Alternativen zur DEC-VAX: Kunden nicht nibelungentreu

CW-Umfrage: Wie urteilen VAX-Anwender über den Systemlieferanten?

27.03.1992

MÜNCHEN - Die VAX war lange Zeit eigentlich gar kein Thema: Wie der Mainframe in der Groß-DV mit Batch- und OLTP-Verarbeitung konkurrenzlos dastand, gab es neben der VMS-Maschine keinen ernstzunehmenden Rechner für technisch-wissenschaftliche, eventuell gar sicherheitskritische Anwendungen: DECs Flaggschiff lag voll im Wind.

Der festgefügte Sockel der VAX bröckelt jedoch: Seit das Betriebssystem Unix auf RISC als zunehmend leistungsfähiges Prozessor-Fahrwerk aufgesetzt wurde, erwächst der Science-Maschine von Digital Equipment Konkurrenz vorerst im unteren Leistungsbereich. Um Abwanderungsgelüste auch von High-end-VAX-Anwendern in diese Richtung zu unterbinden, kündigte der Welt-Hardwarezweite kürzlich seine Alpha-RISC-Architektur an - mit beeindruckenden Leistungsdaten. Diese soll VMS-Applikationen vollständig unterstützen.

Die CW befragte VAX-Anwender, wie sie die Zukunft ihrer Applikationen, aber auch der "alten" VMS-VAX sehen, wo deren Konkurrenz steht und ob es etwas gibt, das die Maschine und ihr Konzept noch von allen anderen abhebt. Da sich Digital nach der Integration von Kienzle und Philips Data ein anderes Profil ("Open-Systems-Company") zu geben trachtet, wollten wir außerdem wissen, wie die Company aus Maynard heutzutage von DV-Praktikern eingeschätzt wird und wie diese mit deren Leistungen im Felde sowie mit der Preisgestaltung zufrieden sind.

Offenbar erscheint DEC in hohem Maße als glaubwürdig, zumindest was das Versprechen der VMS-Portierung auf Alpha angeht: Zweifel wurden jedenfalls kaum laut, ob gegenwärtige Applikationen mit der neuen Hardwaregeneration nicht zum alten Eisen gehören könnten. Reiner Korth, DV-Leiter der VEW Kraftwerke Lingen, staunt indes über Digitals Ankündigung, assemblierte und gelinkte VMS-Anwendungen über einen Objektcode-Umsetzer komplett auf Alpha zu portieren, ohne den Quellcode rekompilieren zu müssen: "Das ist ja ein ganz neues Unterfangen, und inwieweit das mit einer hohen Sicherheitsrate praktikabel ist, wird man äußerst kritisch prüfen müssen."

Mit Alpha als künftiger Heimat für ihre VMS-Anwendungen haben die User kaum Probleme, sich schon bald mit einem Entwicklungsende der VAX-Linien traditioneller Architektur abzufinden. Zwischen zwei und acht Jahren schwanken die Schätzungen, wie lange DEC die VAX noch weiterentwickeln wird. Am Aus für den alten Prozessor hat Reiner Korth keinen Zweifel, er "könnte auch damit leben", wenn Alpha-Maschinen erst einmal "in allen Leistungsbereichen voll verfügbar" sein werden.

Einzige Überlebenschance für die CISC-basierte VAX sei, daß dies mit Verfügbarkeit er RISC-Chips "extrem billig werden, oder die Leute kaufen nur noch Alpha", glaubt Burkhard Rauch. Der Gruppenleiter Dezentrale Systeme und Kommunikation bei der Darmstädter Chemiefabrik Röhm GmbH ist dennoch vorsichtig mit seinem Urteil, solange er das Alpha-Pricing noch nicht kennt.

Der Nachfolger der CISC-VAX muß aber nicht für jeden Anwender Alpha heißen; Digital wird nicht verhindern können, daß die treuen User auch fremde Witterung aufnehmen: Ganz klar ist für den Emsländer Korth etwa, daß "RISC-Workstations verschiedener Ausprägung" gut im Rennen liegen; "aufgrund der günstigen Kosten-Nutzen-Relation werden die sich immer breiter machen", sagt er voraus.

