CW-Gespräch mit David Parnas, SW-Experte und Berater beim US-Verteidigungsministerium:

28.11.1986

Die Software bleibt der Schwachpunkt bei SDI

HAMBURG (ih) - Die Software für das amerikanische Strategic-Detense-Initiative-(SDI-)

Programm wird immer fehlerhaft bleiben. Das ganze Projekt ist Betrug" - mit diesen drastischen Worten brachte der "SDI-Aussteiger" David Parnas auf dem Hamburger Kongreß "Wege aus dem Wettrüsten" vor rund 3000 Naturwissenschaftlern und Computer-Spezialisten aus 23 Staaten seine Kritik auf den Punkt.

Vor achtzehn Monaten war der amerikanische Militärberater und Software-Experte Parnas aus dem Beraterkreis "SDI Panel on Computing in Support of Battle Management" mit der Begründung ausgeschieden, daß das SDI-Programm niemals funktionieren werde. Der Informatiker, der seit 14 Jahren dem Naval Research Laboratory beratend zur Seite steht, erklärte damals, daß sein Entschluß nicht Politischer Natur sei, vielmehr könne er als Software-Experte nicht mehr mitmachen: "Wie sollen Rechnersysteme in einer Salve von Atomraketen zuverlässig reagieren, wenn sie nicht einmal im normalen DV-Alltag fehlerfrei funktionieren?" (Siehe CW vom 29. November, 1985, Seite 38: "DV-Wissenschaftler verweigern Mitarbeit an SDI".)

Parnas, der neben seiner Militärberatung noch Dozent für Softwareentwicklung an der kanadischen Universität von Victoria ist, bereut seinen damaligen Schritt nicht. Er hält es im Gegenteil für notwendig, in Gesprächen, Vorträgen und publizistischen Veröffentlichungen im In- und Ausland seinen Standpunkt zum SDI-Projekt immer wieder zu erklären, denn: "Bisher konnte keiner meiner Kollegen, inklusive der SDI-Befürworter, auch nur für eines der von mir angesprochenen Softwareprobleme eine Lösung anbieten." Zu seiner Entscheidung auszusteigen, habe auch das Verhalten vieler seiner Kollegen beigetragen. Ihnen wirft Parnas Opportunismus vor."

Im Mai 1985 habe ihn ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums mit den Worten "Wollen Sie die Welt von Nuklearwaffen befreien und gleichzeitig 1000 Dollar am Tag verdienen?" zum SDI-Experten-Treffen eingeladen. Anläßlich dieser Tagung ist der Computer-Experte das Gefühl nicht losgeworden, daß er der einzige sei, der die Problematik überhaupt ernst nehme. So schienen die von ihm vorgetragenen Bedenken niemanden zu interessieren. Ein Ausschuß-Mitglied begegnete Parnas' Einwänden mit dem lapidaren Kommentar: "Wahrscheinlich hast Du recht, es wird nicht funktionieren. Aber laß uns doch zusammen das viele Geld ausgeben." Nach wie vor sieht er allerdings kaum Gebiete, für die sich derart hohe Investitionen erfolgreich auf SDI auswirken.

Die Frage, ob beispielsweise das Feld der Künstlichen Intelligenz geeignet sei, Softwareprobleme bei SDI zu lösen, verneint Parnas heftig. Für ihn gibt es kaum einen anderen Bereich, in dem Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen: "Ich habe einige hervorragende KI-Programme gesehen. Leider kann ich aber keine Methodik erkennen, die auf das SDI-Schlachtenführungssystem anwendbar ist." Der größte Teil der KI-Programme sei so problemspezifisch, daß ein gewisses Maß an Abstraktion und Kreativität erforderlich wäre, um sie auf andere Gebiete übertragen zu können. Parnas: "Über KI wird so geredet, als ob sie ein neuartiger magischer Ansatz wäre. Für SDI bietet sie aber keine Zauberformel, denn nicht kalkulierbare Maßnahmen des Gegners können auch die KI-Programme nicht im voraus berechnen."

Auch der Arbeitshypothese einiger Kollegen, die Lösung des Softwareproblems liege in der automatischen Programmierung, kann Parnas nicht zustimmen. Es ist seiner Meinung nach nicht möglich, lediglich die Spezifikationen für die Software zu schreiben, nach denen der Rechner das entsprechende Programm findet. Das Problem bei SDI sieht Parnas auch hier darin, daß man nicht über die notwendigen Informationen verfügt, um zuverlässige Software schreiben zu können. Der US-Wissenschaftler: "Es wird niemals Rechnersysteme geben, die zuverlässig genug sind, wichtige Entscheidungen allein zu treffen. Menschen sind schon unzuverlässig genug, wie unzuverlässig müssen dann erst ihre Schöpfungen sein."

Auf die Frage, ob europäische Unternehmen am Know-how der amerikanischen SDI-Forschung beteiligt werden, reagiert Parnas energisch: "Das ganze SDI-Abkommen zwischen der US- und der Bundesregierung ist nutzlos. Die Europäer werden keinerlei Informationen, die von Bedeutung sind, erhalten." Der Wissenschaftler weist auf die strengen Technologie-Export-Kontrollen der Reagan-Administration hin. Auf genau diesen Bestimmungen beruhe aber der zwischen den beiden Staaten abgeschlossene SDI-Vertrag. Auch komme es auf Kongressen in den USA immer häufiger vor, daß westeuropäische Teilnehmer auf Drängen des Pentagon ausgeschlossen werden. Spöttelt Parnas: "Vielleicht darf ich demnächst nicht mehr nach Kanada ausreisen, weil geistiger Export ebenfalls verboten wird."

Parnas' Kritik

Das SDI-Software-System kann aus folgenden Gründen nicht zuverlässig sein:

- Ein Testen des Systems unter realistischen Bedingungen vor seinem tatsächlichen Einsatz ist nicht möglich.

- Von dem System wird verlangt, daß es Ziele erkennt, verfolgt und unter Beschuß nimmt, deren ballistische Eigenschaften vor Beginn der Auseinandersetzung im Weltraum nicht mit Gewißheit bekannt sein können. Es muß diese Ziele zudem von gleichfalls anfliegenden Attrappen unterscheiden.

- Die Arbeit leistet dabei ein Rechnernetzwerk, das seine Informationen aus Radarstationen, Sensoren, Satelliten, Aufklärungsflugzeugen und Frühwarnsystemen bezieht. Sein Verhalten läßt sich wegen der Gegenmaßnahmen eines Angreifers nicht voraussehen.

- Die Betriebszeit des Systems wird so kurz sein, daß weder eine Fehlerbeseitigung noch Modifikation des Programms durchführbar sind.

- Das Waffensystem wird eine Vielfalt von Sensoren und Waffen enthalten, von denen die meisten ebenfalls ein komplexes Software-System erfordern. Die Eigenschaften dieser Waffen und Sensoren sind noch nicht bekannt. Ihre Fehler können deshalb nicht bei Simulationstests entdeckt werden.