Die Zukunft der Telearbeit (Teil 2)

Das Büro zu Hause erspart den Streß auf dem Weg zur Arbeit

22.11.1991

Mit dem Begriff Telearbeit verbanden sich oft negative Assoziationen von gestreßten Mitarbeitern, die sich daheim am Bildschirm abmühten und gleichzeitig eine übermütige Kinderschar zu beaufsichtigten hatten. Diese Vorstellungen haben sich, so Rolf Kreibich, geändert. Viele sehen das Arbeiten zu Hause als eine Möglichkeit an, lange Fahrtzeiten zur Arbeit zu vermeiden.

Der Drang in die Telearbeit wird nicht nur aus der Not geboren. Gerade auch Beschäftigte in höherqualifizierten Tätigkeitsbereichen beginnen sich mehr und mehr für diese Arbeitsform zu interessieren. Ihnen geht es dabei um die Festigung ihrer relativ privilegierten Position und um einen Zugewinn an räumlicher und zeitlicher Flexibilität. Es handelt sich im allgemeinen um einen Personenkreis mit größerer Autonomie in der Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben, etwa um hochqualifizierte Sachbearbeiter, Systemprogrammierer, Systementwickler, PR-Agenten oder Berater von Vorständen. Die organisatorischen Formen, in denen sich die Telearbeit vollzieht, sind daher meistens Mischformen.

Entwicklung von neuen Arbeitsmodellen

Die Frage, welche konkreten Vorteile das Unternehmen daraus ziehen kann, bleibt häufig ungeklärt. Die Zurückhaltung derartige individuelle Bemühungen einzugehen, ist deshalb verständlich. Gleichwohl werden sich gerade über solche flexibleren Orts- und Zeitgestaltungen mittels Telearbeit schrittweise neue Arbeitsmodelle entwickeln.

Wie Vertreter von Unternehmen mehrfach hervorhoben, bringen so erzielte subjektive Vorteile den einzelnen unter Umständen dazu, auf ungeschützte Arbeit einzugehen. Diese Flucht aus dem Arbeitsrecht ist möglicherweise mit dem Mißbrauch der Flexibilisierung verbunden, etwa durch die Aufnahme von Zweit- und Drittarbeitsverhältnissen, durch die Weitergabe von Arbeit, durch Schwarzarbeit etc.

Lukrative Nische neben regulärem Job

Auf diesem Wege kann es auch zur Ausbreitung der "neuen Selbständigen" kommen, die neben ihrem Job beim Mutterunternehmen mit einem Kleinbetrieb die lukrativen Nischen einer sich wandelnden Nachfragestruktur nach Arbeit besetzen. Im Bereich der Angestelltentätigkeiten gehören hierzu vor allem die sich verstärkt entwickelnden Büro. und Datenservice-Unternehmen.

Ein anderes Problem der Dezentralisierung stellt die Lockerung der Arbeitsanbindung an das Mutterunternehmen (Differenzierung in Stamm- und Randbelegschaft) dar. Das betrifft auch das Verhältnis zu den betrieblichen Interessenvertretungen. Die Gewerkschaften sind auf die neuen Verhältnisse bisher kaum vorbereitet und halten sich vornehmlich an alte Konzepte und Organisationsstrukturen. Aber immer mehr Mitarbeiter sehen die Vorteile von flexiblen Arbeitsformen. Die Gewerkschaften stehen hier vor einer großen Herausforderung.

In allen westlichen Industrieländern läßt sich eine zunehmende Diversifizierung der Unternehmensstruktur feststellen. Große wie mittlere Unternehmen verlagern zahlreiche Tätigkeitsbereiche auf meist kleinere Subunternehmen. Sie führen die ehemals im Mutterunternehmen erbrachten Leistungen im allgemeinen billiger, schneller, unbürokratischer, kompetenter, risikoärmer und konfliktfreier durch.

Diese besonders in Japan ausgeprägte Zuliefer-, Dienstleistungs- und Transportstruktur hat durch zwei technologische Innovationsprozesse, nämlich den Ausbau der Informations-und Kommunikationsnetze sowie den Einzug der Mikroelektronik und des Computers in kleine und mittlere Unternehmen, einen besonderen Schub erhalten.

In den Bereichen minderqualifizierter Tätigkeiten (Texterfassung, Dateneingabe) sind die Subunternehmen sehr eng an den Auftraggeber gekoppelt. Diese Unternehmen arbeiten oft zu niedrigen Kosten und mit erheblichen sozialen Risiken. Die Subunternehmer (oder auch über "Franchise-Verträge" Beauftragte) haben oft keine Alternative zu dieser Scheinselbständigkeit.

Mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung

Bei höherqualifizierten Tätigkeiten können Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit mit der Durchführung von Telearbeit wachsen. Das kann bei spezifischen, auf dem Arbeitsmarkt besonders nachgefragten Tätigkeiten zu einer schrittweisen Ablösung von den Mutterunternehmen und hoher Autonomie führen. Die Mischarbeiterorganisation wird somit zu einem Experimentierstadium für zukünftige Selbständigkeit.

Für den Diversifikationsprozeß der Unternehmen sprechen eine Reihe von unternehmensstrategischen und betriebswirtschaftliche Gründe: - die Chance, die Produktions- beziehungsweise Dienstleistungskosten zu verringern,

- die Voraussetzung, flexibler auf die Anforderungen bei der Fertigung von kleinen Serien zu reagieren,

- generell die Möglichkeit, eine höhere Flexibilität in der Produktions- und Verwaltungsstruktur zu erreichen,

- die Minimierung des Stammpersonals,

- eine erhöhte räumliche Flexibilität und die Verringerung der Raum- und Mietkosten

- geringere Lagerhaltung und, Lagerhaltungskosten,

- die Herabsetzung der Anfahrtswege und -zeiten für die Beschäftigten durch Heranrükken der Arbeitsstätten an die Wohnungen, die Erhöhung der Innovationsfähigkeit.

Erhöhung der Unternehmensflexibilität

Diese Faktoren erhalten im Zusammenhang mit dem Trend bei den höherqualifizierten Arbeitskräften zu mehr Gestaltungsautonomie und Verwirklichung eigener Lebensentwürfe einen starken Realisierungssog. Es soll noch einmal betont werden, daß diese Tendenzen von zahlreichen sozial- und gesellschaftspolitisch höchst bedenklichen Negativeffekten begleitet sind, von der Aufspaltung in eine Zwei-Klassen-Belegschaft bis hin zu einer Aushöhlung der betrieblichen Mitbestimmung und einer Verschiebung der gesellschaftlichen Machtbalance zuungunsten der Gewerkschaften.

Grund für die Dezentralisierung ist die Tatsache daß neben das klassische Unternehmensziel "Produktivitätssteigerung" das Ziel "Erhöhung der Unternehmensflexibilität" tritt. Während in den Branchen des produzierenden Gewerbes noch das Produktivitätsziel dominiert, ist für die Geld- und Versicherungswirtschaft schon das Flexibilitätsziel bei der Einführung neuer technisch gestutzter dezentraler Informations- und Kommunikationsstrukturen wichtiger.

Für alle Branchen des Produktions- und Dienstleistungssektors gilt, daß mit der Einführung von dezentraler Telearbeit im Angestelltenbereich auch Informations- und Kommunikations- sowie Datenverarbeitungsprobleme über örtliche und funktionale Distanzen besser gelöst und neue effiziente und/ oder humane Arbeitsorganisations-Modelle gefordert werden sollen.

Bei den Hindernissen, die der Einführung dezentraler Telearbeits-Formen entgegenstellen, sind nicht etwa die Kostenprobleme ausschlaggebend (Investitionen, Gebühren, Personalkosten), sondern technisch-organisatorische Faktoren wie Standardisierung, Koordination, Umorganisition der Aufgabeninhalte, Technikauswahl, Datenschutz, Schaffung von Mischarbeitsplätzen, Aufbau eines Projekt-Managements und gleichrangig hierzu soziale Faktoren wie Einarbeitung des Personals, Akzeptanz, Verantwortung, Qualifikationsniveau, Training und Ausbildung Leistungsbereitschaft, technisches Verständnis, Abstimmung mit der Personalvertretung und Motivation älterer Mitarbeiter.

Funktionsfähige Modelle überwiegen bei Unternehmen, in denen das Klima zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat vertrauensvoll ist und eine frühzeitige aktive Einbeziehung der Betroffenen und Beteiligten erfolgt.

In anderen Fällen wurden Projekte teilweise abgebrochen oder nur unter erheblichen sozialen Kosten durchgesetzt.

Gründe für ein mögliches Scheitern

Die Telearbeit wird vor allem dort begünstigt, wo die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichgerichtet sind, das heißt, wo die betriebswirtschaftlichen Vorteile und unternehmensstrategischen Ziele mit den Wünschen der Arbeitnehmer nach mehr zeitlicher Flexibilität und autonomen Gestaltungs- und Entscheidungsspielräumen zusammenfallen ohne daß dadurch Ängste und Unsicherheiten im Hinblick auf den Arbeitsplatz entstehen.

So ist es kein Wunder, daß diejenigen Unternehmen, die den sozial-personalen Problemfeldern und den Organisationsfragen zu wenig Beachtung schenken, heute bei der Einführung komplexer technischer Systeme und Arbeitsorganisationsmodelle scheitern. Hier liegen die zentralen Management- und Mitbestimmungsprobleme. (wird fortgesetzt)