Fraunhofer-Forscher entwickeln Fern-Coaching

Das Handy wird zum Nachhilfe-Lehrer

31.01.2008
Von Handelsblatt 
Vokabeln, Karten und Benimmregeln: Handy, PDA und iPod könnten bald zum mobilen E-Learning Center werden. Forscher vom Fraunhofer Institut arbeiten an einem System, das der Vielfalt der Formate gewachsen ist. Firmen könnten so ihre Mitarbeiter aus der Ferne coachen.

Reisen bildet. Noch besser ist, wenn sich Geschäftsreisende unterwegs gezielt weiterbilden - mit ihrem Handy, PDA oder iPod. Bislang spielt mobiles E-Learning jedoch kaum eine Rolle, weil die technischen Hürden hoch sind und es zu wenige Inhalte gibt. Geht es nach den Forschern der Fraunhofer-Einrichtung für Systeme der Kommunikationstechnik (ESK), wird sich das ändern. "Geschäftsreisende werden ihr Handy wie eine Reisetasche packen, mit allem, was sie unterwegs brauchen: Von Karten über Sprachlektionen bis hin zu Regeln für das Verhalten in fremden Kulturen", sagt Michael Stiller, Bereichsleiter an der ESK.

Die Forscher haben dieses Anwendungsszenario auf der Bildungstechnik-Messe Learntec in Karlsruhe vorgestellt, die heute zu Ende geht. Mit ihr lässt sich die Wartezeit am Flughafen mit kurzen Lernvideos auf dem Handy sinnvoll nutzen, oder auf dem Weg zum Businesslunch, um nebenher die fremdländische Küche und Benimm-Regeln zu studieren. Später einmal soll die Software per Satelliten-Ortung erkennen, was die jeweilige Situation erfordert: Etwa die richtigen Fragen beim Hotel-Check-In zu stellen. Die Lektionen des "ortssensitiven Vokabeltrainers" sind auf die jeweilige Umgebung abgestimmt. So soll das Gerät beispielsweise beim Einchecken am Flughafen die wichtigsten Redewendungen anzeigen und als Übersetzer dienen.

Einerseits sind mobile Geräte dafür ideal, anderseits ist es eine knifflige Angelegenheit, Inhalte dafür nutzbar zu machen. Unterschiedliche Endgeräte und Datenformate sowie das komplizierte Anpassen kosten Nerven. Hier setzen die Fraunhofer-Forscher an: "Lerninhalte können für Handys nur nutzbar gemacht werden, wenn die komplexe Infrastruktur auf einen Nenner gebracht wird", sagt Stiller. Die Geräte müssen in der Lage sein, unterschiedliche Dienste für SMS, MMS, Instant Messaging und Video Streaming zusammen zu bringen - was einer Puzzlearbeit gleicht.

Dies soll künftig ein übergreifendes System erledigen, an dem die Forscher arbeiten. "Wir entwickeln eine Art Baukastensystem, bei dem man all diese Dienste je nach Lerninhalt problemlos mischen kann", sagt Stiller. Eine Spezialsoftware erleichtert dem Anwender den Zugriff: Wenn ein Mitarbeiter sein Handy einfach neben einen Dienstrechner legt, sucht der Computer automatisch die für das Modell passende Software und überträgt sie drahtlos über Bluetooth- oder Infrarot-Technik. "Bisher musste die passende Software im Internet gesucht und überspielt werden. Mit unserer Service-Tankstelle entfällt das", sagt Stiller.

Er hält solche Dienste für aussichtsreich, weil immer mehr multimediataugliche Handys auf den Markt kommen und preisgünstige Flatrates für den schnellen Datenaustausch sorgen. Videostreams sind nun keine teure Angelegenheit mehr.

Auch intuitiv zu bedienende Geräte mit großen Displays wie das iPhone können für einen Schub sorgen. "Wenn es nun gelingt, mobile Endgeräte konfigurationsfreundlicher zu gestalten, könnte sich mobiles E-Learning zu einem Markt mausern", sagt Thomas Schmidt, Professor für Informatik an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Berufstätige würden mobiler und informierten sich unterwegs häufiger mit Hilfe elektronischer Medien. Diese Zeit würden sie in Zukunft zunehmend zum Lernen nutzen, sagt Schmidt. In Deutschland sieht der Spezialist für interagierende Mediensysteme aber erst in etwa fünf Jahren die Zeit für mobiles E-Learning gekommen: "Im Gegensatz zu anderen Ländern stehen wir erst am Anfang, auch weil hier eine lebenslange Lernkultur fehlt."

Denkbar sind auch Anwendungen wie E-Coaching, mit dem Firmen häufig fliegende Mitarbeiter unterwegs fortbilden können. Michelin hat dies bereits erprobt. Die Berliner Firma Ink-Lab hat neben Handys auch MP3-Player wie den iPod und Spielekonsolen wie die Playstation von Sony im Visier. Diese sollen künftig mehr können als nur für Unterhaltung zu sorgen. Zusammen mit Informatikern der HAW hat das Unternehmen eine Software entwickelt, durch die sich intelligente Wissensnetze und Vorlesungsinhalte verwalten lassen. Das System mit dem Namen "hylOs" trennt Inhalt, Struktur und Aussehen, um diese per XML-Technologie an unterschiedliche Displaygrößen und Leistungskapazitäten anzupassen. "Die Inhalte werden so verknüpft, dass sie geräteunabhängig abgerufen und dargestellt werden können, ohne sie vorher anpassen zu müssen", sagt Arne Hildebrand, Entwicklungsleiter bei Ink-Lab.

Lernende können dabei ihre Geräte weiter wie gewohnt steuern. Beispielsweise lassen sich über das iPod-Rad die Inhalte intuitiv erschließen. Allerdings stecke das Thema noch in den Kinderschuhen, sagt Hildebrand. Erst mit modernen Geräten mit hoher Rechenleistung und Speicherkapazität könne E-Learning für unterwegs an Fahrt aufnehmen. Weitere Bedingung: "Texte und Videos müssen in kleine Lernabschnitte unterteilt werden, denn unterwegs wird in kleinen Häppchen gelernt, da die Aufmerksamkeit nicht unbegrenzt hoch ist", sagt Hildebrand.