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Reaktionen

Das Somm-Urteil

29.05.1998
Von md 
Reaktionen

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit Empörung reagierte nicht nur der Angeklagte Felix Somm, ehemaliger Deutschland-Chef von Compuserve, auch andere Anwesende hatten Schwierigkeiten die Fassung zu bewahren. Nach Augenzeugenberichten spuckte Somm auf die Anklagebank, nachdem der Richter Wilhelm Hubbert den Saal verlassen hatte.

Zuvor hatte der Richter zur Überraschung aller - auch der Staatsanwalt hatte auf Freispruch plädiert - Somm zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und zur Zahlung von 100 000 Mark wegen Beihilfe zur Verbreitung von Kinderpornografie verurteilt. Es gebe laut Hubbert "falsche Vorstellungen vom Internet in den Köpfen aller Beteiligten". Die Behauptung Somms, von den pornografischen Inhalten des Internet nichts gewußt zu haben, sei eine "Zumutung". Schließlich stellte der Richter den Angeklagten mit den DDR-Mauerschützen auf eine Stufe, da Somm sich auf eine Weisungsgebundenheit gegenüber der US-Mutterfirma berufen hatte.

Im Anschluß nannte Somms dritter Anwalt Hans-Werner Moritz den Richter einen "religiösen Überzeugungstäter", der ohne das geringste Fachwissen ein Fehlurteil fabriziert hat. Dieser Meinung schließt sich heute ein Großteil der internationalen Tagespresse an. Vom Schaden für das Ansehen Deutschlands und der Verbreitung des Internet in diesem Land ist zumeist die Rede. Der Präsident des Deutschen Multimedia Verbands (dmmv) und Gründer der Berliner Multimedia-Agentur Pixelpark, Paulus Neef, sagte: "Das Urteil widerspricht klar dem Multimedia-Gesetz und wurde gegen alle technische Vernunft gefällt." Ebenso wie das Electronic Commerce Forum (eco) prüfe sein Verband nun alle möglichen Schritte gegen eine Einschränkung der Freiheiten von Internet-Anbietern in Deutschland, die sich aus dem Urteil ergeben könnten. Somms Verteidigung kündigte Berufung an.