Von der Konfrontation zu Kooperation und Integration

CW-Gespräch mit Bob Mitze, Managing Director der Unix System Laboratories Europe Ltd.

19.06.1992

Das neue System V, Release 4.2, (SVR4.2), von Unix System Laboratories Inc. (USL) bringt in technischer Hinsicht teilweise eine Abkehr von bisherigen monolithischen Konzeptionen des Standard-Betriebssystems. Offenheit für die Nutzung verschiedener Benutzeroberflächen, Integration von Entwicklungen der Konkurrenz oder aus anderen Systemwelten und eine tiefgehende Modularität sind die wichtigsten Kennzeichen (siehe CW Nr. 24 vom 12. Juni 1992, Seite 1). Bei derart weitgehenden Änderungen liegt die Vermutung nahe, daß sie Ergebnis grundsätzlich geänderter Ausrichtungen beim Unix-Protagonisten USL sind. Über Veränderungen im pragmatischen Selbstverständnis dieser Organisation, in Konzeptionen und unternehmerischer Positionierung am Unix-Markt sprach CW-Mitarbeiter Ludger Schmitz mit Bob Mitze, dem Europa-Chef der Unix System Laboratories.

CW: Was jetzt unter den Titeln System V, Release 4.2, beziehungsweise "Unixware" auf den Markt kommt, ist eigentlich bekannter als "Destiny". Was soll das Verwirrspiel?

Mitze: Destiny war der Name eines Projekts. Der Titel Destiny, Schicksal, sollte uns vor Augen halten, daß wir mit diesem Produkt unser Geschäftsmodell ändern. Wir wollen mit dem Produkt nicht nur in neuen Marktbereichen unsere Geschäftstätigkeit erweitern, sondern wir richten unser Geschäftsmodell gleichzeitig auf Kooperation und Partnerschaft aus.

Die Änderung unserer geschäftlichen Ausrichtung von der Konfrontation zu Kooperation und Integration ist mindestens so wichtig wie die Implementierung einer neuen Technologie. Das hat erhebliches Umdenken in den Köpfen von Leuten verlangt, die bis dahin ausschließlich vom Konkurrenzdenken geprägt waren.

CW: Bei der offiziellen Vorstellung von System V, Release 4.2, tritt viel Prominenz vom einstigen Hauptrivalen Open Software Foundation (OSF) auf. USL scheint auf die Demonstration von Freundschaften Wert zu legen.

Mitze: Es ist uns daran gelegen, demonstrativ fortzusetzen, was wir seit einiger Zeit tun. Es wäre dumm von uns, die OSF als Gegner anzusehen. Statt dessen sollten wir die OSF als Kooperationspartner betrachten. Wir arbeiten beide für offene Systeme und stehen beide im Wettbewerb mit proprietären Anbietern.

CW: Friede, Freude, Eierkuchen statt Wettbewerb im Unix-Markt?

Mitze: In der Welt offener Systeme konkurriert man bei einigen Produkten und arbeitet in anderen Bereichen zusammen. Das gilt auch für unser Verhältnis zur OSF. System V steht im grundsätzlichen Wettbewerb mit OSF/1, und genauso sieht es bei unseren Middleware-Produkten aus. Aber das bedeutet nicht, daß es keinen Sinn macht, zusammenzuarbeiten. Und obwohl viele unserer Produkte exakt gegeneinander positioniert sind, möchten wir und die OSF sicherstellen, daß unsere Produkte zusammenarbeiten und gemeinsame Schnittstellen haben. Durch Kompatibilität vergrößern wir insgesamt die Marktnachfrage bei Unix, so daß wir beide etwas davon haben.

CW: Was hat den Meinungsumschwung bei der USL hervorgerufen?

Mitze: In einigen Bereichen macht Wettbewerb keinen Sinn. Ein gutes Beispiel sind Open Look und Motif, wo wir uns während der letzten Jahre eine Konkurrenzschlacht geliefert haben. Unsere jetzt geänderte Vorgehensweise ist in SVR4.2 zu erkennen. Es unterstützt beide Benutzeroberflächen. Oberflächen sind kein Bereich, in dem Konkurrenz sinnvoll wäre.

CW: Wird eine Zusammenarbeit mit der OSF dadurch leichter, daß die OSF derzeit eine Schwächephase durchmacht?

