Smart Retail Stores

Darum wird Amazon Go kein Selbstläufer

Kommentar  13.04.2017
Von Mike Elgan

Deshalb eröffnet Amazon Ladengeschäfte

Aus Amazons Patentanmeldungen geht auch hervor, dass für die Zukunft die Möglichkeit besteht, dass in den Retail Stores sowohl Technologien zur Gesichts- als auch Körpererkennung verwendet werden, um Sie während Ihres Einkaufs fortlaufend im Auge behalten zu können. Ist der Shopping-Vorgang dann beendet, verlassen Sie einfach den Laden. Sensoren erkennen das und stellen Ihnen den fälligen Betrag automatisch über Ihr Amazon-Konto in Rechnung. Wie Ladendiebstahl, nur mit Rechnung statt Bestrafung.

Die Technologie hinter den Amazon-Go-Läden ist also ziemlich fortschrittlich. Vielleicht ein wenig zu fortschrittlich? Laut einem Bericht von "Bloomberg" ist das Amazon-Go-System ziemlich überfordert, wenn die Kundenfrequenz im Laden ansteigt. Außerdem werde die KI von Menschen überwacht, damit sichergestellt sei, dass auch die richtigen Produkte erfasst werden. Glaubt man den Berichten, ist die "Just Walk-Out"-Technologie ganz allgemein noch recht fehlerbehaftet. Was in vertretbarem Rahmen auch in Ordnung ist. Anders sieht es aus, wenn die Gefahr von Totalausfällen besteht.

Amazon ist im Handel bereits eine Supermacht und bringt es bereits jetzt auf den doppelten Unternehmenswert von Walmart. Wieso also über das profitable Online-Geschäft hinausgehen fragen Sie? Ganz einfach: Es gibt durchaus Dinge, die die Leute nur kaufen, wenn Sie sie vor dem Kauf auch anfassen und/oder ausprobieren - erleben - können. Möbelstücke wie eine Couch zum Beispiel. Im Fall von Lebensmitteln und Fertiggerichten steht dagegen die Verderblichkeit der Waren einem Postversand in der Regel im Weg.

Doch Amazon hat schon mehrere Versuche gestartet, um den 800 Milliarden Dollar schweren Lebensmittelmarkt der USA zu erobern. "Amazon Fresh" beliefert inzwischen Haushalte in 20 US-Städten mit Lebensmitteln. Über den "Prime Now"-Service dürfen sich Amazon-Kunden in einigen ausgewählten Regionen mit Lebensmitteln aus Supermärkten in der Nähe eindecken.

Die Smartphone-Revolution im Einzelhandel?

Auch bei Starbucks arbeitet man an der Abschaffung von Kassierern und Kassen. Mit der hauseigenen Smartphone App kann man bereits heute bestellen und bezahlen - ganz ohne menschliche Interaktion. Erst vor kurzem hat die US-Kette in Seattle seine erste "Mobile only"-Filiale eröffnet.

Das schmutzige Geheimnis des Unternehmens: Das App-Geschäft funktioniert nicht wirklich gut. In der Praxis landen die Smartphone-Bestellungen nämlich allzu oft in der falschen Filiale. Was dann bedeutet, dass man sich trotz Bestellung anstellen muss. In anderen Fällen werden Bestellungen schlicht falsch zugeordnet. Das ruft auch Kaffeediebe auf den Plan, die dreist genug sind, um einfach in einen Starbucks zu laufen und die Bestellung eines Unbekannten in Empfang zu nehmen.

Der Drang nach "Gratis-Kaffee" hat in manchen Filialen in solchem Ausmaß Schule gemacht, dass App-Nutzer mancherorts erst einen Barista kontaktieren müssen, um ihre Bestellung zu erhalten, womit das ganze Konzept eigentlich hinfällig ist. Für Starbucks dürfte sich das Ganze dennoch lohnen, schließlich sind eventuelle Fehler relativ kostengünstig zu beheben. Was nichts daran ändert, dass die Technologie schlecht funktioniert. Auf andere Zweige der Retail-Branche ist sie deshalb nicht Ohne weiteres übertragbar.

Im klassischen Handel war Apple einer der ersten Riesen, die ein Smartphone-basiertes System in seinen Stores zum Einsatz gebracht hat. Seit 2012 ist die "EasyPay"-Technologie in den Apple Stores im Einsatz. Über die Apple-Store-App wird eingekauft, per Apple ID bezahlt. Der so generierte Kaufbeleg kann dann auf Verlangen vorgezeigt werden.

Fortschrittliche Technologie kommt bei dieser Lösung nicht zum Einsatz. Man könnte meinen, es handelt sich nur um ein Zusatz-Gimmick. Schließlich ist Sinn und Zweck eines Selbstbedienungskonzepts auch, Personalkosten einzusparen. Bei Apple ist eher das Gegenteil der Fall. Denn dieses System funktioniert nur deshalb, weil in den Apple Stores dutzende von Mitarbeitern herumwuseln, die das Geschehen im Auge behalten. Das kann sich nicht jedes Unternehmen leisten.

Einkaufserlebnis der Zukunft vs. Datenkrake Supermarkt

Amazon, Starbucks und Apple wollen die Illusion einer automatisierten, Smartphone-basierten Einkaufswelt in den Innenstädten erschaffen. Die Wahrheit ist: Die Technologie in den Vorzeige-Smart-Stores funktioniert oft nur halb so gut, wie es Image-Videos glauben machen wollen und sind im Regelfall nicht so einfach auf andere Geschäftszweige übertragbar.

Ein System wie "Just Walk-Out" macht das Einkaufserlebnis ohne Zweifel bequemer. Aber die echte Revolution - der Quantensprung - besteht in der Nutzung der gewonnenen Kundendaten. So wie Amazon, Google und Facebook jeden Mausklick und jede Scroll-Bewegung erfassen, während Sie sich im Internet bewegen, werden Konzepte wie Amazon Go künftig Ihr Einkaufsverhalten analysieren. Ihr Supermarkt wird künftig wissen, dass Sie vor dem Süßigkeiten-Regal mit sich gehadert haben. Er wird wissen, wie lange Sie für Ihren Einkauf gebraucht haben, welche Ladenbereiche besonders interessant für Sie waren und welche Produkte Sie gekauft haben.

In den nächsten Monaten soll der Amazon-Go-Laden in Seattle offiziell eröffnet werden. Es besteht die Möglichkeit, dass nur eine begrenzte Zahl von Kunden zeitgleich im Laden erlaubt ist. Die "Just Walk-Out"-Technologie wird in den nächsten Jahren noch jede Menge Fehler machen, die menschliche Supervisor bemerken und korrigieren müssen. Für die nähere Zukunft bedeutet das: Amazon Go wird ein halbgares Vergnügen bleiben. Der Konzern ist allerdings durchaus bereit das Lehrgeld zu zahlen, um die kassenlosen Ladengeschäfte zu etablieren. Das könnte sich am Ende mehr als nur auszahlen: Wenn die Technologie einmal fehlerfrei läuft, steht einem weltweiten Amazon-Go-Filialnetz nichts mehr im Weg.

Bevor es soweit ist, werden noch einige Jahre ins Land ziehen. Denn letztlich gilt für die Smart Stores das Gleiche wie für autonome Autos: Die Künstliche Intelligenz ist einfach noch nicht reif.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation computerworld.com.