Prof. Dr. Dr. Radermacher

"Das offene Internet ist in Gefahr"

22.06.2009
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Irgendwann dürfen nur noch "Trusted Persons" ins Internet

Wie kommen Sie darauf, dass "die andere Seite" die Kontrolle übernehmen könnte? Ich sehe eher ein sehr offenes Web, jeder kann mit jedem kommunizieren.

Radermacher: Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Denken Sie einmal an das Rauchverbot in Lokalen und öffentlichen Einrichtungen, das in unseren Ländern zwischenzeitlich durchgesetzt wurde. Der Hebel war das Thema Passivrauchen. Ohne das wäre es nicht gelungen, Rauchen zu sanktionieren, denn in einer freien Gesellschaft darf jeder sich durch Rauchen selber gefährden, so wie er das im Sport auch darf. Gelingt es aber überzeugend zu argumentieren, dass Unschuldige betroffen sind, dann haben Sie den Hebel, den Sie brauchen.

Global betrachtet ist das Aufbauschen von Sicherheitsproblemen ein vergleichbares Phänomen. Besonders absurd sind die Kontrollen von mitgenommenen Flüssigkeiten an Flughäfen. Dies ist primär eine Methode zur Erzeugung von Paranoia. In den Gehirnen der Menschen wird verankert, dass wir durch Terrorismus gefährdet sind. Das ist die Voraussetzung dafür, Dinge zu kontrollieren. Das funktioniert auch mit dem Internet: Hier sind Kinderpornografie, intellektuelle Eigentumsrechte und Terror die Hebelthemen. Die Menschen werden auf den Krieg gegen den Terror konditioniert. Im Krieg sind dann Notstandsmaßnahmen erlaubt, das leuchtet jedem ein. Sie könnten zukünftig von der Art sein, dass wir Terroristen oder "Dieben" oder Betrachtern von Kinderpornografie keinen Zugang zum Netz erlauben. Zu diesem Zweck könnte man dann registriert sein und bestimmte Qualitäten haben müssen, um ins Netz zu gelangen - Trusted Access ist das Thema. Zum Schluss darf nur noch derjenige ins Netz, der sich in einem bestimmten Korsett bewegt, das mit Eigentumsrechten zu tun hat. Der Normalbürger, selbst wenn er als Trusted Person Zugang erhält, darf letzten Endes den Computer nicht mehr als universell programmierbare Maschine nutzen, sondern nur noch auf der Ebene bestimmter Interfaces Bausteine zusammenbauen.

Um das Entstehen einer Oligarchie in "brasilianisierten Verhältnissen" zu vermeiden, fordern Sie in Ihren Aufsätzen und Reden ein engeres Zusammenrücken der G20-Staaten.

Radermacher: Ja, ich bin für eine weltweite ökosoziale Partnerschaft aller Länder, und zwar im Rahmen einer Governance-Struktur, die in einer langfristigen Orientierung demokratisch ist. Wenn wir eine solche weltweite Struktur hätten, könnten wir über eine Art Weltparlament festlegen, dass bestimmte Dinge nicht erlaubt sind. Und wir könnten dieses Verhalten weltweit exekutieren. Dahin kommen wir aber nur, wenn wir als Ausgangssituation eine supranationale Governance-Struktur schaffen, die, wie in der EU, zumindest Elemente von Demokratie umfasst und in der Lage ist, die Einhaltung von Regeln sicherzustellen.