Mitze: Zum Teil ist da etwas dran. Wichtiger aber ist, wie Roel Pieper als Präsident der USL agiert hat, nämlich unser Verhältnis zur OSF nicht auf Emotionen zu begründen. Als die OSF gegründet wurde, haben viele Leute sie als Aggressor betrachtet, gegen den es zu kämpfen gelte. Im Geschäftsleben ist derlei dumm. Mit jemandem zu konkurrieren, bedeutet nicht, frontal gegen ihn zu kämpfen. Konkurrenz ist ein Wettbewerb um den Markt, und wir wollen sicherstellen, daß diese Konkurrenz nicht auf dem Rücken der Kunden ausgetragen wird.

CW: Die USL will SVR4.2 auch auf andere Chips als die Intel-Prozessoren anpassen. Würde dies die Ablösung des klassischen SVR4 bedeuten?

Mitze: Ich würde es anders ausdrücken. SVR4.2 ist nicht das Ende, sondern eine Erweiterung von Version 4. Beide sind kompatibel zueinander. Version 4 hat eine Existenzberechtigung, denn in bestimmten Umgebungen werden einzelne Basiselemente von SVR4.2 nicht benötigt. Man braucht auf einem Server nicht die Desktop-Anpassung, eine grafische Benutzeroberfläche etc. Daher wäre es übertrieben, System V, Release 4, als obsolet zu bezeichnen.

4.2 bringt einige Erweiterungen, zum Beispiel wächst es in Intel-Umgebungen hinein, in denen Version 4 keine Rolle spielen kann. Wirkliche Ablösungen haben Version 3 mit Streams oder Version 4 mit der Re-Integration von Xenix und BSD gebracht. Wenn wir eine vergleichbar bedeutsame Änderung jetzt durchgeführt hätten, hätten wir es System V, Release 5, genannt.

CW: SVR4.2 ist von einer sehr tiefgehenden Modularität gekennzeichnet. Ist das Bemühen um Flexibilität generell eine neue Maxime bei USL?

Mitze: Technisch ergeben sich viele Vorteile, Systeme modular aufzubauen. Aber Modularität ist mehr ein Aspekt der Geschäftsstrategie als der Technik. Denn sie erlaubt den Kunden, genau das kaufen, was sie benötigen, statt für einer Menge unbenötigter Dinge mitbezahlen zu müssen. Im Falle SVR4.2 heißt das: Anwender können nicht nur mit kleinerer Hardware leben, sondern auch mit kleinerer Software.

Natürlich ist es technisch anspruchsvoller, die Module so aufeinander zuzuschneiden, daß sie zueinander passen. Aber die Kunden kaufen keine Software, weil sie technisch interessant gemacht ist, sondern weil sie ihren geschäftlichen Interessen entspricht.

CW: Dürfen sich die Anwender von der Modularität eine leichtere Integration heterogener Systeme versprechen?

Mitze: Wo man Teile ergänzen kann, lassen sich natürlich auch Teile ersetzen. Man kann andere File-Systeme, Treiber oder Netzwerke einbauen. Solch ein Moment vereinfacht die Integration einer großen Vielfalt unterschiedlicher Systeme. Zumindest bietet SVR4.2 neue Möglichkeiten.

CW: Sie haben mit dem französischen Unternehmen Steria eine gemeinsame Tochtergesellschaft gegründet. Ist der Eindruck richtig, daß diese Firma Unix Systems Technologies ein Pilotprojekt ist für weitere USL-Töchter, die sich um die Integration heterogener Systeme, kümmern sollen?

Mitze: Es geht uns dabei nicht nur um Systemintegration, sondern auch darum, den Service anbieten zu können, den wir für unsere Produkte leisten müssen. Die Dienstleistungen, die wir damit offerieren wollen, gruppieren sich allerdings im wesentlichen um die Aspekte Middleware und Integration. Es geht uns nicht darum, Applikationen anzubieten.

CW: Wird ein vergleichbares Gemeinschaftsunternehmen auch in Deutschland gegründet?

Mitze: Das ist sehr gut möglich, wir arbeiten daran und verhandeln mit einigen potentiellen Partnern für solch ein Unternehmen. Wir haben uns aber noch nicht entschieden. Ich hoffe, daß wir etwa zum Jahresende 1992 zu einer Entscheidung kommen. Wir planen, ähnliche Unternehmen auch in anderen Ländern zu gründen.

CW: Das Modewort bei Integrationskonzepten ist Middleware. Was versteht die USL darunter?

Mitze: Middleware ist nur mit offenen Systemen möglich. Bei einem proprietären System muß ein Anwendungsentwickler ein bestimmtes System-Interface adressieren. Bei offenen Systemen gibt es unterschiedliche Umgebungen mit divergierenden Interfaces. Soll nun für mehrere solcher Systeme eine Anwendung geschrieben werden, braucht man praktikablerweise wieder eine neue Schnittstelle zwischen all diesen Systemen. Also umfaßt Middleware alles, um das sich alle Systeme gruppieren und über das sich verschiedene Betriebssysteme und Netzwerke integrieren lassen.

