"Das DPV-Angebot entspricht dem Stand der Kunst"

03.03.1978

Mit Dipl.-Ing. Heinz Sarbinowski vom Institut für Datenfernverarbeitung der GMD sprachen die CW-Redakteure Dieter Eckbauer und Elmar Elmauer

- Wahrscheinlich von zunächst nur 30 Punkten will die Post 1979/1980 den Datenpaketvermittlungsdienst starten. Halten Sie 30 Punkte aus der Sicht des Anwenders für ausreichend oder würden Sie DPV anders aufbauen?

Ich glaube, das ist eine Ökonomiefrage. Man kann entweder von vorneherein zu hundert Prozent flächendeckend arbeiten oder versuchen, zunächst mit relativ wenig Punkten, wie hier mit dreißig, etwa zwei Drittel des gesamten Fernsprecheinzugsbereiches abzudecken. Wenn man von vorneherein flächendeckend einen neuen Dienst aufbaut, so muß man auch den Leuten, die ganz weit entfernt sind, die gleichen Gebühren geben wie denen, die an den Schwerpunkten sitzen. Selbst wenn man vorhat, einen solchen Dienst flächendeckend einzuführen, scheint mir sinnvoll, zunächst einmal mit Schwerpunkten anzufangen und von diesen Schwerpunkten aus dann zu einem flächendeckenden Netz zu kommen. Und wenn man gleich von Anfang an die Leute, die etwas weiter davon weg sind, den Dienst auch nutzen läßt, zu etwas höheren Kosten ist dies doch ein ganz guter Start.

- Nun hat die Post erklärt, sie würde erst einmal mit dem künftigen Benutzer den Bedarf diskutieren wollen und in welcher Form der Dienst kommen soll. Ist hinter dieser Aussage auch zu vermuten, daß die Post technisch noch gar nicht so weit ist, den Dienst wie vorgesehen 1979 oder 1980 zu realisieren?

Die Post geht an den Kunden heran um zunächst einmal die technischen Merkmale für diesen Dienst zusammen mit den Kunden zu erarbeiten. Die Frage, ob ein solcher Dienst von der Post technisch angeboten werden könnte, kann man so beantworten: Die Post kann so etwas auf dem Markt taufen. Die Dinge sind nicht neu.

- Verglichen mit den Netzen in anderen Staaten: Welchen technischen Standard realisiert der Datenpaketvermittlungsdienst? Ist das DPV-Konzept zeitgemäß oder überholt?

Der Datenpaketvermittlungsdienst so wie ihn sich die Deutsche Bundespost zur Zeit für eine eventuelle Realisierung vorstellt, ist das, was in Transpac, Telenet und Datapac über die Paketschnittstelle X.25 und über die Start-Stop-Terminalschnittstelle X.28 angeboten wird. Dieses Angebot entspricht dem derzeitigen Stand der Kunst.

- Das heißt: nicht mehr und nicht weniger?

Meiner Meinung nach ist es unumgänglich, einer breiteren Palette von vorhandenen Terminals den Zugang zu ermöglichen. Dazu werden in einer Übergangszeit, von wem auch immer, Anpassungsdienstleistungen zu erbringen sein. Mittelfristig muß man jedoch von diesen Anpassungsdiensten wieder wegkommen und bei der nächsten Terminalgeneration gleich von Anfang an Standardschnittstellen realisieren.

- Nun ist die Bundespost überzeugt, daß die wichtigsten Hersteller diese Standardschnittstellen in ihr Angebot aufnehmen werden. Beurteilen Sie das auch so positiv oder glauben Sie, daß das etwas länger dauert?

Immer wenn ein solcher Dienst von einem Carrier oder von einer Fernmeldeverwaltung angeboten wird und der Kunde zu seinen Herstellern geht und sagt, ich möchte diesen Dienst nutzen, unterstützen die Hersteller solche Dienste durch entsprechende Schnittstellen. Beispielsweise bietet IBM für Kanada und Frankreich solche Schnittstellen an.

- Herr Sarbinowski, Sie sagten, die Technik sei da, die kann man kaufen: Nun ist es aber eine Tatsache, daß X.25-Verträglichkeit bisher von den wenigsten Hardwareherstellern geboten wird. Liegt nicht in dieser Kompatibilitätsfrage ein zu großes Hindernis, als daß die Dinge wirklich 80 schnell realisiert werden können, wie Sie es vermuten?

X.25 ist eine neue Schnittstelle, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß Hersteller zur Zeit nicht offen damit auf dem Markt inserieren können. Daß diese Schnittstelle zur Zeit bei den Herstellern in der Entwicklung ist, ist kein Geheimnis. Denken Sie beispielsweise an Euronet: Dort sind fast alle größeren und auch kleinere Hersteller beteiligt und unterstützen diese Schnittstelle. Am Anfang wird diese Schnittstelle ohnehin mehr oder weniger in Form einer Emulation gemacht werden, manchmal mit Software, manchmal mit Hardware Blackboxes. Entscheidend ist, daß in zwei, drei Jahren, wenn sich dieser Dienst durchgesetzt hat, diese Schnittstelle dann auch genauso selbstverständlich von den Herstellern angeboten wird, zumal dieses Interface nichts anderes als V 24 auf einer etwas anderen Ebene ist:

- Auf dem VDRZ-Workshop wurden die USA als vorbildhaft hingestellt. Nun liegen die Verhältnisse in den USA ganz anders. Dort gibt es zur einzelnen Installation beim Anwender wesentlich größere Entfernungen. In Deutschland sind erfahrungsgemäß die meisten Terminals lokal installiert. Ist unter dieser Prämisse der Bedarf für echte Dialogdatenfernverarbeitung da? Oder kommt man als Anwender in einem Land wie Deutschland mit einer Remote-Batch-Verarbeitung eigentlich viel besser klar?

