"Kapitalismus geht in Richtung Social"

Das Business wird social

09.01.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Menschliche Roboter

Sie zitieren für ihre Sicht den Ökonomieexperten Gary Hamel und dessen Buch "What Matters Now: How to Win in a World of Relentless Change, Ferocious Competition, and Unstoppable Innovation" (deutsch: "Worauf es jetzt ankommt"). Hamel vertritt die Ansicht, dass traditionelle Ansätze der Mitarbeiterführung nach dem hierarchischen Befehls- und Kontrollmodell nur für die effiziente Massenproduktion im 20. Jahrhundert geeignet waren. Bislang habe sich dieses nicht mehr zeitgemäße Verhalten aber im Prinzip nicht geändert. Noch immer gehe es darum, "Menschen in semiprogrammierbare Roboter" zu verwandeln.

Web-inspirierte Werte

Dieses Management-Modell habe ausgedient. An seine Stelle würden als Schlüsselelemente der Unternehmensführung "Web-inspirierte Werte" treten: Gemeinschaft (= Community), Transparenz, Meritokratie, Offenheit und Kollaboration. Das seien die Ankerpunkte, von denen künftig der Erfolg von Unternehmen abhänge. Status- und Senioritätsprinzip hätten keine Zukunft mehr. Nur Unternehmen, die diese Vorgaben mit den herkömmlichen Vorstellungen von Verantwortlichkeit und Kontrolle kombinieren, könnten erfolgreich sein.

Ähnlich argumentiert Experton-Analyst Giering. Er schreibt, Transformationen innerhalb der Bereiche der Arbeitswelt, der Gesellschaft und der Technik böten mannigfaltige Möglichkeiten, um den sich wandelnden Anforderungen gerecht zu werden und zu effizienteren Arbeitsweisen zu gelangen. Das zielt auf den Kern der Diskussion, die Potenziale von Social Media.

Giering macht hierzu Anleihen bei der industriellen Revolution und den nach den Prinzipien von Frederick Winslow Taylor gestalteten Arbeitsabläufen. Er vertritt die These, dass bereits vor über 100 Jahren "erstmalig die klassische Trennung von Privat- und Arbeitswelt verschwamm". Genau das Argument ist heute en vogue - wenn auch aus anderen Gründen.

Social = Ausbeutung?

Provokativ fragt Giering, ob Social Business im Sinne des Taylorismus einen Rückschritt bedeute. Denn Social Business ziele "eben auch auf Arbeitsteilung, Produktivitäts- und Effizienzsteigerung ab". Er stellt zur Diskussion, ob "die gegenwärtigen Entwicklungen, mit all ihren vermeintlichen Vorteilen" nicht doch "bloß wieder ein Versuch sind, die menschliche Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten". Nein, sagt Giering.

Das Prinzip des Social Business sei "wohl eher in der postindustriell entstandenen Human-Relations-Bewegung der 1940er Jahre verortet, welche eine Humanisierung der Arbeit zum Ziel hatte". Um dieses Ziel zu erreichen, gab es im Wesentlichen drei arbeitsorganisatorische Maßnahmen: Job-Rotation, Job-Enlargement und Job-Enrichment - alle sind Kennzeichen von Social Media

Job-Rotation

Job-Rotation habe einen wiederkehrenden, systematischen Arbeitsplatzwechsel vorgesehen. Das stehe "im engen Zusammenhang mit den Prinzipien des Social Business". Der Trend zu "modernen Arbeitsplätzen, die die klassischen, starren Vorstellungen der Arbeit im Sinne eines festen Ortes und einer festen Zeit ablösen", entfalte sein Potenzial.

Job-Enlargement

Job-Enlargement wiederum sah eine horizontale Erweiterung des Tätigkeitsspektrums auf gleicher Hierachieebene vor. Eintönige Arbeitsabläufe sollten durch abwechselnde Einsatzbereiche gemildert werden. Auch das werde im Social Business wieder aufgegriffen, besonders durch das Prinzip des Crowdsourcings.

Job-Enrichment

Job-Enrichment habe früher die vertikale Erweiterung der Verantwortlichkeit der Mitarbeiter bedeutet, schreibt Giering. Konzepte des Social Business wiederum beziehen sich in hohem Maße auf die Schaffung von Transparenz und den Abbau innerbetrieblicher Hierarchien. Schlussfolgerung Giering: Social-Media-Konzepte werden effizientere Arbeitsweisen der Unternehmen erzielen und die Kollaboration der Mitarbeiter verbessern. So wird Social Media zum Social Business.

Ebenso sehen es die Gartner-Analysten: Soziale und mobile Techniken sollten dazu genutzt werden, Zwei-Wege-Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren Zielgruppen aufzubauen und zu unterhalten. Konzerne müssten "die 99 Prozent da draußen in die Unternehmen hineinholen und Teil des Konzerns werden lassen".

Unternehmen sollten ihre IT intelligent nutzen. So könnten sie etwa soziale Techniken wie kollaborative Software für Entscheidungsfindungsprozesse einsetzen. Firmen müssten solche Techniken als Innovationssysteme verstehen. Ergo müssten sie sicherstellen, dass die IT Katalysator solcher Innovationssysteme sei.

Der Maverick-Research-Report betont: Von entscheidender Bedeutung für einen "sozial werdenden" Kapitalismus sei, dass Unternehmen die gleichen Techniken wie die 99 Prozent nutzten. Nur so könnten sie die Art und Weise der Interaktion mit diesen verändern, "anstatt sie sich auf Armlänge vom Leib zu halten".