Zwar liege Digital mit der angekündigten Alpha-Leistung momentan deutlich vorn, aber auch bei den anderen RISC-Anbietern "wird sicher noch mehr herauszuholen sein", meint Korth. Er hält DEC zwar einen Entwicklungsvorsprung von "drei, vier Jahren" im Hochleistungs-Segment zugute, stellt jedoch dahin, "ob es ihnen gelingt, daraus einen entscheidenden Marktvorteil im kommerziellen Bereich zu ziehen". '

Den stärksten Gegner von Digital als Hardware-Company sieht Hans-Jörg Dreßler, Systemprogrammierer bei der Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG, in Hewlett-Packard: Mit seinen High-end-Workstations liege der Hersteller aus Palo Alto gut im Rennen bei den rechenintensiven technischen Anwendungen, meint er. Nicht die Hardware-Architektur, sondern des lediglich einige Funktionen des proprietären VMS heben die VAX, nach dem Urteil des Hamburgers noch von der Unix-basierten Konkurrenz ab. Zustimmung erntet Dreßler von Rauch: "Im Workstation-Markt sind HP und Sun natürlich stark." Ultrix-basierte Workstations mit Alpha-Chips, gibt er gleichwohl zu bedenken, würden zum Zeitpunkt ihrer Lieferbarkeit bei den Specmarks indes vorn liegen, wie es momentan aussehe.

Offenbar nur wenig interessiert ist die VAX-Gemeinde an der Selbstdarstellung der Digital Equipment Corp. als Open-Systems-Company und Systemintegrator. Auch nach den Akquisitionen von Kienzle und Philips-DV zur Unterfütterung der Diversifizierungsstrategie wird DEC von den meisten als die gute alte VAX-Company gesehen. Zwar bemühe sich Digital, so die vorherrschende Rezeption, um ein anderes Profil, dies aber ist keinesfalls einmalig, weil alle Hersteller diesen Weg gehen. Nach dem Urteil von Korth waren die Firmenzukäufe auch eine Antwort auf die Imagefrage. Er will es allerdings offenlassen, ob Digital tatsächlich an gutem Ruf als Anbieter kommerzieller DV zugelegt oder einfach erst ein paar Kunden hinzugewonnen hat. Das Plus an Renommee müsse sich noch zeigen, meint er: "Bei der administrativen oder kommerziellen DV hängt es davon ab, inwieweit die Anbieter von Datenbanken und Tools größeres Vertrauen in die DEC-Welt setzen."

Korth selbst hält die VAX gegenwärtig wegen ihrer dynamischen Speicherverwaltung und der Time-sharing-Fähigkeit von VMS für einen "performanten Online-Rechner". Wie er jedoch feststellt, "fehlt vielen offenbar der Glaube, daß kommerzielle und administrative Anwendungen auch gut darauf laufen können". VAX-Anwender assoziieren seiner Ansicht nach ihren Hardwarelieferanten noch immer eher mit der technischen als mit der kommerziellen Datenverarbeitung.

"Auf uns haben die Akquisitionen keine Auswirkung gehabt", berichtet ein EDV-Ingenieur beim Kernkraftwerk in Brokdorf an der Unterelbe. "Wir haben mit Digital nur über die Wartung zu tun, und da hat sich für uns nichts geändert", so der Standpunkt des Kraftwerks-Mitarbeiters, der nicht genannt , werden möchte. Man sei immer zufrieden gewesen und sei es auch heute noch.

Da wollen andere nicht so ganz folgen. "Behäbigkeit und Trägheit" diagnostiziert Korth bei der organisatorischen Abwicklung. "Direktere Zugriffswege und mehr Effizienz" schreibt er dem Digital-Support ins Stammbuch. An der Leistung der DEC-Techniker vor Ort gebe es allerdings überhaupt nichts zu bemängeln. Dreßler vom Hamburger Hafen stellt fest, es werde bei der deutschen Digital immer so ein bißchen gezögert mit Problemlösungen". Zu viel Zeit vergehe oft, "bis die sich mal trauen, in USA anzurufen". Dem Systemprogrammierer scheint, daß hierzulande im Digital-Support "ein bißchen die Kompetenz fehlt".

Prominente proprietäre Anbieter können sich hohe Preise leisten. Besonders "im Peripheriebereich sahnen sie ab", so Dreßler. Sein Urteil: "Überteuert." Beim Peripheriekauf verläßt man sich bei der Lagerhaus-Gesellschaft auf Drittanbieter. Kritische Komponenten, etwa Speichererweiterungen und Platten, kommen allerdings nur von DEC.

Ein "Manko" ist die Preispolitik der VAX-Company auch für das KKW Brokdorf. Man verhandelt denn auch im Peripheriebereich, also beim Kauf von Transceivern, Terminals, etc., lieber mit Third-Party-Anbietern; CPUs allerdings bezieht der Stromversorger ausschließlich von Digital.

Korth findet beim Vergleich der VAXen 6000 und 9000 mit der AS/400 oder mit /370-Maschinen die "DEC-Preispolitik wesentlich vorteilhafter". An die "Vergatterung" der User in der Mainframe-Welt fühlt sich dagegen ein die Anonymität vorziehender VAX-User erinnert. "Die nehmen, was sie kriegen können, unabhängig davon, was es bei der Herstellung einmal gekostet hat."