Die neue Metropole der Multimedia-Unternehmen

Das digitale Tor zur Welt

22.02.2000
Von 
Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.
Hamburgs Wirtschaft wird von Dienstleistung bestimmt. Traditionell gehören Handel, Verkehr und Hafen zu den bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren. Die Hansestadt ist aber nicht nur Deutschlands ältester Versicherungsplatz, sondern auch die Metropole der Neuen Medien.

In alten Speichern, traditionsreichen Kontorhäusern und nagelneuen Bürobauten findet sich auf wenigen Quadratkilometern eine in Deutschland wohl einmalige Konzentration von Multimedia- und Softwarefirmen, Zeitschriften- und Onlineverlagen, Media- und Werbeagenturen, Online-Dienstleistern und Internet-Services.

"Der Hafen mit seinem einmaligen Flair übt offenbar einen ganz besonderen Reiz auf die Macher der neuen Medien aus", hat Stefan Klein, Leiter des Info-Office der Initiative Hamburg Newmedia@work und intimer Kenner der Medienszene, beobachtet. Viele Unternehmen der Media-Branche, die sich in Hamburg ansiedeln wollen, haben einen Firmensitz mit Blick auf Elbe und Hafen ganz oben auf ihrer Wunschliste - am liebsten in der alten Speicherstadt.

In den letzten Jahren hat sich hier einiges getan: Von den roten Backsteinhäusern mit den verwinkelten Dächern und den grünen Giebeln am Rande des Freihafens wurden viele ehemalige Lagerhäuser zu erstklassiger Bürofläche umgebaut. Wo früher Kaffee- und Teesäcke, Gewürze und Teppiche auf ihren Weitertransport warteten, haben Internet- und Multimedia-Agenturen Einzug gehalten- und tragen dazu bei, die einzigartige Architektur mit neuem Leben zu füllen. Denn die Lagerflächen aus dem vorigen Jahrhundert mit den schmalen Luken waren für den damals üblichen Stückgutverkehr geschaffen und erfüllen die Anforderungen des modernen Warenumschlags mit Vollcontainerschiffen schon lange nicht mehr.

Aber nicht nur am Hafen hat das digitale Zeitalter begonnen: Die innovationsfreudigen Unternehmen finden sich im gesamten Stadtgebiet verstreut. Auch hier wirken alte Fabriketagen, Lagerhäuser und ehemalige Montagehallen offenbar besonders anziehend. "Davon hat Hamburg durch seine Tradition im Handel, Schiffs- und Maschinenbau genug", sagt Klein.

1100 IT-Unternehmen

In Hamburg leben auf einer Fläche von ungefähr 755 Quadratkilometern rund 1,71 Millionen Menschen. Mit den angrenzenden Landkreisen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind es drei Millionen. Die Bewohner dieser Schlafstädte arbeiten meist in Hamburg, die Gemeinden sind mehr oder weniger eng mit der städtischen Wirtschaft verknüpft. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von über 142 Milliarden Mark gehört die Hansestadt zu den wirtschaftsstärksten Regionen Europas.

Die Frage allerdings, in welchem Maße die Informationstechnologie zur Wirtschaftskraft beiträgt oder wie viele Menschen in Hamburg im IT-Bereich ihr Geld verdienen, lässt sich indes kaum verlässlich beantworten. Eine klare Abgrenzung des klassischen DV-Segments mit Mikro-Elektronik, Hard- und Software zu Telekommunikation, Informationstechnologie und digitalisierten Medien scheint immer weniger sinnvoll. Gerade im Bereich Multimedia, der in Hamburg besonders stark vertreten ist, fließen die unterschiedlichen Qualifikationen aus Marketing, Design, Betriebswirtschaft, Management, Vertrieb und IT zu neuen Berufsbildern zusammen.

Die Neuen Medien konkurrieren mit dem DV-Kernbereich um die knappen Hochschulabsolventen mit handfesten IT-Qualifikationen. Wirtschaftsinformatiker und -ingenieure sind auch dort heiß begehrt. Wenn auch Content, Design und mediale Präsentation das Bild bestimmen, hat die digitale Medienzunft immensen Bedarf an IT-Experten, die die passenden Programme zu den Konzepten schreiben.

