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CW exktraKT: Herrscher über Informationen

24.09.2001
Alljährlich bringt die IT-Branche neue Schlagworte auf. Manche davon haben nicht mal eine Halbwertszeit von einem Jahr, andere dagegen stehen für Entwicklungen, welche die IT-Landschaft nachhaltig verändern. Enterprise Content Management (ECM) gehört zu den Letzteren.

Von Ulrich Kampffmeyer*

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Alljährlich bringt die IT-Branche neue Schlagworte auf. Manche davon haben nicht mal eine Halbwertszeit von einem Jahr, andere dagegen stehen für Entwicklungen, welche die IT-Landschaft nachhaltig verändern. Enterprise Content Management (ECM) gehört zu den Letzteren. 1999 tauchte der Begriff vermehrt in Publikationen auf. Auslöser dafür war, dass der internationale Dachverband der Dokumenten-Management-Branche, die AIIM International, sich neu orientierte und IBM die bisherige Enterprise-Document-Management-Produktlinie in Enterprise-Content-Management umbenannte. Anbieter aus dem Internet-Umfeld verwenden den Begriff dagegen schon länger. Für Anwender stellt sich nun das Problem, welche technischen Lösungen und welche Funktionen Content-Management zuzuordnen sind.

So zeigt sich, dass schon allein der Begriff Content nicht eindeutig fassbar ist. Klar ist nur, dass er mehr bedeutet als lediglich ein neues Etikett für das althergebrachte Dokument. Selbst die Abgrenzung zwischen un- oder schwach strukturierten Daten greift nicht mehr, denn Content wird heute in Datenbanken verwaltet und die bisher gültige Klassifizierung in strukturierte und unstrukturierte Informationen ist längst hinfällig. Allgemein gesagt ist Content alles, was sich an inhaltlicher Information in Systemen speichern lässt.

Content ist mehr als Inhalt

Es gibt jedoch Merkmale, die es erlauben, Content von anderen Inhalten zu unterscheiden. So setzt er sich immer aus dem Inhalt und zugehörigen Meta-Informationen zusammen. Diese Meta-Informationen müssen für den Nutzer nicht unbedingt sichtbar sein. Sie dienen vorrangig

der Verwaltung und Kontrolle des eigentlichen Inhalts. Wichtige Komponente von CMS ist daher die Trennung von Layout- und Strukturinformationen vom eigentlichen Inhalt. Für diese Aufgabe gewinnt die Extensible Markup Language (XML) an Bedeutung, ohne dass die Nutzung von XML für Schnittstellen und Dokumentformate heute bereits als grundlegende Eigenschaft von Produkten vorhanden ist.

Bei der Betrachtung des Themas Content- Management muss man zwischen der generellen Kategorie CMS sowie zwei speziellen Ausprägungen, den Web-Content-Management-(WCMS) und den Enterprise-Content-Management-Systemen unterscheiden (ECMS). Sie haben verschiedene Ursprünge, unterschiedliche Funktionen und gehen in ihrem Anspruch sehr auseinander.

Definitionssache(n): CMS, WCMS und ECMS

Derzeit lassen sich somit drei Hauptströmungen für Content-Management feststellen: Die erste kann man als Content-Management im engeren Sinn betrachten. Hier geht es um den Inhalt, der aus digitalen Büchern, digitalen Videos und Musik besteht. Er will verwaltet, abgerechnet, geschützt und verteilt werden. Ziel vieler Informationsanbieter ist die gesicherte und auf die Anforderungen der jeweiligen Zielgruppe gerichtete Vermarktung des Content. Hier spielen deshalb Komponenten eine Rolle wie Multimedia Clearing Rights Systems zur autorenrechtlich einwandfreien Nutzung, Content Syndication zur Zusammenführung von Inhalten, E-Procurement zur Abrechnung der Nutzung, Telecommunication Integration für WAP und den Internet-Fernseher zu Hause, E-Books, digitale Wasserzeichen und Kopierschutzmechanismen sowie schnelle komprimierte Bereitstellung über unterschiedlichste Netze etc. Zu den Unternehmen, die ins Umfeld dieser inhaltsbezogenen Variante des Content-Managements gehören, zählen unter anderem Bertelsmann, Disney, EMI und Sony. Die technische Lösung spielt hierbei eine nachgeordnete Rolle, der Schwerpunkt liegt auf der kommerziellen Ausnutzung des Content selbst.

CMS-Ranking: Ja oder Nein?

Ein Ranking der Anbieter von Content-Management-Lösungen nach dem Motto "Die Lösung erfüllt diese und jene Anforderung gut oder schlecht oder ist geeignet für XYZ" ist schier unmöglich. Zum einen ist die Begrifflichkeit inzwischen soweit ausgedehnt, dass man Äpfel mit Birnen vergleichen müsste. Neben Hunderten von kleineren spezialisierten Anbietern mischen auch alle großen Hersteller in diesem Markt mit - von Microsoft und SAP über Oracle bis hin zu IBM/Lotus.