Ich glaube, die Untersuchung, die der VDRZ-Veranstaltung vorangegangen ist, hat klargemacht, daß es gerade für Servicerechenzentren eine lebenswichtige Angelegenheit ist, den Dialog nicht nur im Ortsbereich, sondern auch im Nah- und im regionalen Bereich führen zu können. Denn da sind eben die Gebühren zur Zeit so hoch, daß die Servicerechenzentren nicht immer die entsprechend attraktiven Angebote an ihre Kunden geben können.

- Können Sie denn schätzen, wie groß der Dialoganteil sein wird, wenn dieses Netz vorhanden ist?

Dieses Netz wird insbesondere für Dialoganwendungen geeignet sein, weil gerade der Dialog von seiner Verkehrsstruktur her eine mehrfache Betriebsmittelausnutzung erlaubt. Ich gehe davon aus, daß die Masse der zukünftigen Terminals dialogorientiert sein wird. Man muß einfach sehen, daß das eine Chance ist für einen Markt, der sich entwickeln kann. Und diese Chance muß man dem Markt geben. Der alte Herr Bell hat sich auch nicht träumen lassen, wieviele Leute im Jahre 1978 ein Telefon haben werden.

- Die Post will für DPV eine Gebührenstruktur aufbauen, bei der eine Harmonisierung zu bestehenden Datennetzen stattfindet - damit bestehende Netze nicht kaputtgemacht werden. Glauben Sie, daß nun eine dialogfähige Gebührenpolitik der Bundespost kommt?

Nun, es handelt sich bei der Datenpaketvermittlungstechnik um einen neuen Dienst. Dieser neue Dienst wird Gebühren haben, die für den Dialoganwendungsfall auf jeden Fall attraktiv sein werden.

- Attraktiver als jetzt?

Attraktiver als mit dem Fernsprechnetz.

- Sie haben nachgerechnet, daß derjenige, der jetzt mit Standleitungen arbeitet und diese Standleitungen bis zur Grenze ihrer Kapazität ausnützt, eigentlich vom Datenpaketvermittlungsdienst keinen Gewinn haben wird.

Er wird von den Gebühren her, weil Datenpaketvermittlungstechnikgebühren im wesentlichen für das übertragende Volumen berechnet werden, bei der reinen Volumensberechnung natürlich ungünstiger wegkommen: Einfach weil er keine Möglichkeit hat, Datenübertragungseinrichtungen mit anderen zu teilen, weil er tatsächlich hundertprozentig exklusiver Ausnutzer ist. Er wird allerdings davon Nutzen haben, daß sich mit Hilfe der Datenpaketvermittlungstechnik neue Schnittstellen durchsetzen werden, so daß der Trend bei Anwendern und Herstellern in Richtung auf offene Systeme gehen wird. Damit wird er auch zu seinen Endeinrichtungen Kompatibilität bekommen, so daß er dann auch via Standleitung mit Terminals unterschiedlicher Hersteller reden kann.

- Ist aus Ihrer Kenntnis der deutsche Anwender wegen der Postgebühren bei der Datenfernverarbeitung im Vergleich zu Amerikanern oder Franzosen benachteiligt?

Ich glaube, wenn die Deutsche Bundespost einen Datenpaketvermittlungsdienst anbietet, werden deutsche Anwender nicht benachteiligt. Der andere Punkt ist: Der Anwender wird seine Anwendungen immer so ausrichten, daß er die vorhandenen Dienste bei gegebenen Gebühren kostenoptimal nutzen wird. Das beweisen die Rechenzentren, die derzeit nachts den Batchverkehr abwickeln, weil das der günstigste Tarif ist.

- Welche Größe und welchen Leitungsbedarf sollte der Anwender haben, um optimal auf das Datenpaketnetz zu passen?

Jeder Anwender, der relativ wenig Datenübertragung hat und relativ lange Verbindungszeiten, ist ein angenehmer Teilnehmer in einem Datenpaketvermittlungsnetz, weil er sich ideal mit anderen Teilnehmern die Betriebsmittel teilen kann.

Dipl.-Ing. Heinz Sarbinowski

(Jahrgang 1941) hat sich nach der Systemsoftware-Entwicklung zielstrebig auf die Datenfernverarbeitung spezialisiert. Wobei sein jetziges Aufgabengebiet - nach dem theoretischen und praktischen Aufarbeiten von Problemen des Rechnerverbundes - innerhalb der GMD die "Beratung in Fragen der Datenfernverarbeitung" darstellt.

Zur GMD stieß Sarbinowski 1975.