Der Anwendungsentwickler behält damit seine Unabhängigkeit und gewinnt Zugang zu unterschiedlichen Systemen. Das beste Beispiel aus unserem Angebot ist Tuxedo, ein Tool für die Integration verteilter Systeme. Insofern ist es nicht überraschend, daß die Unix System Technologies sich zunächst auf dieses Produkt konzentriert.

CW: Middleware in diesem Sinne ist eigentlich Gegenstand der X/Open - nicht als Produkt, aber als Set von Spezifikationen. Macht die USL nun da weiter, wo die X/Open offenbar nicht mehr recht vorankommt?

Mitze: Wir machen Middleware nicht gegen die X/Open, aber es besteht eine Gelegenheit, über Produkte Standards am Markt zu allgemeiner Akzeptanz zu verhelfen. Wir wollen in enger Kooperation mit der X/Open entwickeln. Wir mußten jedoch erkennen, daß jedesmal, wenn man ein Komitee oder ein Konsortium für die Definition eines Interfaces gründet, die Sache gut läuft, wenn der Anstoß von Produkten kommt, die es am Markt gibt. Ein Beispiel für ein unglückliches Verfahren ist der OSI-Standard, der ohne Grundlage eines Produktes quasi im luftleeren Raum festgelegt wurde.

CW: Wäre dabei nicht eine Zusammenarbeit nach der Art, wie sie jetzt mit den OSF-Mitgliedern erfolgt, auch mit anderen Wettbewerbern sinnvoll?

Mitze: Wir haben gemerkt, daß wir nicht alles herstellen können, was die Kunden kaufen möchten. Also müssen wir mit anderen Anbietern zusammenarbeiten. Wenn eine Firma mit einem guten Produkt kommt, werden wir nicht versuchen, auf anderem Wege ein vergleichbares Produkt zu entwickeln, sondern wir werden es integrieren.

Das haben wir in den vergangenen Jahren so begonnen, und diese Tendenz wird sich noch stärker fortsetzen. Wir wollen häufiger und flexibler mit Partnern zusammenarbeiten. Und das wird den Vorteil der großen Innovationsgeschwindigkeit bei offenen Systemen noch verstärken.

CW: Gibt es Verhandlungen mit IBM, Apple oder Taligent über eine Einbindung von Macintosh- oder zukünftigen Pink-Systemen in SVR4.2?

Mitze: Wir versuchen, im Hinblick auf Pink mit diesen Unternehmen Gespräche aufzunehmen. Aber Pink ist noch in einem so wenig ausgereiften Entwicklungsstadium, daß weder die beteiligten Unternehmen noch wir eine Vorstellung davon haben, was sich hinsichtlich einer Integration machen ließe. Wir werden in dieser Richtung weiter aktiv sein; denn wir haben kein Interesse, irgendeinen Anbieter, egal welchen Namens, aus der Welt offener Systeme auszugrenzen.

CW: Allerdings hat die USL proprietäre Anbieter im allgemeinen und Microsoft im besonderen als "common enemies" bezeichnet. Steht uns in Sachen Windows NT die nächste PR-Schlacht um Betriebssysteme bevor?

Mitze: Ich glaube, es dürfte Bereiche geben, in denen wir im starken Wettbewerb gegen Windows NT stehen werden. Aber in anderen Bereichen wird es wohl ruhig bleiben. So dürfte Microsoft uns bei Servern nur wenig Konkurrenz machen können, während wir kaum in die Domäne bei Stand-alone-PCs eindringen werden.

Meiner Ansicht nach ist unser Desktop-Unix zwar fein für Stand-alone-PCs, aber man braucht dort seine Features nicht. Warum sollte also ein Anwender zu uns wechseln? Ich empfehle jedem, der nur Textverarbeitung und ein Kalkulationsprogramm auf seinem PC laufen läßt, bei DOS oder Windows zu bleiben. Es gibt also Bereiche, in denen nicht einmal Anlaß zu Betriebssystem-Diskussionen besteht.

CW: Allerdings hat Microsoft keine schlechten Chancen, bei den Aufsteigern aus DOS auch die Server-Seite zu gewinnen. Dann wäre Client-Server-Computing das Kampfgebiet. Wäre es nicht an der Zeit, sich schleunigst mit Microsoft an einen Tisch zu setzen, um über Formen der Koexistenz zu reden?

