IT-Marktforschungsgesellschaften

Das Geschäft mit dem Wissen

06.07.2001
Sie erhalten ihre Informationen von Unternehmen und verkaufen ihre Informationen zum Teil wieder an die gleichen Firmen: Marktforschungsgesellschaften und Analysten haben sich einen festen Platz bei Anwendern und IT-Herstellern erobert. Ihr Wissen ist Grundlage für wichtige strategische Entscheidungen. Von Angelika Keller* und CW-Redakteur Joachim Hackmann

Seitdem das Orakel von Delphi und andere eher spirituelle Ratgeber nicht mehr en vogue sind, haben sich über die Jahrtausende andere Formen der Beratung herausgebildet. Wollen Unternehmen heute wissen, ob ihre Produktstrategien schlüssig und neue Märkte lohnend sind sowie ob ihr Marktanteil gestiegen ist, fragen sie Analysten, die angeblich weniger orakelhaft antworten als ihre antiken Vorbilder. Und das Geschäft blüht. Allein in Deutschland summieren sich Schätzungen zufolge die Umsätze der drei, vier größten Marktforschungsgesellschaft im IT-Bereich derzeit auf rund 100 Millionen Mark. Genaue Zahlen sind nicht zu haben - die Branche geht mit Informationen über sich selbst vorsichtig um.

Was ist es, das so viele Unternehmen heute die Nähe der modernen Orakel suchen lässt? "Natürlich wollen wir wissen, was sie über uns sagen und wie wir aus ihrer Sicht in unserem Markt positioniert sind", erklärt Gerhard Haberstroh, Market Impact Manager der Hewlett-Packard GmbH, Böblingen. Das ist aber nur die eine Seite. Es geht auch darum, sich Bestätigung zu holen und wichtige strategische Entscheidungen vor ihrer Umsetzung noch einmal mit Hilfe des Know-hows von Experten zu überprüfen.

Bleibt die Frage, woher die Branche das Wissen um die Vorgänge im Markt nimmt. "70 Prozent unserer Kunden sind IT-Verantwortliche in Großunternehmen, nur 30 Prozent der Klientel entstammen dem Herstellerlager", antwortet Jürgen Brettel, Geschäftsführer der Meta Group Deutschland GmbH und Vorstand der Meta Group AG. Ein anderer Analyst, der nicht genannt werden will, wird deutlicher: "Eigentlich sind die Dienste für die Hersteller nur Abfallprodukte der Erkenntnisse, die wir aus unseren Anwenderkontakten gewinnen." In der IT-Abteilung der Unternehmen erfahren die Analysten, wo der Schuh drückt und mit welchen Maßnahmen die Anwender Probleme beheben oder neuen Anforderungen begegnen wollen.

Ein Geben und NehmenDabei hat sich ein Mechanismus aus Geben und Nehmen entwickelt, denn natürlich engagieren die Kunden die teuren Helfer (die Spanne der Analysten-Tagessätze reicht von 5000 bis 20000 Mark plus Reisekosten) nicht nur zum Plausch über die eigenen Vorhaben, sondern sie wollen vom Wissen der Experten profitieren, das diese bei anderen Anwendern gewonnen haben. Mit jedem Kundenkontakt und jedem Problem, dem er sich gegenübersieht, wächst der Erfahrungsschatz eines Analysten, den er in künftigen Projekten wieder nutzen kann. So betreut beispielsweise jeder Meta-Group-Experte maximal 50 Kunden. "Da bleibt genug Zeit, technisches Know-how zu sammeln, eine Branche einschätzen zu lernen und ausführliche Kundengespräche zu führen", erklärt Brettel.

Vom teuer engagierten Externen erhält der Anwender in der Regel keine Problemlösung, sondern lediglich Ratschläge. Eine typische Aufgabe ist etwa die Auswahl einer IT-Lösung, beispielsweise im CRM- oder ERP-Umfeld. Ein Analyst wird seinem Kunden, nachdem er dessen individuelle Anforderungen, Umgebung, Branche etc. erforscht und bewertet hat, eine Liste von Anbietern präsentieren und deren Stärken und Schwächen erläutern. In diese Analyse sollte das gesamte Know-how des Experten einfließen, also auch das Wissen darum, welche Lösungen andere Anwender gewählt und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben. Ähnliches gilt für beratende Tätigkeiten bei der Einführung bestimmter IT-Produkte. Auch hier warten gute Consultants mit Wissen auf, welche Strategien (etwa flächendeckender versus sukzessiver Rollout) andere Unternehmen mit welchem Ergebnis bereits angewandt haben. Die Auswahl einer Produkt- oder Implementierungsstrategie trifft allerdings nicht der teure Analyst - der Kunde hat die Entscheidungsfreiheit beziehungsweise den Entscheidungszwang.

