Softwaretrends/Integrationsprojekte brauchen eine solide Architektur

Das Echtzeitunternehmen setzt EAI voraus

13.06.2003
Echtzeit-Management ist derzeit in aller Munde, versprechen die Konzepte doch effizientere Prozesse und mehr Transparenz. Eine Voraussetzung dafür sind integrierte IT-Systeme innerhalb der Unternehmen sowie über Betriebsgrenzen hinweg. Doch die Komplexität solcher Projekte ist sehr hoch und verlangt ein methodisches Vorgehen.Von Frank Hüther und Alexander Fahrnholz*

Vivek Ranadivé hat es schon Ende der 90er Jahre gewusst: Unternehmen müssen künftig so aufgestellt sein, dass sie rasch auf Ereignisse reagieren können. In seinem Buch "Power of now" propagierte Ranadivé, Gründer und CEO von Tibco, deshalb das Realtime-Enterprise. Seine Forderung: Nur durch integrierte, aufeinander abgestimmte Prozesse, Anwendungen und Daten ist es Firmen einerseits möglich, schnell auf sich verändernde Marktverhältnisse zu reagieren. Zum anderen lassen sich durch die Integration heterogener Systeme innerhalb von Betrieben und über Unternehmensgrenzen hinweg Kosten senken, da Geschäftsprozesse schneller und sicherer ablaufen. Der Weg dahin ist jedoch oft mit Stolpersteinen übersät. Denn die Projekte sind komplex, da viele unterschiedliche Systeme, viele Personen, Partner und Unternehmen involviert sind. Der Konflikt ist vorprogrammiert, wenn bei der Umsetzung nicht methodisch vorgegangen und schon zu Beginn eine durchgängige und konsistente Architektur entworfen wird.

Master-Data-Management in der Diskussion

Die Echtzeitvisionen des Tibco-CEO sind heute in der Praxis bei bedachter Vorgehensweise umsetzbar: Der "Enabler" dafür ist Business-Integration. Durch Integration von Daten, Applikationen, Prozessen und Personen entsteht letztlich ein Realtime-Unternehmen. Neben den Kosteneinsparungen steigen dadurch die Qualität der Prozesse sowie deren Grad an Automatisierung. Echtzeitunternehmen sind jederzeit online zu erreichen, wodurch sich die Fähigkeit erhöht, auf Änderungen zu reagieren. Zugleich lässt sich die Produktivität steigern bei gleichzeitig geringerem Bedarf an Ressourcen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, schneller auf Störfälle reagieren zu können. Derzeit werden in Zusammenhang mit Realtime-Unternehmen und Integration Konzepte eines Master-Data-Managements (MDM) diskutiert. Hierbei sollen Stammdaten etwa für den Einkauf, den Vertrieb oder auch die Produktion zentral gepflegt werden und in Echtzeit allen Beteiligten zur Verfügung stehen.

ERP-Pakete befreien nicht von Integration

So mancher IT-Verantwortliche dürfte nun anmerken, dass sich solche Strategien mit integrierter ERP-Software, wie sie seit Beginn der 90er Jahre verkauft wird, doch umsetzen lassen sollten. Die zum Teil mächtigen Pakete laufen alle integriert auf einer zentralen Datenbank - Redundanzen gibt es nicht, oder wenn, dann gewollt. Alle Softwarefunktionen haben Zugriff auf ein und denselben Datenbestand, der stets aktuell gehalten wird. Und neben den klassischen ERP-Funktionen wie Finanzen, Personal, Produktion und Warenwirtschaft bieten die namhaften Hersteller heute zusätzlich eine Reihe integrierter Speziallösungen an, etwa für das Customer-Relationship- und Suppy-Chain-Management (CRM und SCM) sowie für Business Intelligence (BI). So weit die Theorie.

