Computer in Krankenhaus und Arztpraxis:

Das "Arzt-EDV-Verhältnis" könnte besser sein

02.11.1979

Rechnern im Krankenhaus und Arztpraxis sind zwei große Blöcke zu unterscheiden: die EDV als "Verwaltungsangestellte" im Medizinalbereich und der Computer als Werkzeug bei Diagnose und Therapie, also zur Behandlung genuin medizinischer Problemstellungen.

Vor rund 15 Jahren begann man hierzulande Computer zur Lösung administrativer Aufgaben in Krankenhäusern zu installieren. In der Folge kam dann zeitweise fast so etwas wie eine EDV-Euphorie auf - manche Ärzte trauten den Logik-Automaten schier unbegrenzte Leistungen zu. In den letzten Jahren ist zunehmend eine nüchterne Skepsis im Umgang mit der "Ärzte-EDV" zu beobachten. Man lernt langsam die Grenzen der Computer zu sehen und sich mit ihren Möglichkeiten und Eigenheiten zu arrangieren.

Schon fast zum Standard gehören heute ausgefeilte Verwaltungsprogramme in den Krankenhäusern. Von der Verwaltung der Daten von Patienten, Ärzten und Krankenkassen über Lohn- und Finanzbuchhaltung (Umstellung auf kaufmännische von kameralistischer Buchführung) bis hin zur Materialverwaltung einschließlich Krankenhausapotheke verbessern diese Programme die organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhausmanagements ganz beträchtlich - nicht zuletzt mit Blick auf die vielfältigen statistischen Auswertungsmöglichkeiten des gesammelten Daten-Konvoluts. Krankenhaus-Verwaltungscomputer unterscheiden sich in ihrer Nutzanwendung eben nicht grundsätzlich von Rechenanlagen anderer größerer Organisationen oder Unternehmen.

Ganz anders hingegen sieht es mit der Datenverarbeitung in den einzelnen Arztpraxen aus - ein Thema, dem auch auf der letzten SYSTEMS wieder eine Reihe von Referaten gewidmet war. Gerade hier ist vielfach der "Optimismus verflogen", wie kürzlich eine Schlagzeile der "Ärztlichen Praxis" lautete - und das aus einer ganzen Reihe guter Gründe.

Fremdling Computer

Schon wenn der Arzt beim Eruieren der Vorgeschichte einer Krankheit den Patienten zu Hause "computergerechte" Anamnese-Fragebögen ausfüllen läßt, fehlen ihm wichtige diagnostische Hinweise, die er sonst aus den spontanen mimischen und gestischen Reaktionen auf seine Fragestellung ziehen kann. Auf diesen Mangel weisen viele Ärzte hin. Das dauernde Füttern und Abfragen der flimmernden, blinkenden Maschine stelle einen Fremdkörper- im herkömmlichen - vertraulichen - Gespräch des Patienten mit seinem Arzt dar, beklagt etwa der Ärzteverband "Hartmannbund". Davon ganz abgesehen gäbe es einfach noch kein spezifisches, arztgerechtes DV-System: Die heutigen Systeme seien entweder für einen viel zu hohen Datendurchsatz angelegt oder es fehle ihnen der Komfort, den der Arzt mit seinen geringen Datenmengen, seinen aber recht vielfältigen Benutzerwünschen vom System verlangen müsse.

Erklärungen für so manche Enttäuschungen mit Praxis-Computern weiß Professor Dr. med. P. L. Reichertz von der Medizinischen Hochschule Hannover anzubieten: Man habe in der Medizin eben erst lernen müssen, daß die wirklich sinnvollen Funktionen eines EDV-Systems keineswegs immer die sein müssen, die man sich zuvor theoretisch so schön ausgedacht habe, sondern daß die Möglichkeiten und Grenzen der EDV eben erst während der praktischen Nutzanwendung erkennbar würden.

EDV zum Arzt zu bringen wird dadurch noch erschwert, daß es laut Reichertz selbst in der Gruppe der praktischen Ärzte ("Allgemeinpraxen") unterschiedliche Praxis-Typen gebe, die jede in einer anderen Weise EDV-unterstützt werden müsse - manche übrigens am besten gar nicht. Man muß also sehr auf den Einzelfall eingehen.

Sekunden summieren sich beträchtlich

Hat man die jeweilige Situation genau abgeklärt, kann der Rechner durchaus zur sinnvollen Stütze des Arztes werden meint Reichertz - vor allem bei administrativen Aufgaben. Dabei komme es allerdings auf Schnelligkeit an, denn bei etwa 100 Patienten am Tag summieren sich die Sekunden ganz beträchtlich. Auch dürfte es mit der Wirtschaftlichkeit des Computers rasch vorbei sein übersteigt die Monatsmiete zwei Tausendmarkscheine, meint Reichertz nach gründlicher Auswertung der von ihm untersuchten Fallbeispiele. Hier resultiert der ökonomische Nutzen vor allem aus dem Zeitgewinn. Dieser schlägt sich ja allenfalls in größeren Praxen in Form von realen Personaleinsparungen wirtschaftlich nieder, in kleineren bestenfalls in Form einer Entlastung des Doc persönlich.

Gern sehen die Ärzte am Computer den Zugewinn an Systematik, Übersichtlichkeit und Vollständigkeit in ihrer Praxis. Doch sollten Programme künftig von vornherein schon so ausgelegt sein, daß der Arzt auch die medizinische Dokumentation seiner DV überantworten kann.

Medizinisch, verwaltungstechnisch und wirtschaftlich interessante Perspektiven tun sich auf, betrachtet man einen in ferner Zukunft denkbaren Aufbau patientenbezogener Computer-Informationssysteme - in seiner Komplexität allerdings ein Thema für sich. Klar ist

aber, daß jeder einzelne Schritt auf einem solchen Weg sorgsam auf seine Verträglichkeit mit den Forderungen des allgemeinen Datenschutzes und, hier noch viel schärfer greifend, des Arztgeheimnisses hin untersucht werden muß.