Bei der Handelskammer sind nahezu 1100 Unternehmen registriert, die mit Unternehmens- und Softwareberatung ihr Geld verdienen, weitere 250 Firmen mit dem Tätigkeitsfeld Softwareentwicklung kommen hinzu. Im Hardwarebereich verzeichnet die Statistik mehr als 130 Unternehmen. Die größte unter ihnen ist die deutsche Hauptverwaltung der Philips GmbH, die in Forschungslabors, Entwicklung und Produktion von Chips und Medizingeräten allein in Hamburg etwa 5300 Mitarbeiter beschäftigt.

Starke Medienkonzentration

Allein 700 bis 750 Unternehmen werden den Neuen Medien zugerechnet, mehr als 15 000 Arbeitsplätze hängen vom Internet ab, weiß Andreas Köpke von der Hamburger Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF). Dabei nimmt Hamburg in mehrfacher Hinsicht eine herausragende Stellung ein: Jeder dritte Klick des gesamten deutschen Internet-Traffics landet auf einem Hamburger Server, sechs der Top Ten Websites mit redaktionellen Inhalten kommen aus der Hansestadt, neun der 25 umsatzstärksten deutschen Multimedia-Agenturen haben ihre Zentrale oder eine bedeutende Niederlassung hier. Die Spanne reicht von Multimedia-Agenturen wie iXL, Pixelpark, Razor½sch bis zu den größten deutschen Internet-Vermarktern G+J Electronic Media Service, Interactive Media, Doubleclick Deutschland oder Quality Channel.

Der Newmedia-Bereich bildet dabei nur einen kleinen, aber überproportional wachsenden und zunehmend bedeutsamen Anteil der Hamburger Medienwirtschaft, die etwa 70 000 Mitarbeiter in 7500 Unternehmen beschäftigt. Auch hier wird Hamburg seinem Ruf als Medienmetropole gerecht: Viele der bekanntesten deutschen Werbeagenturen wie Springer & Jacobi, Scholz & Friends, Ammirati Puris Lintas, Jung von Matt oder KNSK/BBDO haben ihren Sitz an der Elbe. Mit dem NDR Funkhaus, dem Studio Hamburg, sieben privaten Hörfunkprogrammen und etwa 70 weiteren Firmen aus dem Funk- und Fernsehsektor entfallen nach einer DIW/HBI-Studie etwa zwölf Prozent aller deutschen Arbeitsplätze in diesem Bereich auf den Standort Hamburg. Noch eindrucksvoller der Printbereich: Mit Gruner + Jahr, Axel Springer, Bauer-Verlag, Verlagsgruppe Milchstraße und dem Jahreszeiten Verlag residieren fünf der sechs größten deutschen Verlagshäuser in der Hansestadt. Hier erscheinen auch die

bedeutenden Zeitungen Spiegel und Zeit.

Genau diese Konzentration im Medienbereich macht die Stadt für Newmedia-Unternehmen so reizvoll. Kathrin Heider, Sprecherin der Multimedia-Agentur Popnet: "Es ist kein Zufall, dass wir uns mit unserem Hauptsitz hier niedergelassen haben. Ohne Zweifel ist Hamburg die deutsche Multimedia-Stadt Nummer eins, mit einer einzigartigen Konzentration im Bereich Computer, Content, Communication." Das Unternehmen, das als eines der innovativsten der Szene gilt, hat sich mit etwa 330 Mitarbeitern im Kampnagel-Medienpark in Hamburg-Barmbek niedergelassen. Nicht nur Popnet weiß den Medienstandort Hamburg zu schätzen: Besonders entlang des Hafenrandes, wo ehemals Reedereien, Handelshäuser und hafenbezogene Dienstleister das Bild der Stadt prägten, fühlt sich die neue Branche wohl. Hier hat die digitale Zunft sich neben Verlagen und Werbeagenturen auf der "Hamburger Medienmeile" angesiedelt.

