Das Jahr der kalten Duschen

04.12.2008
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Die Themen der vergangenen Monate waren die Verteuerungdes SAP-Supports und die Wirtschaftskrise. Doch die IT-Verantwortlichen der deutschen Unternehmen haben für harte Zeiten vorgesorgt.

Eine Wirtschaftskrise kommt immer ungelegen - diesmal besonders: Eben hatte die IT-Diskussion begonnen, sich von den Kosten auf den Wertbeitrag zu verlagern. Und plötzlich wollen Geschäftsführer oder Vorstände nichts mehr davon hören, dass sie eine starke IT brauchen, um neues Geschäft zu generieren. Der Rotstift bedroht mühevoll erarbeitete Handlungsspielräume für Innovationen.

Dabei haben die meisten IT-Chefs längst ihre Hausaufgaben erledigt: Sie haben Strategien entworfen und umgesetzt, mit denen sich die IT-Organisationen auf maximale Effizienz trimmen lassen. Konsolidierung und Standardisierung waren einmal mehr die IT-Schlagworte des Jahres, oft begleitet von Virtualisierung. Mit Hilfe einer - wenn auch vielfach noch rudimentären - IT-Governance ist es den CIOs gelungen, die Hype-Themen außen vor zu lassen. Green IT? Fällt unter Betriebkosten sparen! Enterprise 2.0? Jetzt werden Sie doch bitte erst einmal konkret! RFID? Ein alter Hut - oder vielleicht doch noch zu früh! iPhone? Ja, gut, wenn der Vorstand unbedingt eins will! SOA? Ähem ...

SOA’s not dead, it just smells funny

Die CIOs haben die Nase voll: Einer - zugegeben - nicht repräsentativen Umfrage auf dem diesjährigen "CIO-des-Jahres"-Event von computerwoche und "CIO" zufolge können sie den Begriff SOA nicht mehr hören. Dabei haben viele Großunternehmen, darunter Daimler, Münchener Rück und Deutsche Bank, ihre IT-Architektur längst auf Service-Orientierung getrimmt. Auch auf den Mittelstand hat das neue IT-Paradigma übergegriffen, wie das Beispiel des Pay-TV-Senders Premiere belegt.

Was den IT-Verantwortlichen zum Hals heraushängt, ist also weniger die Sache selbst als vielmehr der Marketing-Hype, der darum gemacht wird.

Viele IT-Abteilungen haben sich 2008 nicht nur mit den übergreifenden Prozessen im Business beschäftigt, sondern auch mit ihren eigenen Abläufen. Dort fanden sie mindestens so viel Optimierungspotenzial wie im Vertrieb oder der Produktion. Vor allem die Ausrichtung der IT-Service-Abläufe nach Itil (IT Service Library) war einer der Megatrends des abgelaufenen Jahres. Wenn die Welt schon immer komplexer und unübersichtlicher wird, will der geplagte CIO wenigstens einheitliche und effiziente Prozesse für den IT-Betrieb haben. Das schont die Nerven und spart bares Geld.

Geteilter Service ist billiger Service

Nicht mehr taufrisch, aber nach wie vor aktuell ist das Thema Shared-Service-Center (SSC). Warum denn gleich auslagern, wenn sich doch auch intern Mengen- und Standortvorteile nutzen lassen?

Die Spannbreite der SSC-Formen reicht von der Zusammenfassung des gesamten IT-Betriebs zu einem konzernweiten Dienstleister bis hinunter zur abteilungs- oder niederlassungsübergreifenden Bündelung bestimmter Prozesse, zum Beispiel für Human Resources wie im Bayer-Konzern oder für das automatisierte Einlesen von Rechnungen, das Lorenz Snack-World in Polen etabliert.

Warum in die Ferne schweifen

Die Osterweiterung der EU rückt Indien in weitere Ferne - was die Sourcing-Pläne deutscher CIOs angeht. Tschechien, Polen und Rumänien liegen nicht nur geografisch, sondern auch kulturell näher an Deutschland. Vielfach sprechen die Entwickler dort sogar Deutsch. So konnte es sich die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns beispielsweise erlauben, im Rahmen eines Nearshoring-Projekts Deutsch als Einstellungsvoraussetzung für Entwickler zu fordern.

Der CIO im Fahrersitz

Generell zeigt der Trend in der Beschaffung von IT-Dienstleistungen immer weiter weg von pauschalen Mega-Deals und hin zu - leistungsmäßig wie zeitlich - eng begrenzten Verträgen. Der Preis, den die Unternehmen dafür zahlen, besteht in der Anbietervielfalt und der damit gestiegenen Komplexität. Doch einige IT-Abteilungen, beispielsweise die des Finanzdienstleisters MLP, praktizieren eine neue Outsourcing-Variante: Sie schließen mit ein und demselben Anbieter separate Abkommen für vorher definierte Servicepakete. Damit gewinnen sie Flexibilität, ohne den Vorteil eines verantwortlichen "Generalunternehmers" preiszugeben.

Angesichts der befürchteten Wirtschaftskrise erhalten allmählich auch die bislang eher misstrauisch beäugten Software-as-a Service- und Cloud-Computing-Modelle Zulauf. Schließlich versprechen sie den Anwenderunternehmen maximale Kostenkontrolle. Womit wir wieder beim leidigsten aller Themen angekommen wären.