Die Praxis zeigt allerdings, dass größere Unternehmen durchschnittlich rund 50 verschiedene Softwareprodukte im Einsatz haben, wie Untersuchungen des Marktforschungsunternehmens Meta Group und des Softwareherstellers Siebel Systems zeigen. Daneben gilt: Selbst wenn Anwender auf die Lösungen eines Herstellers vertrauen, sind diese oft in mehreren Instanzen und zum Teil in sehr unterschiedlichen Release-Ständen implementiert. Zudem ist klassische ERP-Software, wie sie heute am Markt verfügbar ist, stark funktionsorientiert entwickelt worden, spiegelt mit ihren Modulen also eher den organisatorischen Aufbau von Unternehmen wieder als dessen tatsächliche Prozesse.

Ein weiterer Punkt, der die Echtzeitfähigkeit bisheriger IT-Landschaften stark einschränkt ist, dass die neuen Komponenten der ERP-Anbieter etwa für CRM, SCM oder BI den gewünschten Leistungsumfang nicht ausreichend abdecken, so dass hier viele Betriebe Produkte von Drittherstellern einsetzen, die wiederum mit dem Kernpaket verknüpft werden müssen (Best of Breed). Die IT-Welt ist demzufolge heterogen und der Bedarf an Integration vorhanden, um ein tatsächliches Echtzeitunternehmen zu schaffen. Dabei bedeutet Echtzeit, dass Informationen zu dem Zeitpunkt und an dem Ort verfügbar sind, wo und wann sie gebraucht werden. Sie hängt insofern von der Geschwindigkeit ab, mit der Prozesse arbeiten.

Hier greifen die Konzepte und Technologien von Business Integration oder auch Enterprise Application Integration (EAI). Der erste Ansatz von Business Integration war, Daten und Applikationen unternehmensintern zu verbinden. Hierin steckt bereits ein hohes Einsparungspotenzial, da die Kosten für die Einbindung eines Anwendungspakets über Punkt-zu-Punkt-Integration rund 70 Prozent des Projekt-Gesamtbudgets verschlingen und die Wartung bezüglich Zeit und Aufwand erheblich erschweren. Mit Hilfe von EAI erfolgt die Integration nun möglichst so, dass sich vorhandene Anwendungen weiternutzen lassen und nicht verändert werden müssen. Das erspart zum einen teure (Neu-)Entwicklungen und Erweiterungen der "alten" Software, deren Anpassung zum Teil kaum noch möglich ist. Andererseits vereinfacht es die Pflege und Wartung der Integrations-Schnittstellen.

Verschiedene Softwarehersteller bieten dazu Lösungen an, die sie unter anderem als "Integration Server", "Integration Suite" oder "Business Server" bezeichnen. So unterschiedlich die Namen auch sind, allen gemein ist: Eine zentrale oder dezentrale Software verbindet sich mit den einzelnen vorhandenen Anwendungen, konvertiert die verschiedenen Datenformate (Mapping), ermöglicht den Austausch der Daten verschiedener Anwendungen untereinander, kombiniert die Funktionen verschiedener Anwendungen zu neuen Funktionen und ermöglicht es neuen Anwendungen auf die vorhandenen zuzugreifen. Die altbekannte Punkt-zu-Punkt-Verbindung mit unzähligen, kaum noch wartbaren Interfaces weicht einer zentral kontrollier- und wartbaren Integrationsdrehscheibe.

Middleware ersetzt Punkt-zu-Punkt-Verbindung

Dabei baut ein Integration Server die Verbindung mit den einzelnen Anwendungen über Adapter oder Konnektoren auf - die Hersteller halten eine unterschiedliche Zahl vorgefertigter Konnektoren bereit, meist für weit verbreitete Anwendungen wie relationale Datenbanken, ERP-Systeme á la SAP, CRM-Produkte und Messaging-Systeme wie "MQ Series" von IBM. Darüber hinaus verfügen die EAI-Tools der führenden Hersteller über Entwicklungswerkzeuge, mit denen sich eigene Konnektoren programmieren und bestehende anpassen lassen.