Bezahlbarer Gewerberaum

Hamburg hat natürlich mehr zu bieten als attraktiven Gewerberaum und den Blick über den Hafen. Mit dem breitgefächerten kulturellen Angebot von Kino, Musical, Theater und Kneipen, den Freizeitmöglichkeiten einer Metropole und Universitätsstadt mit mehr als 60 000 Studenten liegt Hamburg nicht nur aus kommerziellen Erwägungen bei den Firmenchefs im Trend. Auch die Mitarbeiter wissen die Lebensqualität des "Hochs im Norden", so eine NDR-Werbung, zu schätzen. Während sich der Buchhalter über Gewerbemieten freut, die sich nach einer aktuellen Untersuchung der Deutschen Immobilien Partner im Vergleich zu anderen Ballungszentren ausgesprochen moderat ausnehmen, ist der Mitarbeiter für vielfach noch erträgliche Wohnraummieten, Grundstücks- und Immobilienpreise dankbar, die gegen München, Stuttgart oder Frankfurt gelegentlich wie Schnäppchen wirken. Die Kulturmetropole, die auch unter jungen Leuten als attraktiv gilt, erleichtert den

Personalchefs die Akquisition in einem ohnehin engen Arbeitsmarkt. "Sie können ja mal versuchen, kreative Köpfe zu einem Unternehmen nach Gütersloh zu locken....", bringt Klein diesen Standortvorteil auf den Punkt. Auch im Hinblick auf der Internet-Provider AOL, der seine Europazentrale ebenso auf der Hamburger Medienmeile hat wie die erst kürzlich gegründete Bertelsmann Broadband Group.

Die finden sich hier in bester Gesellschaft: erfolgreiche Börsengänge, renommierte Unternehmen der Software- und New-Mediaszene, bedeutende Online-Publikation - die Liste liest sich wie ein Auszug aus dem Who’s Who der Branche: Sinner & Schrader, Kabel New Media, Popnet, Gauß-Software, Ricardo.de, Cyber-Radio, T-1 New Media, Vice-Versa, die Europazentrale von Adobe-Software, Fireball.de, Stern und Spiegel-Online markieren einige Glanzlichter der kaum mehr überschaubaren Szene.

Als Deutschlands Medienhauptstadt sieht sich die Hansestadt sowieso schon. Die Initiative Newmedia@work hat sich das Ziel gesetzt, die Führung noch auszubauen. Von der Wirtschaftsbehörde, der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) und einem Förderverein getragen, soll sie den Einsatz innovativer multimedialer Technologien und Anwendungen vorantreiben, die Rahmenbedingungen der ansässigen Anbieter verbessern, neue Unternehmen dazugewinnen und damit insgesamt die Wettbewerbsfähigkeit der Hamburger Wirtschaft steigern.

Dabei setzen auf der einen Seite EU-Richtlinien einem reichen Standort wie Hamburg enge Grenzen für eine finanzielle Förderung, erläutert Konrad Hildebrandt, als Referatsleiter in der Wirtschaftsbehörde für Telekommunikation und Multimedia zuständig. Seit Mai 2000 gibt es den Businessplan-Wettbewerb "Pitch-Fever", der im Rahmen der Initiative Hamburg Newmedia@work ausgetragen wird. Dabei wird jeden Monat die beste Geschäftsidee aus der "New Economy" mit einer Prämie von 100 000 Mark ausgezeichnet.

"Unsere Hauptaufgabe liegt nicht nur im Bereitstellen finanzieller Mittel, sondern auch in einer umfassenden Hilfestellung", umreißt Stefan Klein die Ziele von Hamburg Newmedia@ work. Er setzt dabei auf die kurzen Wege in einem Stadtstaat, unbürokratisches und schnelles Reagieren auch auf ungewöhnliche Anliegen sowie die Vernetzung und den engen Kontakt der beteiligten Stellen. "In Hamburg ziehen alle an einem Strang, wenn es darauf ankommt."