Benchmarking bietet Orientierung"Das sind Services, die alle großen Unternehmen in Anspruch nehmen", berichtet Henning Holz, Leiter des Qualitäts-Managements bei der Wacker-Chemie GmbH, München. "Man kann nicht alles selber untersuchen und bewerten, so dass man auf jemanden mit einem breiten Erfahrungsspektrum angewiesen ist." Gartner, Meta Group, Forrester und die Giga Group sorgen dafür, dass das Wissen nicht allein in den Köpfen der Mitarbeiter gespeichert ist. Sie unterhalten beispielsweise Informations-Pools, in denen in strukturierter und anonymisierter Form Leistungsdaten und Kennzahlen ihrer Kunden gesammelt werden. Diese Datenbanken sind Grundlage für Benchmarking-Dienste, die die Leistungsfähigkeit, Profitabilität und Ausgabenpolitik von IT-Abteilungen bewerten. "Natürlich wollen wir wissen, was die Nutzung von ERP-Diensten den durchschnittlichen Anwender in unserem Unternehmen kostet und ob wir mit unserer Preisgestaltung richtig liegen", erläutert Holz, "dafür benötigen wir Vergleiche mit anderen Firmen, die uns die Berater liefern."

Preisverhandlung im Dienste der AnwenderSolche Analysen werden häufig im Zuge einer Umstrukturierung vorgenommen, um etwa die IT-Abteilung in eine gewinnorientierte Einheit zu überführen, die möglicherweise auch Drittfirmen IT-Dienstleistungen anbietet. Dabei treten Fragen auf, deren Beantwortung ebenfalls das Geschäft von Gartner, Meta und Co. ist. Sie loten bei Bedarf die Auswirkungen auf die Organisationsform aus, klären rechtliche Aspekte, taxieren die Chancen am Markt und schulen die betroffenen Mitarbeiter. Hier leisten sie strategische Beratungsdienste gegen entsprechende Bezahlung.

Die Dienste der Anbieter müssen nicht immer nur kosten, sie können auch Ersparnisse bewirken. "Taktische Beratung" nennt es Gartner, andere Häuser liefern ähnliche Services unter anderer Bezeichnung. Sie schicken ihre Experten in die Anwenderunternehmen, um die IT-Verantwortlichen auf Preisverhandlungen vorzubereiten und bereits formulierte Verträge vor Unterzeichnung noch auf Fußangeln abzuklopfen. "Kunden fragen uns zum Beispiel auch: Was hat Microsoft für eine neue Lizenzpolitik, wie sollen wir uns in der Verhandlung aufstellen, um günstige Konditionen zu erzielen?", erklärt Peter Dück, Vice President und Research Group Director bei Gartner. Hier geben die Analystenhäuser ihre von ihnen selbst viel beschworene Neutralität auf und schlagen sich auf die Anwenderseite, denn immerhin versprechen einige Beratungshäuser ihren Kunden, gegenüber den Herstellern Preisnachlässe von 20 Prozent durchsetzen zu können. Umsonst sind diese Dienste natürlich nicht: Einige Firmen verlangen Fixpreise, andere lassen sich durch einen erfolgsabhängigen Obolus entlohnen.

Streng nach Tagessatz oder Festsumme wird hingegen abgerechnet, wenn die Häuser ihre Consultants zur Projektbegleitung abstellen. Als Aufpasser schauen die Experten den implementierenden Unternehmen auf die Finger - Qualitätskontrolle während der gesamten Projektlaufzeit lautet ihr Auftrag. In solchen Fällen überschreiten die Beratungshäuser oftmals ihre selbst gesteckten Grenzen: Die Tages- und Implementierungsarbeit ist per definitionem nicht ihr Geschäft, doch bei projektbegleitenden Aufgaben ist die Trennungslinie zwischen beratenden und ausführenden Tätigkeiten nicht immer klar zu erkennen. Die IT-Aufpasser sind in die Entscheidungsfindung aktiv involviert, müssen demnach auch Partei ergreifen. Das sollten sie immer zugunsten des Anwenders tun, der sie ja entlohnt. Ein anderes Bezahlungssystem herrscht hingegen beim Beziehungs-Management, bei dem die Consultants eine Mittlerrolle zwischen Anbieter und Anwender einnehmen. Typischerweise werden derartige Dienste bei Outsourcing-Abkommen in Anspruch genommen, in denen die Partner Dienste benötigen, die denen eines Eheberaters ähneln. Als unabhängige Instanz, die gleichermaßen von beiden Parteien engagiert und bezahlt wird, sollen Consultants Zwistigkeiten und Probleme lösen.

