Wegen geringer Speicherkapazität oft ein zu kleiner Wortschatz

Das elektronische Wörterbuch hat noch einige Schwachstellen

10.04.1992

Mittlerweile kennt sie fast jeder: die kleinen, handflächengroßen Sprachwunder, die in jeder Jacken- oder Handtasche Platz finden, und die dem Anwender rasch helfen sollen, das richtige Wort in der fremden Sprache zu finden. Gadgets werden sie in Fachkreisen genannt, elektronische Nachschlagewerke, sie sind im Begriff, das gedruckte Wörterbuch Schritt für Schritt zu ersetzen. Claus Tully* beschreibt Vor- und Nachteile.

Bei diesen Geräten handelt es sich um nichts anderes als um das altbekannte und bewährte Wörterbuch - nur eben mit dem kleinen Unterschied, daß es elektronisch funktioniert. Und das heißt, daß der Benutzer - vorausgesetzt, er ist in der Lage, das Gerät zügig zu bedienen - wesentlich effektiver damit umgehen kann als mit dem gedruckten Vorbild. Doch nicht nur die Geschwindigkeit beim Nachschlagen ist es, derentwegen viele dem Gadget den Vorzug geben.

Mit einem Wörterbuch zu arbeiten kann mühselig sein. Schon allein das Vor- und Zurückblättern kostet Nerven, insbesondere dann, wenn gerade Eile angesagt ist. Elektronische Wörterbücher erweisen sich da als deutlich überlegen. Das gesuchte Wort, das per Tastatur eingegeben wird, erscheint auf Knopfdruck in der Fremdsprache.

Hier allerdings liegt schon der erste Schwachpunkt. Einige Anbieter haben es nämlich vorgezogen, die Buchstaben auf der Tastatur in alphabetischer Reihenfolge anzuordnen. Das mag auf den ersten Blick logisch erscheinen, erweist sich aber beim Eingeben der Suchwörter als gravierender Nachteil.

Denn vorn Großteil der Benutzer wird damit eine langwierige Umstellung verlangt: Mancher , bewanderte Computer- und Schreibmaschinenbenutzer wird sich fast wie ein Analphabet vorkommen, wenn er sich auf der Suche nach dem passenden Buchstaben durch das Alphabet hindurchquält.

Auch andere negative Überraschungen bleiben bei vielen Geräten nicht aus. Wer etwas mehr erwartet als nur die "Allerweltswörter" in der fremden Sprache, wird enttäuscht sein, wenn er das alte Wörterbuch wieder herauskramen muß, weil das elektronische den Suchbegriff nicht gespeichert hat.

Die oft geringe Speicherkapazität der Gadgets erlaubt den Herstellern von elektronischen Wörterbüchern nicht, das unterzubringen, was ein gutes Wörterbuch eigentlich ausmacht. Neben verschiedenen grammatikalischen Hinweisen (Wortart, Geschlecht, Unregelmäßigkeit in der Konjugation oder Deklination) will der anspruchsvollere Benutzer Antworten auf weitere Fragen haben: Wie wird das gefundene Wort gebraucht? Handelt es sich um einen Begriff aus einer Fachsprache oder ist es ausschließlich in der Umgangssprache gebräuchliche? In welcher syntaktischen Form muß es verwendet werden? Gibt es Beispielsätze, die die Benutzung erleichtern? Hier lassen viele der angebotenen Geräte den Kunden im Stich.

Ganz negativ wirkt sich das Fehlen jeglicher Lautschrift aus. Die Aussprache überlassen die Hersteller der Phantasie des Benutzers beziehungsweise seinen Vorkenntnissen. Wer allerdings bereits über Vorkenntnisse verfügt, wer die Regeln der Aussprache kennt und sich einen Einblick in die jeweilige Grammatik verschafft hat, kann die Vorteile, des elektronischen Wörterbuchs, ausreichender Wortschatz vorausgesetzt, von nutzen.

Die meisten Geräte bieten Zusatzfunktionen. Als nützlich für den Reisenden erweist sich dieZusammenfassung einzelner Begriffe nach Sachgebieten. Der Benutzer erhält eine je nach Kapazität des Gerätes verschieden große Anzahl von Wörtern, die er zum Beispiel in einer Autowerkstatt oder in einem Restaurant braucht.

Manche Geräte haben sogar einen sogenannten Phrasenspeicher, der dem Benutzer kurze, situationsbezogene Sätze und Redewendungen anbietet, mit denen er sich in der Landessprache verständlich machen kann. Allerdings gilt auch hier, daß die limitierte Speicherkapazität den Umfang der Phrasen empfindlich einschränkt. Eine Währungstaste, mit Hilfe derer sich Kurse speichern lassen, erleichtert das Umrechnen der jeweiligen Landeswährung in Mark. Das wäre zwar mit dem zumeist eingebauten Taschenrechner auch mögliche aber lange nicht so bequem. Eine kleine Datenbank verfügt über genügend Speicherplatz, um wichtige Adressen und Telefonnummern aufzunehmen. Die wesentliche Zusatzfunktion aber, auf die kaum einer der Hersteller verzichten will, liegt in einem anderen Bereich. Wohl wissend, daß ein Großteil der Kunden jugendliche und Kinder sind, haben die Produzenten der Gadgets Spiele eingebaut.

Manchem Vater mag der Kauf leichter fallen, wenn er erfährt, daß diese Spiele zumeist auch zum Erlernen der Fremdsprache genutzt werden können. Speziell angepaßte Varianten des altgedienten "Hangman" basieren darauf, daß der oder die Spieler möglichst frühzeitig das vom Gerät vorgegebene Wort in der Fremdsprache erraten beziehungsweise erschließen und zu guter Letzt auch noch lernen.

Ob so viel pädagogischer Idealismus tatsächlich angebracht ist, bleibt fraglich, Sicher ist, daß sich diese Spiele nicht dazu eignen, eine Sprache zu erlernen, wohl aber dazu, das Lernen spielerisch zu unterstützen.

Die höherwertigen Produkte, insbesondere wenn sie als elektronische Wörterbücher verwendet werden, sind auch in diesem Fall wiederum nicht die billigsten. Je ernsthafter und intensiver ein solches Gerät benutzt werden soll, desto mehr lohnt es sich aber, tiefer dafür in die Tasche zu greifen.