Das Netz - der heimliche Stromfresser

09.10.2008
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Gigabit Ethernet, Power over Ethernet - oft geht es darum, wie Netze noch schneller, besser und sicherer arbeiten können. Der Fortschritt hat seinen Preis, nämlich einen steigenden Energieverbrauch.

Bei der Green-IT-Diskussion schienen die Netzverantwortlichen lange Zeit auf der Insel der Glückseligen zu leben: Zum Thema Stromverbrauch und damit der CO2-Belastung standen unter anderem Server, Plattensysteme sowie die Kühlsysteme der Rechenzentren im Brennpunkt der Kritik. Moderne All-IP-Netze mit Anwendungen wie Collaboration oder Videoconferencing wurden dagegen als das probate Mittel beworben, um die Energiebilanz eines Unternehmens zu verbessern. Und so mancher Berater vertrat gegenüber der computerwoche die Meinung, der Stromverbrauch im Netz spiele keine Rolle, da zum Beispiel Server viel mehr Energie verschlingen würden.

Doch dies ist ein teurer Trugschluss: Ein typischer LAN-Switch mit Power over Ethernet (PoE) frisst 600 bis 1000 Watt pro Stunde, so rechnet Jörg Kracke, Geschäftsführer bei 3Com Deutschland, vor. Ebenso schlägt sich der ständige Wettlauf um höhere Übertragungsraten im Netz negativ auf die Energiebilanz nieder. "10 Gigabit Ethernet ist zwar hundertmal schneller als Fast Ethernet", so Kracke weiter, "verbraucht aber auch die sechsfache Strommenge."

Brennpunkt Etappenverteiler

Diese Entwicklung hat noch eine andere unschöne Konsequenz. Mit dem wachsenden Energieverbrauch steigt die Abwärme in den Etagenverteilern, die baulich häufig nur bessere Besenkammern sind, so dass eine zusätzliche Kühlung erforderlich ist, was wiederum den Energiebedarf in die Höhe treibt. Addieren sich alle diese negativen Faktoren, wartet auf den Anwender noch eine weitere Kostenfalle: Die Stromverkabelung muss eventuell erneuert werden, weil sie dem gestiegenen Verbrauch nicht gewachsen ist.

Stromsparen im Netz

  • Gigabit Ethernet nur, wenn wirklich erforderlich;

  • Glasfasern sind nicht nur störungssicherer, sondern sparen auch Strom;

  • alte Komponenten durch effizientere Geräte ersetzen:

  • Strom mit Power over Ethernet managen;

  • auf effiziente Netzteile achten;

  • lüfterlose Geräte bevorzugen;

  • Input-Output-Komponenten im Server reduzieren;

  • konvergentes Netz im Rechenzentrum einrichten;

  • Migrationspläne eventuell aufschieben, bis Energy Efficient Ethernet verfügbar ist.

Schnellere Netze - mehr Strom

Eine Erklärung für den steigenden Energiebedarf bei höheren Transferraten im Netz liefert Jan Roschek, Direktor bei Cisco in Deutschland: "Mit den steigenden Geschwindigkeiten erhöhen sich im Kupferkabel die Fehler durch Störungen, so dass schnellere und effizientere Korrekturverfahren verwendet werden müssen." Und diese erforderten mehr Rechenleistung, was sich direkt in einem höheren Stromverbrauch widerspiegle. Auf der anderen Seite lassen sich die im Kabel entstehenden Störungen erst mittels moderner digitaler Signalverarbeitung (Digital Signal Processing = DSP) unterdrücken, so dass eine Übertragung per Kupferkabel möglich wird.

Vor diesem Hintergrund kann die Glasfaser gleich doppelt punkten. Zum einen treten bei ihr, so 3Com-Geschäftsführer Kracke, in engen Kabelschächten keine Übertragungsfehler durch Übersprechen auf, zum anderen verbraucht sie weniger Strom, da DSP zur Fehlerkompensation entfallen kann. Pro Netzwerk-Port braucht die Glasfaser mit einem Watt, wie Cisco-Manager Roschek vorrechnet, rund sieben Watt weniger als ein klassischer Kupferkabel-Anschluss.