Nach Kleins Einschätzung könne Hamburg viel effizienter reagieren als große Bundesländer: Dort müsse die Förderung erst auf Kommunal- und Landesebene koordiniert werden, gelegentlich würden sogar verschiedene Städte miteinander konkurrieren. "Als jüngst ein englisches Software-Unternehmen in Deutschland eine Niederlassung gründen wollte und in mehreren Städten anfragte, haben wir alle gewünschten Auskünfte und Informationen schnell zusammengestellt und per E-Mail übermittelt. Der Briefumschlag aus einer deutschen Landeshauptstadt war wohl noch unterwegs, als sich die Firma längst für Hamburg entschieden hatte", berichtet Klein nicht ohne Stolz. Es komme auch vor, dass ein Mitarbeiter der HWF oder von Newmedia@ work einem ansiedlungswilligen Unternehmen Kontakte vermittelt, beim Notartermin dabei ist, bei der Suche nach Gewerberäumen oder im Umgang mit Behörden hilft.

Die Politik hilft mit

Als ihre weitere Aufgabe begreift es die Initiative, den Kontakt innerhalb der Szene zu verbessern. Aus den regelmäßigen Branchentreffs, die vor zwei Jahren mit etwa 40 Teilnehmern und belegten Brötchen begannen, sind heute Veranstaltungen mit bis zu 400 Besuchern geworden. "Wenn wir für das Catering aufkommen würden, wäre es schwierig zu erklären, warum Steuermittel für das leibliche Wohl von Managern einer gutgehenden Branche aufgebracht werden müssen, während dringend benötigte Kindergartenplätze nicht finanziert werden können", erläutert Klein. Darum kommen ein Förderverein, in dem etwa 180 Medienunternehmen vertreten sind, oder einzelne Mitglieder für diese Kosten auf. Aber die Grundvoraussetzung für das Funktionieren des Modells ist der politische Wille. "Mit unserem Wirtschaftssenator Thomas Mirow haben wir nicht nur einen aufgeschlossenen und kompetenten Mann an der Spitze, sondern auch einen überzeugten

Förderer der neuen Medien." Klaus Liedtke, Initiator und stellvertretender Vorsitzender des Förderkreises von Newmedia@work, findet lobende Worte für die politische Führung. Auch die Beratung durch den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten wird von der Wirtschaftsbehörde positiv beurteilt, da er den Firmen hilft, gesetzeskonforme Lösungen zu erarbeiten. Das alles führt zu einem kooperativen Klima, das auch für die Unternehmen der Branche spürbar ist und dieAttraktivität des Standorts verbessert.

Breites Angebot an Weiterbildung

Das größte Wachstumshindernis für die digitale Wirtschaft in Hamburg ist, wie in anderen Regionen auch, der Mangel an Arbeitskräften. Deswegen sitzt Klein von Newmedia@work nicht nur in seinem Büro im 18. Stock des Mundsburg-Hochhauses mit Blick über die Elbmetropole, sondern geht mit den Personalleitern oder Geschäftsführern auf bundesweite Recruitement-Tour und wirbt für den Standort Hamburg. Auch im Ausbildungsbereich wird an neuen Konzepten gebastelt. Mit dem "Multimedia-Führerschein" ist eine Qualifizierung geplant, die sich an verschiedene Zielgruppen richtet und die Grundlagen für den beruflichen Einstieg oder Umstieg in die Welt der neuen Medien schaffen soll. Bisheriger Stand: In einer Vollzeitausbildung könnten Realschüler, Abiturienten oder Absolventen geisteswissenschaftlicher Disziplinen bedarfsgerecht an das Multimedia-Business herangeführt werden. Auf der anderen Seite könnte ein Angebot mit Abend- und Wochenendkursen

auch für Berufstätige den Einstieg in die Medienszene ebnen. Nähere Auskünfte gibt es im Info-Office von Newmedia@work per E-Mail unter info.office@hamburg-newmedia.net.