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Aigner, Assange, Affentheater

Das Jahr 2010 im World Wide Web

16.12.2010
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Skandal des Jahres

Als Wikipedia-Gründer Jimmy Wales im April 2009 auf der re:publica in Berlin zu Gast war und ihm der hier schreibende Redakteur die Frage stellte, was er denn von Wikileaks halte, gab sich Wales zurückhaltend: "Ich finde es sehr interessant, auch wenn die Initiatoren noch viele Fehler machen und sich nicht immer an gesetzliche Bestimmungen halten, was die Veröffentlichung von Inhalten angeht. Sie brauchen Standards, die die Seriösität von anonymen Quellen regeln und die sie gegen juristische Fallstricke schützen" (siehe "Schulen ans Wiki").
Wales sollte Recht behalten - 2010 ist das Jahr, in dem Wikileaks Kontakt aufnimmt - Kontakt mit den knallharten Gesetzen im Politgeschäft. Bleibt es nach der Veröffentlichung von blutigen Dokumenten aus dem Irak-Krieg im Oktober noch vergleichsweise ruhig, sorgt der Scoop mit den US-Botschaftsdepeschen Ende November für den GAU. Amerikaner und Deutsche geben sich gleichermaßen angefressen und verurteilen einmal aufs Neue die Informationsfreiheit. Wikileaks-Frontmann Julian Assange 007 wird seitens Interpol nunmehr dringend gesucht - allerdings wegen Vergewaltigung in zwei Fällen. Diese Vorwürfe gab es zwar schon länger, konnten jetzt aber bequem wieder aus der Schublade gezogen werden. Politisches Kalkül? Assange jedenfalls wird erst einmal verhaftet. Wie dieser Schlammschlacht-Agententhriller weitergeht, ist offen.

Deal des Jahres

Ob Ilse Aigner es wohl jemals bereut hat, keine "Gefällt mir"-Buttons mehr klicken zu können? Wohl eher nicht. Nachdem unsere Verbraucherschutzministerin mit den mangelhaften Datenschutzbestimmungen des mehr als 500 Millionen Nutzer schweren Giganten Facebook nicht mehr zufrieden ist, löscht sie kurzerhand ihr Profil und hängt diesen Vorgang sogleich an die große Glocke, wie sie es kraft ihres Amtes wohl auch tun muss, weil es um mehr geht als nur ihr persönliches Recht. Facebook nimmt die geplanten AGB-Änderungen, wonach Nutzerdaten an Drittanbieter veräußert werden dürfen, zwar nach zahllosen weiteren Protesten zurück. Mit der Datenschutz-Herrlichkeit ist es auf der Plattform auch künftig wohl nicht weit her…

Person des Jahres

… und nun gibt es sogar auch noch einen Facebook-Film. "The Social Network" schildert (ziemlich realitätsfern) den Aufstieg des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg und die Intrigen, in die auch junge, dynamische Internet-Gründer in Silicon Valley schnell gelangen, sobald es ums richtig große Geld geht. Zuckerberg jedenfalls liebt oder hasst man seitdem - dazwischen gibt es nichts mehr. Und nur das ist wahre Prominenz.

Rekordpreis des Jahres

13 Millionen Dollar sind seit der Finanzkrise fast ein Kleckerli. Trotzdem sorgen 13 Millionen Dollar 2010 für einen neuen Rekord: sex.com ist 13 Millionen Dollar wert - zumindest hat jemand soviel für die Adresse gezahlt und damit die teuerste Domain der Welt erworben.

Abstieg des Jahres (national)

Mit ganz viel Brimborium trat die Piratenpartei im vergangenen Jahr zur Bundestagswahl an. Pro Netzfreiheit lautete das Credo. Dem verschreibt sich die Partei bis heute, nur die mediale Aufmerksamkeit hat sie etwas aus den Augen verloren. Da hilft auch die zwischenzeitliche Aufnahme von Ex-SPDler Jörg Tauss und die angestoßene Google-Street-View-Diskussion wenig. Bleibt die Frage: Kommen die Piraten noch einmal wieder?

Abstieg des Jahres (international)

Medienmogul Rupert Murdoch wollte MySpace zur Nummer Eins unter den sozialen Netzen machen. Geklappt hat das definitiv nicht. In diesem Jahr gibt der einstige Vorreiter den Kampf gegen Facebook auf und will sich in Zukunft auf Social Entertainment verlegen.

Ein zweiter Totalverlierer ist die 3D-Welt Second Life. Die war zwar schon im vergangenen Jahr im Sinkflug, sorgt aber erst 2010 so richtig für Negativschlagzeilen, als Betreiber Linden Lab ein knappes Drittel aller Mitarbeiter vor die Tür setzt. Die Welt ist wohl einfach noch nicht reif für so viel Stubenhockerei…