Schutzschirm der nationalen PTTs wird löchrig

Das Fernmeldewesen braucht ein neues Profil

30.10.1987

MÜNCHEN (sch) - Die Forderung nach mehr Liberalisierung und Wettbewerb auf dem jahrelang vom Schutzschirm der nationalen Fernmeldeverwaltungen umgebenen Telekommunikations-Markt, das Gebaren der Unternehmen auf diesem Sektor sowie Problemstellungen im ISDN-Zeitalter standen im Vordergrund eines Fach-Symposiums auf der Systems. Außerdem wurden Wege einer besseren Telekom-Kooperation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft aufgezeigt.

"Eine Umgestaltung des staatlichen Fernmeldewesens in eine Aktiengesellschaft wie die Lufthansa wäre nur nach einer Änderung des Grundgesetzes möglich. Die dazu nötige Zweidrittelmehrheit ist kurzfristig nicht zu erwarten." Von dieser Prämisse ausgehend beschreibt Eberhard Witte, Vorsitzender der Regierungskommission für Fernmeldewesen und Professor vom Institut für Organisation der Universität München Möglichkeiten zur Entmonopolisierung der Deutschen Bundespost. Aus seiner Sicht empfiehlt sich eine völlige Freigabe des Marktes für alle Endgeräte, auch für den Telefonapparat am einfachen Hauptanschluß.

Völlige Freigabe des Marktes für Endgeräte

Darüber hinaus sollen alle Dienstleistungen der Telekommunikation mit Ausnahme des Telefondienstes für jeden privaten Anbieter offen sein. Die Errichtung und flächendeckende Weiterentwicklung der Infrastruktur müsse jedoch weiterhin als staatliche Verpflichtung erkannt werden. Allerdings ist daran - so Witte - die Bedingung zu knüpfen, daß privaten Dienstleistungsunternehmen bedarfsgerechte Mietleitungen in Form von Festverbindungen zu angemessenen und wettbewerbsfähigen Konditionen überlassen werden. Wenn dies nach einer Überprüfungszeit von jeweils drei Jahren nicht der Fall sein sollte, empfehle sich auch die Freigabe des Netzwettbewerbs. Die ordnungspolitische Zukunft hänge also vom Verhalten der Telekom ab.

Wichtiger Schritt ist die Aufgabentrennung

Ein wichtiger Schritt besteht - so das Referat in seinen Schlußfolgerungen - in der Trennung zwischen Hoheitsaufgaben (Ministerien) und Betriebsaufgaben (Telekom). Die Telekom sollte einen managementorientierten Vorstand erhalten. Diese Organisationsform sei, wie die Bundesbahn seit Jahren zeige, nicht problematisch.

Auf Licht und Schatten von ISDN im Rahmen der neuen Telekommunikations-Ordnung (TKO) machte Otto F. Schröter vom Ingenieurbüro für Kommunikationstechnik aus Loßburg in seinem Beitrag aufmerksam. Begrüßenswert seien die frühe Bekanntgabe der ISDN-Universal-Anschluß-Grundgebühren und Wählverbindungsgebühren mit dem Festhalten am 23-Pfennig-Preis für alle Telefon-Zeittakte und das Angebot für die 30-kanalige Anschließung von digitalen ISDN-fähigen TK-Anlagen über S-2M-Anschluß für Fest- und Wählverbindungen für eine Grundgebühr von 518 Mark pro Monat.

Zu den Nachteilen hingegen zählten die hohen Gebühren für ISDN-Festverbindungen zwischen Endstellen und Anlagen. Daß für solche Kommunikationswege Pauschalkosten "in Höhe von 80 Stunden Verbindungszeit" - im Gegensatz zu 40 Stunden bei analogen Anschlüssen - erhoben würden, sei unverständlich. Das Verkehrsverhalten der Endstellen ändere sich nicht, wenn man statt analog digital telefoniere.