Das ist eine heikle Aufgabe, denn mehr noch als bei den anderen Consulting-Tätigkeiten ist hier nicht allein der Erfahrungsschatz, sondern auch die soziale Kompetenz des Mittlers gefragt. "Was eine Beratung bringt, hängt sehr stark von der Persönlichkeit und dem Hintergrund eines Consultants ab", meint Wacker-Chemie-Manager Holz. "Ob einer von McKinsey, Gartner oder der Meta Group kommt, ist gar nicht so wichtig." Die Basis jeglicher Beratungstätigkeit ist nämlich das Vertrauen, denn immerhin erfährt der Consultant Einzelheiten über die IT-Installation und -Strategie eines Unternehmens, die ja oftmals eng mit Vorhaben im Kerngeschäft verbunden sind. Nach Abschluss eines Projekts geht der Experte dann um einige Erkenntnisse und Erfahrungen reicher möglicherweise zum Konkurrenten dieses Kunden, um dort in Projektarbeiten sein neu erworbenes Wissen einfließen zu lassen. "Das Verhältnis zwischen uns und unseren Kunden ist sensibel und eine absolute Vertrauensfrage", bestätigt Gartner-Analyst Dück.

Zwei Jahre SperrfristSicher sei es ein Problem, dass Berater auch für Konkurrenten tätig sind, so Holz. Andererseits profitiere man als Kunde seinerseits vom Wissen, das die Experten woanders gesammelt hätten. Zwar gibt es auch das Instrument, per Vertrag Hürden einzubauen, die es etwa dem Analysten verbieten, zum direkten Wettbewerber zu wechseln, doch "so etwas lässt sich jedes Beratungshaus vergolden", warnt Dück. Sehr wohl sind solche rechtlichen Barrieren allerdings im Projektgeschäft möglich, wo externe Dienstleister Zugang zum Allerheiligsten der Unternehmen haben. In der Chemiebranche sind dies die Rezepturen (die sind patentrechtlich geschützt) und die Produktion im großtechnischen Maßstab. "Wenn wir etwa ein Projekt aufsetzen, um unsere Produktionsverfahren zu testen, wäre es sicher eine Überlegung wert, den Beratern für einen gewissen Zeitraum zu verbieten, ähnliche Aufgaben beim Konkurrenten zu übernehmen", erläutert Wacker-Chemie-Mitarbeiter Holz. Ein bis zwei Jahre Sperrzeit sind dabei übliche und ausreichende Fristen. Während eines solchen Zeitraums hat der rasante technologische Wandel das erworbene Wissen nahezu wertlos gemacht.

*Angelika Keller ist Journalistin in Herrsching am Ammersee.

So werden Prognosen gemachtAnalystenhäuser folgen zwei unterschiedlichen Arbeitsweisen. Quantitativ arbeitende Marktforscher liefern Zahlenmaterial und Statistiken zu Marktvolumina, Marktanteilen und Produktverbreitung, dazu kommen numerische Einschätzungen zukünftiger Entwicklungen. An erster Stelle werden in dieser Kategorie IDC und Dataquest, der Marktforschungsbereich von Gartner, genannt. Die Meta Group, Gartner, Giga Group und Forrester Deutschland treffen hingegen qualitative Aussagen.

Die Auskünfte dieser Consulter sind immer ein Produkt aus Informationen, die sie von Herstellern und Anwendern beziehen, und eigenen Einschätzungen. Der Analyseprozess ist dabei das Erfolgsgeheimnis jeder Beratung. Bei der Meta Group ist die Meinungsfindung zentralisiert. Insgesamt forschen 250 Analysten an neuen Erkenntnissen und übermitteln ihre Einschätzungen etwa zu "Enterprise Data Center Strategies" oder "Global Networking Strategies" der US-Zentrale. Für jeden dieser insgesamt sieben Bereiche gibt es einen verantwortlichen Service Director, der die Informationen prüft und entscheidet, ob es sich um ein lohnendes, publikationswürdiges Thema handelt. Wenn ja, wird es im wöchentlich stattfindenden Research Meeting besprochen. Ein intensiver Meinungsaustausch führt zur ersten "Bottom Line", die vor Veröffentlichung noch von drei Stellen abgesegnet werden muss und dabei noch abgeändert werden kann. Ergebnis dieses Vorgangs ist, dass Kunden weltweit überall die gleiche, eben die "Meta-Meinung", zu hören bekommen.

Bei der Erarbeitung der "Gartner Position" gibt es je nach Thema regional oder weltweit tätige Meinungsführer, die die Aussagen der Gesellschaft formulieren und verantworten. Spezialität von Gartner ist die Erarbeitung von Quadranten, die die "Ability to execute" (Bewertung der Umsetzungsmöglichkeit) und die "Completeness of Vision" (Vollständigkeit der Vision) eines IT-Herstellers oder eines Sachthemas in Relation bringen. Vor der Veröffentlichung müssen alle Texte von mehreren Verantwortlichen abgezeichnet werden. Dabei gilt das Prinzip: Je größer die Tragweite der Äußerung, desto höher die Position des Abzeichnenden.

Trotz der eingebauten Qualitätsprüfungen lassen sich Fehleinschätzungen nicht vermeiden. In Erinnerung geblieben ist etwa Gartners Prophezeiung, IBMs Betriebssystem OS/2 habe eine große Zukunft vor sich. Auch die euphorische Beurteilung des Dotcom-Marktes durch die meisten Analysten hat das Vertrauen in die Branche geschwächt.