Mitze: Ja, das wäre schon großartig. Es finden aber keine konkreten Verhandlungen statt. Ich möchte jedoch wiederholen, daß wir niemanden ausgrenzen möchten. Wir haben unser System zur Microsoft-Seite insofern geöffnet, als darunter auch DOS- und Windows-Programme laufen. Soviel zur Koexistenz, aber mehr ist noch nicht abzusehen.

CW: Wird Unix demnächst in einer objektorientiert programmierten Version erscheinen?

Mitze: Es gibt - in Zusammenarbeit mit einigen Firmen - Forschungsarbeiten in dieser Richtung. Wir hoffen, daß wir in Kürze die Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages mit einigen europäischen Unternehmen bekanntgeben können.

Bei Objektorientierung geht es uns um zwei Ausrichtungen: Diese Technologie wäre zum einen für das Betriebssystem und zum anderen für die Entwicklung von Applikationen zu nutzen. Daß Anwender die Vorteile objektorientierter Programmierung nutzen können, bevor diese Methode im Betriebssystem implementiert ist, scheint mir unter kommerziellen Gesichtspunkten wichtiger zu sein. Das ist es, worum es uns bei den Kooperationen vorrangig geht.

CW: Ergo liegt das Gewicht bei der Weiterentwicklung des Betriebssystems auf der Microkernel-Technologie?

Mitze: Ich kann mich nicht festlegen, wann wir welches Betriebssystem-Produkt in welcher technischen Form vorlegen werden. Objektorientierte Programmierung und Microkernel-Technologie gibt es schon seit weit mehr als zehn Jahren. Wann sie unter kommerziellen Gesichtspunkten sinnvollerweise genutzt werden sollten, ist noch eine offene Frage.

Unser Plan in Sachen Microkernel sieht bisher so aus: Wir gehen davon aus, daß es Anwendungsbereiche gibt, in denen Microkernel deutliche Vorteile bringen und den Markt für Unix ausweiten können. So ein Bereich ist die Echtzeit-Datenverarbeitung. Microkernel ist in unseren Augen derzeit eine Technologie, die neue Nischen erschließt. Ob sie allgemein und für alle Umgebungen angebracht ist, muß sich noch zeigen.

CW: Wären Microkernel und objektorientierte Programmierung nicht ideale Technologien für die Integration heterogener Umgebungen?

Mitze: Genau das meinen wir. Aber es bleibt viel zu tun, die Schnittstellen zu spezifizieren, die Application Programming Interfaces zu definieren und sie dann auch zu programmieren. Es wird nicht mit einem Schlag die große Veränderung am Markt geben. Diese Entwicklung wird sich in Schritten vollziehen. Jedes Jahr ein bißchen mehr.

CW: Kann die Diskussion über Betriebssysteme also langsam auslaufen?

Mitze: Derzeit wird die Hardware immer weniger interessant, und ich glaube, bei Betriebssystemen geht es in eine ähnliche Richtung. Es könnte sehr wohl geschehen, daß sie unerheblich werden. Wichtiger wird das Argument Standards. Ich glaube also, daß es für Anbieter uninteressanter sein dürfte, sich auf der Ebene der Betriebssysteme von anderen Unternehmen durch Zusatznutzen abzuheben. Eher könnte es derlei im Bereich der Middleware geben, wo deutliche Möglichkeiten existieren, Zusatznutzen einzubringen.

Also glaube ich nicht, daß es einen nächsten Krieg der Betriebssysteme gibt. Die werden ohnehin immer unwichtiger. Es besteht perspektivisch durchaus die Möglichkeit, daß sich Annäherungen zwischen unserem Chorus-Microkernel und dem Mach-Microkernel der OSF bei bestimmten Abstraktions-Layern ergeben.

CW: Warum verlangt die USL nicht von anderen Anbietern, auch mit Kleinkriegen aufzuhören und sich konsequent hinter Standards zu stellen?

Mitze: Wir arbeiten anders. Wir sind initiativ bei der Erarbeitung von Standards. Wenn dann Organisationen wie die X/Open daraufhin Spezifikationen festlegen, beeilen wir uns, unsere Produkte konform zu gestalten, um den Standards zu Erfolg am Markt zu verhelfen. Wir sind keine riesige Firma, und wir diktieren niemandem etwas. Das wäre das Monopoldenken von AT&T. Wir haben genug durchgemacht, um davon wegzukommen und uns von AT&T freizumachen. Wir sind kein AT&T-Geschäftsbereich mehr.