Zweites Handicap: Während ISDN-Festverbindungen zwischen Anlagen in der Ortszone und im Fernbereich aus Schröters Sicht durchaus akzeptabel sind, werden alle Betreiber von digitalen TK-Anlagen in der Nahzone durch unverständlich hohe Gebühren dafür "bestraft", daß sie am Ortsrand oder im ländlichen Raum mit kleinen Ortsnetzen angesiedelt sind. Die genannten Nachteile müssen laut Schröter als "ISDN-Bremse" bezeichnet werden. Hoffentlich würde die Post auch hier letztendlich anwendergerechte Gebühren festlegen.

Hohe Risiken bei Kooperationen

Für Telekommunikation werden nach auf dem Kongreß zitierten Diebold-Erhebungen etwa 650 Milliarden Mark ausgegeben. Treibende Kräfte seien der technische Fortschritt, der zunehmend flächendeckende Lösungen erlaube, marktöffnende Standardisierungen und eine rasant anwachsende Zahl von Endgeräten. Sie ließen das Marktvolumen pro Jahr um fünf bis zehn Prozent wachsen. Vom Gesamtmarkt entfielen zwei Drittel der Umsätze auf Kommunikationsdienste und hier insbesondere auf Fernsprechdienste.

"Nur" 220 Milliarden Mark pro Jahr werden den Angaben des Vorsitzenden Geschäftsführers der Frankfurter Diebold Deutschland GmbH, Gerhard Adler, zufolge für Telekommunikationsausrüstungen auf den Tisch gelegt, wobei jedoch rund 100 Milliarden Mark Umsätze mit Datenterminals und Datenkommunikations-Steuereinheiten hinzuzurechnen seien, die man nach den bisher üblichen Zählungen noch dem DV-Markt zuordne. 100 von den 220 Milliarden Mark entfielen auf die öffentlichen Netze.

Marktinsider Adler sieht auf dem Telekommunikationsmarkt auf die Dauer eine fortschreitende Tendenz zur Polarisierung. Bestimmend sein würden einerseits große Firmen wie andererseits kleine Anbieter von "Spezialitäten". Daneben sei auch ein Trend zu "Strategic Alliances" erkennbar. Jeder kooperiere inzwischen mit fast jedem, selbst mit Wettbewerbern. Adler: "Dabei sind die Risiken von Kooperationen und Beteiligungen beziehungsweise Fusionen hoch. Kooperationen leben vom Vertrauen, gerade in einem Umfeld, das sich in Verträgen kaum einfangen läßt." Erfolgreiche Beispiele seien eigentlich nur bei Unternehmen zu finden, die im Kerngeschäft nicht konkurrierten.

Hälfte der Fusionen wird rückgängig gemacht

Die globale Erfahrung lehre, daß mehr als die Hälfte der Fusionen und Übernahmen scheiterten beziehungsweise wieder rückgängig gemacht würden. Zudem sei die Homogenisierung der Produktpalette schwierig und häufig mit Kundenverlusten verbunden. Nicht vergessen dürfte man auch Zusatzkosten infolge der Zusammenschlüsse und den "Fusionstrust" von Mitarbeitern.

Michel Carpentier, der das im März 1986 neu gegründete Generaldirektoriat für Telekommunikation, Informationsindustrie und Innovation bei der EG-Kommission leitet, sieht aus Wettbewerbsgründen die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit der europäischen Industrie für notwendig an. Die Telekommunikation würde ein mehr und mehr internationales Geschäft, an dem Europa einen angemessenen Anteil haben sollte.

Wichtig sei es auch, neue Kommunikations-Dienste wie Teletex, Videotex, ISDN oder paketvermittelnde Services europaweit zur Verfügung zu stellen. Des weiteren plädierte Carpentier für die verstärkte Einführung von Value-Added-Services sowie 2-MBit-Leitungen und verwies auf das sogenannte "Green Paper" als Stimulans für eine europaweite Diskussion auf dem Telekommunikations-Sektor.