SAP-Kunden proben den Aufstand

Dass die Weltwirtschaft verrückt spielt, daran können die CIOs nichts ändern. Dass sie ihre ohnehin schon beschnittenen Budgets möglicherweise noch einmal stauchen müssen, nehmen sie klaglos hin; die klügeren haben ohnehin neben dem offiziellen Finanzplan ein "Schattenbudget" kalkuliert. Aber dass ihnen jetzt auch noch ihr Leib-und-Magen-Lieferant in den Rücken fällt, bringt das Fass zum Überlaufen.

Kaum ein Thema hat die CIO-Community derart zusammengeschweißt wie die anbieterseitige Kündigung der SAP-Wartungsverträge und die angekündigte Erhöhung der Supportgebühren. Sogar CIOs, die gar keine SAP-Software einsetzen, haben sich mit den Kunden des weltweit größten Business-Software-Anbieters solidarisiert.

Die weitgehende Einigkeit und das Engagement der CIO-Szene waren nicht vergebens. Inzwischen hat die SAP eingelenkt und zumindest Aufschub angeboten. Zu sehen, dass sich auch in der IT die Kunden nicht mehr alles von ihren Lieferanten gefallen lassen, macht Mut. Vielleicht ist das eine der sprichwörtlichen Chancen, die aus Krisen erwachsen.

Die Tops der CIOs

Auf den beiden letzten CIO-Veranstaltungen 2008 fragten COMPUTERWOCHE und "CIO" die Teilnehmer nach den interessantesten Themen des Jahres.

  1. Den Mehrwert der IT für das Business darstellen - so lautet das Anliegen, das engagierte CIOs am meisten bewegt.

  2. Ein Evergreen ist das Business-Process-Management, also die Standardisierung von Geschäftsprozessen und der Aufbau einer Management-Struktur.

  3. Selbstverständlich treibt die CIOs auch die Frage um, wie die IT-Kosten flexibel und transparent gestaltbar wären.

  4. Green IT spaltet die CIO-Gemeinde: Während viele den Begriff für den Flop des Jahres halten, suchen andere nach einem realistischen Zugang.

  5. Das große Interesse an IT-Governance überrascht nur auf den ersten Blick: Ist sie doch die Grundlage für jedes erfolgreiche IT-Management.

  6. Absolut keine Überraschung ist das gute Abschneiden des Themas Innovations-Management.

  7. Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern und die Motivation der Crew beschäftigt ebenfalls viele CIOs.

  8. Standortvorteile nutzen: Die Vor- und Nachteile des globalen Sourcings werden in der CIO-Community diskutiert.

  9. In diesem Zusammenhang gewinnen auch Software as a Service und Cloud Computing an Bedeutung.

  10. Nur noch unter ferner liefen rangiert Mobile Computing.

CIOs, die für Furore sorgten

Daniel Hartert wird Anfang 2009 die Geschäftsführung der Bayer Business Services GmbH (BBS) übernehmen. Als Nachfolger des engagierten und eloquenten Andreas Resch tritt der 50-Jährige in große Fußstapfen.

Die vergangenen sieben Jahre verbrachte Hartert außerhalb der deutschen CIO-Community - zuerst als IT-Verantwortlicher von Philips Electronics in Eindhoven, später als CEO Imaging Systems bei Philips Healthcare in Boston.

Rainer Janßen ist unser "CIO des Jahres"in der Kategorie Großunternehmen. 2008 schuf er mit seinem Team eine neue Enterprise-Architektur, die seinem Arbeitgeber das Risiko-Management erleichtern soll. Hand in Hand damit geht der Aufbau einer Service-orientierten Anwendungsentwicklung. Ziel ist nicht nur der Effizienzgewinn, sondern auch die engere Verbindung zwischen Business und IT.

Thomas Tribius stellte erst die IT beim Springer Verlag auf Apple-Technik um, dann macht er sich dünn und heuerte beim Versandhandelshaus Otto an. Nein, das ist kein Aprilscherz - auch wenn Tribius‚Äò letzter offizieller Arbeitstag bei Springer auf den 31. März 2009 fällt.

In der Otto Gruppe übernimmt er dann die IT-Gesamtverantwortung. Sein Erbe bei Springer teilen sich Rainer Altenbernd und Jens Güthoff.

Reinhard Schütte kommt voraussichtlich erst im nächsten Frühjahr. Aber Edeka hat ihn bereits als seinen neuen Finanz- und IT-Vorstand vorgestellt. Lang genug hatte sich der Handelskonzern ja Zeit gelassen, bis er sich auf einen Nachfolger für den heutigen Vorstandssprecher Markus Mosa einigen konnte.

Offiziell verantwortet Schütte derzeit noch IT, Personal und Finanzen der Dohle Handelsgruppe in Siegburg.

Bodo Deutschmann muss ein Guter sein, denn er wurde schon zweimal zum "CIO des Jahres - Mittelstand" gekürt. Der CIO der Kögel Fahrzeugwerke überzeugte die Jury unter anderem mit einem Projekt zur Fahrzeugortung via GPS.

Vor drei Jahren ließ er schon einmal die Konkurrenz hinter sich, nachdem er ein neues CRM-System eingeführt und mobil mit dem Außendienst verbunden hatte.

Michael Kranz gehört weder zu den Aufsteigern noch zu den Preisträgern des Jahres. Trotzdem verdient es der CIO des Abfüllanlagen-Herstellers Krones, an dieser Stelle herausgehoben zu werden - für sein besonnenes und beherztes Engagement in Sachen Anwenderinteressen. In der DSAG und im CIO Circle warb er dafür, die geplante Erhöhung der SAP-Wartungskosten nicht stillschweigend hinzunehmen.