Neben den klassischen Integrationsfunktionen bieten EAI-Suiten heute Features für das Prozess- und Performance-Management, stellen Portale als Benutzer-Frontend zur Verfügung und unterstützen Web-Services. Mit dem Prozess-Management lassen sich, wie der Name bereits sagt, Geschäftsprozesse modellieren und der Workflow beschreiben. Das Prozessmodell ist dabei das Abbild der realen Geschäftsprozesse, während der Workflow dessen technische Umsetzung im System darstellt. Der Nutzen liegt darin, dass sich Abläufe unternehmensübergreifend transparent und grafisch beschreiben lassen, so dass auch der Endanwender aus der Fachabteilung in der Lage ist, die Modelle zu verstehen und auf Konsistenz zu überprüfen. Ferner lassen sich die einzelnen Softwarebausteine innerhalb der EAI-Suite zentral überwachen und steuern.

Durchlauf- und Reaktionszeiten als Messgröße

Die Komponente Performance-Management - auch als Business Acitivity Monitoring (BAM) bezeichnet - lässt sich als eine Weiterentwicklung von BI-Funktionen beschreiben. Unternehmen sind damit in der Lage, die Leistungsfähigkeit ihrer Prozesse anhand vorher definierter Messpunkte aufzunehmen und diese dann zu bewerten. Typische Bespiele sind hier das Messen der Durchlaufzeit von Aufträgen oder die Reaktionszeiten auf Serviceanfragen von Kunden. Die Komponente Portal hat sich mittlerweile zur universellen Benutzer-Schnittstelle für Daten, Applikationen und Dienste entwickelt. Portale bieten einen personalisierten Zugriff auf interne und externe Applikationen, Workflows und unterstützen somit Benutzer in ihren collaborativen Aufgaben innerhalb und außerhalb von Betrieben.

Als neueste Technologie im Umfeld von Business Integration ergänzen Web-Services den Funktionsumfang bestehender Anwendungen. Die Idee dahinter ist, dass Unternehmen via Internet-Standards (WSDL, UDDI und Soap) auf Dienste zugreifen können, die sie nicht selbst bereitstellen möchten, oder umgekehrt Dritten ihre Leistungen in Form von Web-Services anbieten.

Was bei der Euphorie über die Potenziale von EAI oft in Vergessenheit gerät, ist die Komplexität, die den Einsatz der neuen Tools begleitet: Technisch ist fast alles möglich, doch nützt dies nichts, wenn EAI kein fester Bestandteil der Unternehmens- und IT-Strategie ist. Die hochpreisigen Produkte sind für ein Unternehmen nur dann sinnvoll, wenn sie exakt auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind. Ein Standard-EAI-Tool aus dem Baukasten, das alle Probleme löst, gibt es nicht.

Und genau hier liegen die Probleme der meisten EAI-Projekte: Warum übersteigen die Projektbudgets die geplanten Kosten? Warum stellen sich die erwarteten Verbesserungen nicht ein, oder warum ist das Projekt sogar vollständig gescheitert? Diese Fragen stellen sich viele CIOs und IT-Verantwortliche derzeit. Die Antwort darauf ist simpel: Die Erwartungen an die reine Technik sind zu hoch, die Komplexität des Projekts wird unterschätzt. Erfahrungen haben gezeigt, dass die Einführung einer EAI-Lösung oft genauso anspruchsvoll und strategisch ist wie die Implementierung einer ERP- oder CRM-Lösung, das Vorhaben aber häufig nicht die gleiche Aufmerksamkeit des Managements hat.

