau dieses Ziel verfolgt der ehemalige SAP-Vorstand Shai Agassi mit seiner neuen Firma Better Place. Das Unternehmen möchte, vorerst beschränkt auf Israel, Dänemark und Australien, flächendeckend Ladestationen einrichten, wo sich auch leere Batterien gegen geladene auswechseln lassen. Better Place arbeitet zudem am Konzept des "Smart Charging", das einen bidirektionalen Fluss der Energie vorsieht. Startups wie jene von Shai Agassi könnten zu den wichtigsten Playern beim Aufbau einer intelligenten Infrastruktur werden, wenn die als wenig innovationsfreudig bekannten Energiekonzerne nicht rechtzeitig reagieren.

Orientierung am Servicemodell

Die weit reichenden Ambitionen von Better Place höhlen zumindest das Geschäftsmodell für die ohnehin schlanken E-Fahrzeuge noch weiter aus. Das Unternehmen möchte die Akkus und die benötigte Energie im Paket anbieten, wobei der Nutzer für jeden gefahrenen Kilometer einen bestimmten Betrag entrichtet. Die damit erzielte Trennung von Fahrzeug und Batterie, dem teuersten Baustein des Gesamtsystems, scheint sinnvoll. Die rasante Weiterentwicklung der Akku-Technik würde sonst dazu führen, dass der Inhaber eines erst wenige Jahre alten Fahrzeugs schon völlig veralterte Energiespeicher besäße.

Konzentration auf die eigene Energie

"Jede Herausforderung und jede Krise bietet die Möglichkeit, Neues zu schaffen, eingefahrene Strukturen zu überwinden und über sich hinauszuwachsen. Ich konzentriere meine Energie darauf, die neuen Wege zu erkennen, die sich eröffnen, und lasse mich nicht zum Getriebenen machen"

Diese Problematik ist den etablierten Autobauern natürlich ebenfalls bewusst, aber sie möchten eigene Konzepte für die technische und wirtschaftliche Entkopplung von Auto und Akku entwickeln. Peter Ratz, Entwicklungsleiter für den Mini E bei BMW, wendet ein, dass Standardformate für Batterien nicht den spezifischen Anforderungen einzelner Fahrzeugmodelle entsprächen. Die Speicherzellen würden zwar in der ganzen Branche von spezialisierten Zulieferern bezogen, aber der Autohersteller möchte sie abhängig vom Fahrzeugtyp zu größeren Einheiten verpacken und dabei auch eigene Montagesysteme verwenden. Kunden könnten dann trotzdem auf neuere Energiespeicher umsteigen, beispielsweise durch Leasingverträge für Akkus.

Auch wenn Autohersteller damit am Konzept des voll integrierten Fahrzeugs festhalten, so drängt die Aufwertung der Infrastruktur offenbar zu Service-orientierten Geschäftsmodellen, bei denen mehr die Nutzung von Diensten als der Besitz physikalischer Güter im Vordergrund steht. Separate Mietverträge für einzelne Komponenten sind da ein erster Schritt. Better Place orientiert sich mit seinem Geschäftsmodell explizit an den Mobilfunkunternehmen. Der Kunde erhält dort das Handy häufig gratis und bezahlt für die Nutzung des Netzes. Mit der Elektrifizierung kündigt sich möglicherweise das kostenlose Auto an, das an einen Vertrag für Akkus und Strom gebunden ist.