Satire/

CW-Wert

13.09.1996

Die amerikanischen Kollegen sind bekannt für ihren kritischen, neudeutsch: investigativen Journalismus. Sie gelten als unbestechlich und zeigen vor bösen Buben selbst dann keinen Respekt, wenn diese - wie etwa der amerikanische Präsident über alle Zweifel erhaben scheinen. Die Sachlage ändert sich jedoch schlagartig, wenn der Gegenstand der Story Bill Gates heißt. Als ein beliebiger Beleg mag die Hausmesse von Computer Associates in New Orleans gelten: Als der Microsoft-Chef dort den Saal betrat, erhob sich die amerikanische Journalistenschaft geschlossen, um ihm mit Standing Ovations ihre Verehrung kundzutun. Dabei hatte Billy-Boy noch kein Wort gesagt, noch nicht einmal gelächelt. Eine spontane Diskussion mit Journalisten unterschiedlicher Herkunft erbrachte folgende Erklärung: Tatsächlich huldigen die Amerikaner weniger der Persönlichkeit als dem "American Dream". Als Heros gilt, wer es vom Tellerwäscher zum Millionär geschafft hat - mit welchen Methoden auch immer. So kommt es, daß man als deutscher Fachredakteur, die Hände im Schoß, dabeisitzt und sich wie ein moralinsaurer Spielverderber vorkommt. Woher, so fragt man sich, kommen angesichts einer derart devoten Haltung die kritischen Berichte über den Monopolisten Microsoft? Können die Kollegen, bei aller Bewunderung ihre Kritikfähigkeit bewahren, oder zählt in diesem riesigen Land Meinungsvielfalt vielleicht doch mehr als der Traum vom Erfolg?