Hinzu kommt, dass EAI-Tools selbst sehr umfangreich sind, da sie viele komplizierte Produkte in einer Suite vereinen. Sie müssen von ihren Benutzern oft erst erlernt werden und setzen Erfahrung mit netzbasierender Applikationsintegration voraus. Bevor Unternehmen also beginnen, eine EAI-Plattform zu etablieren, sind sie zunächst aufgefordert, eine Reihe von Aufgaben abzuarbeiten. Leider werden diese allgemein bekannten Ansätze im hektischen Projektalltag allzu oft vergessen. Zu den kritischen Erfolgsfaktoren von EAI-Projekten gehören:

-EAI muss in der Unternehmensstrategie verankert sein - im Idealfall sollte man ein Competence Center für EAI aufbauen.

-Zu integrierende Prozesse gilt es im Sinne eines Business Process Re-Engineering (BPR) zu überdenken und gegebenenfalls zu überarbeiten. Denn nur weil man EAI-Tools einsetzt, werden uneffiziente Prozesse nicht besser.

-Zur Projektorganisation gehören IT und Fachabteilungen gleichermaßen.

-Die Projektverantwortlichen müssen mit weitreichenden Entscheidungskompetenzen ausgestattet sein.

-EAI kann die gesamte Organisation eines Unternehmens verändern. Diese Veränderungen müssen durch Change-Management begleitet werden.

-Da EAI-Projekte eine Vielzahl von Prozessen und Systemen berühren und sich das Unternehmen stark an einen Produkthersteller bindet, hat es sich als dringend erforderlich erwiesen, eine Gesamtarchitektur zur Unterstützung der durch EAI lose gekoppelten Systemarchitekturen zu entwerfen.

-Erforderlich ist auch eine komponentenorientierte Architektur. Sie definiert ein internes sowie ein externes Framework und bildet damit ein Regelwerk für weitere Entwicklungen, die Inbetriebnahme, die Wartung und das Vorgehen bei EAI-Projekten sowie den nachfolgenden Vorhaben.

-Für den Erfolg ist es zudem wichtig, die Erwartungen aller Beteiligten nicht zu hoch zu schrauben. Amortisierungszeiten von wenigen Monaten sind unrealistisch.

Um die Funktionsfähigkeit der künftigen Softwareplattform zu prüfen, hat sich darüber hinaus ein Proof of Concept bewährt. Allerdings wird dessen Bedeutung in der Praxis oft überschätzt und kostbare Zeit damit vergeudet. So diskutieren Projektentscheider bereits in sehr frühen Phasen über Features und Funktionen von Tools, bevor die Gesamtarchitektur steht. Die Tool-Auswahl ist zwar wichtig, doch sollte sie nicht Jahre, sondern maximal sechs Monate dauern. Denn im Vordergrund eines EAI-Projekts steht die bessere Leistungsfähigkeit des Unternehmens mit dem Ziel, Produkte und Services schneller und günstiger anbieten zu können. (ue)

*Frank Hüther ist Consulting Manager bei The Information Management Group (IMG) in St. Gallen, Alexander Fahrnholz ist Vice President bei IMG in München.

Nutzen von EAI

- Fundament für Echtzeitunternehmen;

- durchgängige und mit IT unterstützte Geschäftsprozesse;

- Prozess- und IT-Kosten sinken;

- Schnittstellen-Chaos entfällt, zentrale Überwachungsstelle für Integration;

- neue Anwendungen und Unternehmen lassen sich schneller einfügen;

- Standards ermöglichen die Zusammenarbeit (Collaboration) mit Partnern;

- kürzere Prozessdurchlaufzeiten;

- Zentralisierung von Aufgaben, etwa bei Stammdatenpflege und Einkauf.

Abb.1: Projekt mit Methode

Ein Vorgehen nach Phasen sowie ein flankierendes Projekt- und Change-Management sichern den Erfolg der EAI-Einführung. Quelle: IMG

Abb.2: Anforderungen analysieren

Die Aufgaben innerhalb eines EAI-Projekts sind vielfältig. Allein rund 50 Prozent des Gesamtaufwands entfallen auf die Gestaltung der Prozesse und je 20 bis 30 Prozent auf die Systementwicklung und Tests. Quelle: IMG