Das globale Dorf ist eine Fata Morgana

18.12.2003
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.

Auch die Arbeits- und Herangehensweise an neue Aufgaben variiert stark. Während deutsche Teammitglieder Projekte gerne klar strukturieren und komplexe Themen bevorzugen, probieren viele Chinesen oder Japaner lieber verschiedene Alternativen aus. Warten viele Chinesen auf konkrete Anweisungen des Chefs, fühlen sich amerikanische oder auch europäische Entwickler schnell bevormundet oder um ihre kreativen Ideen gebracht, wenn das Briefing zu detailliert ausfällt. Verstehen dagegen die asiatischen Kollegen nicht so genau, was sie machen sollen, warten sie einfach auf weitere Anweisungen, ohne nachzufragen.

Merkt der Teamleiter dann nach einigen Tagen oder Wochen, dass seine Leute noch nicht mit der Arbeit begonnen haben, kann sich der Zeitplan gehörig verzögern. Was sich für westlich geprägte Menschen wie ein schlechter Witz anhört, zeigt deutlich, wie unterschiedlich die gleiche Situation wahrgenommen wird. Bedeutet es für Asiaten einen Gesichtsverlust, emotional zu reagieren, erwartet vermutlich ein Spanier oder Italiener eine hitzige Debatte, ein Deutscher pocht darauf, den Zeitplan korrekt einzuhalten.

Was sich wie engstirnige und stereotype Vorurteile liest, kann im Arbeitsalltag und unter Stress gehörig Sand ins Getriebe bringen. Ohne ein großes Maß an Sensibilität und ein interkulturelles Training endet das verheißungsvollste Projekt leicht in einem Fiasko. Fehlen die Mittel, dass sich alle Teammitglieder vorab in einem Kick-off-Meeting treffen, helfen vom Team formulierte Regeln, Statusberichte und ein regelmäßiger Austausch per E-Mail oder Telefonkonferenz weiter. Dazu brauchen alle Teammitglieder mindestens verhandlungssicheres Englisch. "Die persönliche Beziehung ist sehr wichtig. Die Führungskraft sollte sich als Mensch zeigen", empfiehlt Köster. Asiatische Angestellte erwarten beispielsweise eine gewisse Fürsorge ihres Chefs.

Eine kritische Projektphase sind Konflikte. Während diese hierzulande meistens direkt diskutiert werden, darf der Verantwortliche beispielsweise in China nie direkt vor der versammelten Mannschaft darauf angesprochen werden. Köster empfiehlt das Vier-Augen-Prinzip und eine behutsame Wortwahl: "Wir haben ein Problem, was können wir tun." Es helfe, ähnlich einem strengen Vater, die Konsequenzen zu verdeutlichen, die ein Scheitern hätte. Die Altersstruktur spielt ebenfalls eine Rolle. Der Chef sollte nicht der Jüngste im Team sein.

Outsourcing, globale Märkte und internationale Entwicklungsprojekte gehören für viele Unternehmen zum Arbeitsalltag. Sich als einzige Gemeinsamkeit auf das von allen Projektmitarbeitern gesprochene, oft aber recht holprige Englisch zu verlassen, reicht nicht aus. Ohne fundierte Kenntnisse des kulturellen Hintergrunds, der Sprache oder Tradition erschweren sich die Bedingungen.

Kleinere oder mittelständische Unternehmen ignorieren die neuen Anforderungen weitgehend. Dabei verschaffen sich Firmen einen klaren Wettbewerbsvorteil, wenn sie interkulturellen Themen die nötige Aufmerksamkeit schenken. Denn trotz aller Hürden eröffnen sich mit der Vielfalt auch neue Horizonte. Das wusste schon der chinesische Philosoph Konfuzius: "Die Natur der Menschen lässt sie einander nah sein, doch die Gebräuche halten sie voneinander fern."