Das ADCycle-Konzept trägt einen Januskopf

06.04.1990

Geschäftsbereichsleiter bei Roland Berger & Partner, International Systems Consultants, München

Nach der IBM-Ankündigung des AD/Cycle-Konzepts und des zugehörigen Repository im September vergangenen Jahres gab es bei vielen Anwendern ein Aufatmen. Auch einige Softwarehäuser und Beratungsunternehmen fühlten sich in ihrer Strategie bestätigt: Endlich stand fest, wie das Anwendungs-Entwicklungsumfeld künftig aussehen würde.

Kein Frage: AD/Cycle und das Repository sind eine Conditio sine qua non für die Behebung des Anwendungsstaus sowie des Wartungs- und Pflegeaufwands. Außerdem läßt sich nur mit Hilfe eines solchen Konzepts die zunehmende Komplexität von Anwendungen und Integrationsaufgaben bewältigen.

Aber die mit diesen Tools verfügbar gemachte Konnektivität quer durch die Systemwelten der IBM - bei anderen Herstellern übrigens ein Muß, um überhaupt konkurrieren zu können - bedeutet auch eine noch stärkere Bindung der Kunden und diverser Softwarehäuser an die IBM. Der Grund dafür, ist die zunehmende Integration der IBM-eigenen Werkzeuge (siehe SNA und SAA). Und so ist denn das neue Konzept ein weiterer Beleg dafür, daß die IBM-Angebote oft einen Januskopf tragen.

Glück haben diejningen Software-Unternehmen, die von IBM unmittelbar durch Beteiligung in das neue Konzept hineingezogen wurden. Waren es e 11 halbes Jahr zuvor 13 Unternehmen, die den SAA-Segen der IBM erhielten, so gab es im AD/Cycle-Umfeld nur noch drei, nämlich Bachmann Information Systems, Index Technology und Knowledgeware. Der AD/Cycle-Ankündigung voran ging eine Minderheitsbeteiligung an diesen drei CASE-Anbietern.

Mit diesem Zug haben die Armonker in dem wichtigen CASE-Markt bedeutende, "Benchmarks" gesetzt. Auf welche Resonanz dieser "IBM-Schachzug" (wie es viele in der Branche titulieren) im Markt stieß, zeigt schon allein die Tatsache, daß bereits 35 Softwarefirmen ihr Commitment zum AD/Cycle abgegeben haben,

Mit AD/Cycle hat Big Blue ein weiteres Standbein für ihre langfristigen Ambitionen auf dem Boden. Um sinkende Hardware-Einnahmen auszugleichen, müssen über die Softwareschiene weitere Zuwächse generiert werden. Das Rebundling, neuerdings wieder heftig diskutiert, hat längst eingesetzt. Der Zweite im Markt, Digital Equipment, zieht inzwischen kräftig nach.

Da die IBM nicht alle Software allein liefern kann,

will sie zumindest ein möglichst großes Gerüst schaffen, an das sich die Add-on-Lieferanten halten müssen. Wie DB2 ist auch AD/Cycle einschließlich des Repository ein strategisches Produkt, das die IBM fest im Griff behalten wird. Der Rest mag dann dein Rest der Welt gehören.

Ihr umstrittenes "Cross System Product" (CSP) will die IBM weiterhin - diesmal in einer völlig überarbeiteten Form - anbieten. Die mit dem US-Hersteller Transform Logic entwickelte Version 3.2.2 soll Cobol-Code erzeugen können wenn auch kein von CSP unabhängiges "Native"-Cobol. Außerdem stellt IBM mit "Developmate" voraussichtlich ab 1991 ein eigenes Front-end-Werkzeug für die Unterstützung des Prototyping zur Verfügung, das mit dem Repository zusammenarbeiten wird.

Wirklich zum Zuge kommen werden die neuen Möglichkeiten jedoch nur peu Ó peu. Viele CASE-Anbieter erwarten die Freigabe des Repository nicht vor Mitte nächsten Jahres. Zunächst werden wohl auch nur Großanwender mit umfangreichen MVS-Installationen das Produkt nutzen können.

Das liegt zum einen daran, daß der Repository-Manager nur unter MVS angeboten wird. Zum anderen besteht das Repository aus einer der größten jemals entwickelten DB2-Datenbanken mit einer hochkomplexen Anwendung, die die Zugriffssteuerung übernimmt.

Die Unsicherheit über die damit verbundene Maschinenbelastung wird dazu führen, daß einige Avender in einer Art Wartestellung verharren. In dieser Situation werden viele ihre Informationen nämlich lieber in einem herkömmlichen Data-Dictionary speichern - in der Hoffnung, mittelfristig diese Informationen dann automatisch in das Repository integrieren zu können.

AD/Cycle markiert auf jeden Fall einen Eckpunkt, an dem sich die Software- und Beratungshäuser entscheiden müssen; ein weiteres Abwarten ist mit Sicherheit der Anfang vom Ende. Solange IBM noch wenig anzubieten hat, sollten sich die unabhängigen Softwarehäuser liebeln, gut placierte Add-ons auf den Markt zu bringen, um den Vormarsch von IBM in Richtung Doppelmonopolist (Hardware und Software) zu verhindern.

Ein Lamentieren darüber, daß auch das nicht am Interesse der IBM vorbeigeht, ist wenig hilfreich. Denn das eine zu tun, muß ja nicht heißen, daß man das andere läßt. Und dies andere ist die Arbeit an einem wirklich "offenen", also systemübergreifenden Rahmen.