Allerdings ist auch beim Kupferkabel in Sachen Ethernet noch nicht das letzte Wort gesprochen: Das US-amerikanische Normierungsgremium IEEE arbeitet unter der Bezeichnung "IEEE 802.3az" an einer Erweiterung der Ethernet-Standards um das "Energy Efficient Ethernet". Davon verspricht sich etwa David Law, Chairman der IEEE-802.3, enorme Einsparmöglichkeiten.

Reduktion der Interface-Karten

802.3az ist allerdings nicht die einzige Anstrengung der IEEE, um den Energieverbrauch der Netzinfrastruktur zu senken. Laut Law arbeitet "die IEEE 802.1 Data Centre Bridging Task Group an einem Standard für ein konvergentes Ethernet im Rechenzentrum". Dabei geht es darum, die Zahl der diversen Subnetze in einem Rechenzentrum wie etwa LAN und Speichernetz zu reduzieren und so Strom zu sparen, konkretisiert Cisco-Manager Roschek.

Unter dem Schlagwort Unified I/O sollen so die oft zahlreichen Network Interface Cards (NICs), Host Bus Adapters (HBAs) und Host Channel Adapters (HCAs) eines Servers auf wenige Converged Network Adapters (CNAs) reduziert werden, die ihre Daten über ein einziges 10 Gigabit Ethernet austauschen. Allerdings steht auch diese Entwicklung erst am Anfang, und bereits erhältliche Lösungen unterliegen vorerst dem Generalverdacht, "proprietär" zu sein, da noch kein Standard existiert. Geht es nach Cisco, soll dieser als Data Center Ethernet (DCE) verabschiedet werden.

Stromsparen durch grundlegend neue Standards ist aber nur eine Option. Ebenso lässt sich der Energieverbrauch mit einem modernen Produktdesign senken. Roschek zufolge verbraucht ein einzelner 10GBase-T-Adapter heute, wenn das Hardwaredesign mit einem Field Programmable Gate Array (FPGA) realisiert wurde, unter dem Strich 20 Watt. Konstruiert man dagegen den gleichen Netzadapter mit einem Application Specific Integrated Circuit (Asic) als Baustein, dann reduziert sich der Energieverbrauch auf die Hälfte. In das gleiche Horn stößt IEEE-Mitglied Law: "Die Anwender können bereits heute Geld und Energie sparen, wenn sie auch im Netzwerk bei Neuanschaffungen auf die Energieeffizienz achten."

Neue Geräte brauchen weniger Strom

Wie hoch diese Unterschiede in der Praxis ausfallen können, zeigt 3Com-Geschäftsführer Kracke an einem Beispiel aus dem eigenen Haus: "Tauscht man einen Gigabit Switch der älteren Generation - etwa einen 3Com 4924 (294 Watt) gegen einen 3Com 4200G (67 Watt) - aus, ergibt sich eine Ersparnis von 178 Watt pro Switch." Auf den ersten Blick scheint dies keine berauschende Einsparung zu sein - beim Netz wird jedoch gerne vergessen, dass die Verbesserungen hundert- beziehungsweise tausendfach erzielt werden. Legt man beispielsweise ein typisches Unternehmens-LAN mit 100 Ethernet-Switches und 2000 Netzknoten zugrunde, ergeben sich ganz andere Größenordnungen: Es werden rund 156 000 Kilowattstunden eingespart. "Eine Menge, die der jährlichen Beleuchtung von 125 Einfamilienhäusern entspricht", veranschaulicht Kracke.

