IT-Qualifizierung bei kleinen und großen Unternehmen

"Das Personalproblem lässt sich nur lösen, wenn Firmen selbst ausbilden"

05.05.2000
Mit neuen Ausbildungsgängen ziehen sich Unternehmen der IT-Branche maßgeschneiderte Mitarbeiter für morgen heran. Prominentestes Beispiel: die Deutsche Telekom.Von Veronika Renkes*

"Kinder statt Inder"- über diesen Slogan von Ex-Zukunftsminister Jürgen Rüttgers kann Hans-Jürgen Niemeier, Vorstand der Conet Consulting AG in Hennef-Sieg, nur lachen. "Bis die groß sind, haben wir schon längst mangels kompetenter Fachkräfte unsere sämtlichen Kunden verloren und dicht gemacht." Die Green-Card-Initiative des Bundeskanzlers stößt bei ihm aber ebenfalls auf Skepsis: "Die kann nicht tatsächlich zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen." Die auf Softwareberatung spezialisierte Firma mit derzeit 200 Mitarbeitern stellt pro Jahr rund 35 neue Leute ein. Damit ist der Bedarf aber noch längst nicht gedeckt. Niemeier könnte noch mindestens zwölf weitere IT-Spezialisten brauchen, um alle seine Aufträge zu erfüllen.

Enge Kooperation mit FachhochschulenIn Nordrhein-Westfalen fehlen laut Landesarbeitsamt derzeit zwischen 12000 und 15000 IT-Experten, bundesweit werden mindestens 75000 gesucht. Demgegenüber können die Firmen bundesweit in diesem Jahr mit etwa 7000 Azubis, 6000 Hochschulinformatikern, 11000 Umschülern sowie 8000 Hochschulabsolventen IT-verwandter Studiengänge rechnen - viel weniger, als nötig wären. Ob es einen Inder oder Chinesen ausgerechnet nach Hennef oder ins bayerische Amberg zieht, bezweifelt IT-Manager Niemeier: "Die Knappheit an qualifizierten Mitarbeitern lässt sich kurzfristig nicht beseitigen. Abhilfe kann nur erfolgen, wenn sich die Firmen auch selbst um die Ausbildung kümmern." Deshalb kooperiert Conet Consulting eng mit den regionalen Fachhochschulen und hat mit einem Weiterbildungsanbieter und dem Kölner Arbeitsamt eine IT-Qualifizierung für arbeitslose Akademiker ins Leben gerufen, die Mitte Juni startet.

Das ist ein erster Ansatz, wie ihn auch andere Firmen verfolgen. Weit tiefgreifender gestaltet sich jedoch, was vor allem die Großen der IT- und Telekommunikationsbranche zustande gebracht haben. Während die hiesigen Bildungspolitiker fast hilflos zusahen, wie der einst gute Ruf der dualen Ausbildung ins Wanken geriet und die Industrienation fast den Anschluss an die modernen Technologien verlor, haben Wirtschaftsverbände und einige deutsche Großunternehmen neue innovative Ausbildungsgänge eingerichtet. Einer der Gründe dafür: "Junge Abiturienten, die heute vor der Berufswahl stehen, sind ehrgeizig und fordernd zugleich. Wenn sie sich tatsächlich anstelle des Studiums für eine betriebliche Ausbildung entscheiden, dann muss die Hand und Fuß haben", konnte Reinhard Selka, Ausbildungsexperte beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beobachten.

Eine dieser ehrgeizigen Abiturientinnen war Rebecca Möller. Seit 1996 absolviert die 24-Jährige eine vier Jahre dauernde Sonderausbildung bei der Deutschen Telekom in Köln. Das praxisorientierte Ausbildungs- und Studienprogramm beinhaltet eine zweieinhalbjährige Ausbildung zur Industriekauffrau und parallell dazu ein Fernstudium zur Diplombetriebswirtin an der Fachhochschule Darmstadt. Ihr Klassenzimmer befindet sich im Cyberspace. Mit ihren Kommilitonen und Professoren trifft sich die Rheinländerin mehrmals in der Woche im virtuellen Klassenzimmer. Dort werden dann gemeinsam Aufgaben gelöst und Probleme geklärt. Die Telekom hat ihren Azubis dafür einen Multimedia-PC samt Videokamera nach Hause gestellt. "Ich habe mich für die Telekom entschieden, weil ich in einer Zukunftsbranche und später auch mal im Ausland arbeiten will." Am meisten hat die ambitionierte Betriebswirtin das Personalentwicklungskonzept überzeugt. "Wer will, kann hier Karriere machen." Das Fernstudium müssen die Studenten in ihrer Freizeit bewältigen - ohne Disziplin ist das nicht machbar.

Auch die Telekom-Manager wissen, dass nur "junge Leute, die unbedingt nach oben wollen, den Dauerstress mit Bravour überstehen. Doch genau solche Leute braucht die Telekom, um im internationalen Wettbewerb die Nase vorn zu haben", erklärt Ausbildungsleiter Jochen Kohlhass die aufwändigen Ausbildungsaktivitäten. Deshalb hat der einstige Staatsbetrieb auch gleich noch eine eigene Ausbildung zum Fachinformatiker mit integriertem Fernstudium Telekommunikationsinformatik an den Fachhochschulen in Dieburg und Leipzig aufgelegt.

Diese Kombination verknüpft die berufliche Ausbildung zum Fachinformatiker Systemintegration oder Anwendungsentwicklung mit den Inhalten eines informationstechnisch orientierten FH-Studiums. Das Grundstudium wird parallell zur Berufsausbildung innerhalb von drei Jahren absolviert. Während des anschließenden Hauptstudiums kommen die frisch gebackenen Fachinformatiker innerhalb der Telekom bereits als IT-Spezialisten in Projekten zum Einsatz.

Die praktische Ausbildung findet für die Fachinformatiker in den Telekom-Niederlassungen oder bei den Tochterunternehmen T-Mobil, DeTeCSM oder T-Nova statt. Neben der Arbeit an konkreten Projekten erhalten die Auszubildenden Lernaufträge, die sie gemeinsam im Team bearbeiten. Während ihres Einsatzes an den unterschiedlichen Standorten werden sie über ein Kommunikationsnetz von Ausbildern, Berufsschullehrern und Dozenten betreut.

Jeder Azubi erhält einen Multimedia-PC mit Internet-Anschluss für zu Hause, weil insbesondere das Studium außerhalb der betrieblichen Ausbildungszeiten absolviert werden muss. Die PCs sind zusätzlich mit einem Videokonferenzsystem ausgestattet. Neben der Bild- und Tonverbindung kann simultan mit jeder Anwendersoftware an allen angeschalteten heimischen Standorten gearbeitet werden. Die Fernstudienphasen werden von wöchentlichen Teletutoring-Abschnitten begleitet, bei denen die Dozenten der FH Leipzig die Hochschultheorie, die Lehrer der zentralen Berufsschule in Fulda die Facharbeitertheorie über ein Videokonferenzsystem vermitteln. Abgerundet wird die Ausbildung durch mehrere ein- bis zweiwöchige Präsenzseminare.

Danach stehen den doppelt qualifizierten Informatikern im verzweigten Konzern der Telekom alle Türen offen, versichert Ausbildungsleiter Kohlhass - und hofft, dass der aufwändig ausgebildete Nachwuchs auch bei der Stange bleibt. Annäherungsversuche und Abwerbungsgespräche von anderen Unternehmen sind allerdings nach der Ausbildung gang und gäbe.

* Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.