Feintuning

Ferner existieren einige Stellhebel, um mit relativ wenig Aufwand den Energieverbrauch zu reduzieren. Gerade bei größeren Netzkomponenten, die zur Verbesserung der Ausfallsicherheit redundant aufgebaut sind, gehen 30 bis 40 Prozent des Stromverbrauchs darauf zurück, dass die Stromversorgung ineffizient ist. Deshalb ist darauf zu achten, dass die Effizienz der Stromversorgung bei Volllast über 80 Prozent liegt - analog den PC-Netzteilen der Spezifikation 80-Plus. Diese Effizienzsteigerung führt direkt zu einer anderen Sparmaßnahme: Warum müssen die Gehäuselüfter ständig laufen, wenn dank effizienterer Stromversorgung weniger Energie in Wärme umgewandelt wird? Hier bieten

sich temperaturgesteuerte Lüfter an, damit kein Strom für unnötige Kühlleistung gebraucht wird. An dieser Stelle sind auch die Hersteller gefordert, denn durch ein intelligentes Gehäuse- und Gerätedesign lassen sich viele Netzkomponenten auch komplett ohne Lüfter konzipieren. Das schont nicht nur das Energiebudget, sondern auch die Nerven der Anwender aufgrund der geringeren Geräuschbelastung. Eine weitere Kostenfalle unter Stromaspekten ist das im Zusammenhang mit WLANs und VoIP propagierte Power over Ethernet. Mit neuen Standards wie Enhanced Power over Ethernet beziehungsweise Power over Ethernet Plus, die Endgeräte mit 30 oder 60 Watt über das LAN versorgen sollen, stellt sich die Frage, ob jedes Device diese elektrische Leistung wirklich braucht. Hier ist darauf zu achten, dass die Produkte entsprechende Management-Profile ermöglichen, um die maximale Leistung je nach den angeschlossenen Geräten festzulegen. Und diese Features sollten im Alltag dann auch genutzt werden, um die Energiekosten zu senken.

Zukunft: Energy Efficient Ethernet

Die Idee hinter Energy Efficient Ethernet ist, dass ein LAN-Port nur noch dann Strom verbraucht, wenn auch wirklich gerade Daten übertragen werden. Im Leerlauf sollte er dann einen Energiebedarf von annähernd null Watt aufweisen. Damit hält im LAN ein Gedanke Einzug, der im Carrier-Umfeld bei den DSL-Zugängen bereits verwirklicht ist: So verfügt ADSL2/2+ genau über eine solche Stromsparfunktion, die im DSL-Modem und im DSLAM den Energieverbrauch senkt, wenn keine Daten übertragen werden, die Geräte also in eine Art Schlafmodus schickt.

Beim Energy Efficient Ethernet sollen nun die Daten in möglichst kurzer Zeit mit höchster Geschwindigkeit übertragen werden. Danach soll der Port in einen Schlafzustand verfallen, wo er fast keinen Strom verbraucht. Steht dann eine neue Übertragung an, werden die beteiligten Kommunikations-Ports mit einem Wecksignal wieder in den aktiven Übertragungsmodus versetzt. "Der typische Ethernet-Port eines Endgeräts befindet sich zu 99 Prozent der Zeit im Leerlauf und benötigt heute dennoch unvermindert Energie", erklärt David Law, Chairman der IEEE-802.3, das Potenzial der neuen Technik.

So viel versprechend der Energy-Efficent-Ethernet-Ansatz auch klingt, bei den momentanen Bemühungen, den Energiebedarf zu senken, bringt er wenig: Branchenkenner rechnen nämlich erst 2010 mit einer Verabschiedung der IEEE-Norm 802.3az. Zudem müssen die Anwender hier erst einmal kräftig investieren. "Energy Efficient Ethernet funktioniert nur", so Law, "wenn beide Endpunkte einer Verbindung einem Upgrade unterzogen werden - also etwa ein Switch-Port und der Netzwerk-Port eines Rechners."

Für die Anwender bleibt zumindest ein Trostpflaster: Die Technik ist abwärtskompatibel zum klassischen Ethernet, so dass etwa gemischter Betrieb möglich ist und eine Einführung mit der Substitution vorhandener Notebooks und PCs durch neue Geräte erfolgen kann. In kommenden Produktgenerationen dürfte IEEE 802.3az nämlich zum Standard-Feature werden.