Die Lösungen bewegen sich zusätzlich auf verschiedenen technischen und organisatorischen Ebenen: angefangen von der einfachen Website-Gestaltung bis hin zur komplexen Portal-Middleware, die unterschiedlichste Anwendungen integriert. Hinzu kommt, dass das Content-Management-Geschäft sich immer mehr vom Lizenz- zum Integrations- und Dienstleistungsgeschäft entwickelt. Neben Design-Agenturen und Systemintegratoren spielen zunehmend auch ASPs und andere Provider eine Rolle. Für die Zukunft ist allerdings eine Konsolidierung und eine Trennung in einfache Tools, professionelle Verwaltungssysteme und integrative Gesamtlösungen zu erwarten.

Die zweite Ausprägung ist das Web-Content-Management (WCM). Hier ging es zunächst darum, die unzulänglichen Möglichkeiten von HTML zur Gestaltung einer Website mit professionellen Tools zu überwinden. Versionierung von Internet-Seiten, Integration von geschützten Intranet-Bereichen, E-Commerce mit Bezahlfunktionen, dynamisches Füllen von Seiten aus Datenbanken und effiziente Pflege-Tools, die den Prozess der Inhaltserstellung und Publikation von Autoren unterstützen, bilden den Schwerpunkt dieser Produktkategorie. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Dokumenten- Management-Produkten durch die fokussierte Ausrichtung auf Internet-Formate wie HTML, XML, GIF und andere. Inzwischen sind die Grenzen zwischen Website-Gestaltung und deren Verwaltung, datenbankgestützte Informationsbereitstellung, Personalisierung und automatisierte Inhaltspublikation weitgehend verwischt. WCM entwickelt sich ferner zur Basistechnologie von Portalen.

Werkzeuge fürs Web

Web-Content-Management lässt sich derzeit in vier Hauptkategorien unterscheiden:

WCM Authoring: Diese Lösungen dienen hauptsächlich zur Gestaltung der Website und zur Unterstützung des Editionsprozesses mit Workflow-Funktionalität.

WCM Repository: Hier geht es um das interne Management zur Verfügung stehender Informationen und die Bereitstellung als Laufzeitumgebung. Als besondere Eigenschaft kommt die Zusammenführung von Inhalten aus verschiedenen Quellsystemen hinzu.

WCM Publication: Diese Lösungen bieten neben der reinen Bereitstellung von Informationen per Pull-Mechanismus auch das Push-Prinzip mit der gezielten Distribution von Informationen.

WCM E-Business: Diese integrierten Systeme gehen über die reine Aufbereitung, Verwaltung und Verteilung des Content hinaus. Weitere Funktionen erlauben auch die direkte Interaktion und individualisierte Nutzung. Die Basis für diese Lösungen bilden in der Regel Portal-Systeme.

Königsdisziplin Enterprise Content Management

Die dritte Strömung im Bereich Content-Management ist das Enterprise Content Management (ECM). Konkret werden dabei Funktionen traditioneller Archiv-, Dokumenten-Management- und Workflow-Lösungen auf die Anforderungen des Content-Managements umgebaut und neue Produkt-Suiten generiert, die Web-basierte Komponenten mit den herkömmlichen Produkten verbinden. Damit soll deutlich gemacht werden, dass es nicht nur um die Web-orientierte Außenwirkung geht, sondern darum, alle strukturierten und unstrukturierten Informationen im Unternehmen zu erschließen. Der Kern dieser Lösungen ist daher häufig noch auf Intranets ausgerichtet. Aber auch aus diesem Ansatz kommen neue Komponenten, die das Content-Management sinnvoll erweitern wie etwa automatische Klassifikation, Profiling, Transaktionsarchivierung und andere.

Der Begriff Enterprise Content Management fasst Lösungen zusammen, die auch Internet-Technologien benutzen, aber schwerpunktmäßig auf die Inhouse-Informationsbereitstellung zielen. Lösungsspektrum sind hier vorrangig Enterprise Portale für B2B als Extranet und Intranet.

Mehrheit setzt auf ECM

Die Mehrzahl der bisherigen Dokumenten-Management-, Groupware- und Workflow-Anbieter, die ihre Architekturen noch nicht vollständig umgebaut haben und lediglich einen Web-Server vor ihre Anwendungen stellen, finden sich auch in dieser Kategorie wieder. Wichtigste Anwendungsschwerpunkte sind:

ECM Portal: Browser-basierte, personalisierte Oberfläche zum Zugriff auf Informationen aus unterschiedlichen internen und externen Quellen sowie zur Ablösung bisheriger Host- und/oder Client-Benutzeroberflächen.

ECM Data/Document Warehouse:

Applets, Middleware und Meta-Datenbanken zur Zusammenführung und Verdichtung von unstrukturierten Informationen aus verschiedenen Quellen im Unternehmen.

ECM Workflow: Prozessgesteuerte Zusammenführung und Nutzung von Informationen.

ECM Knowledge-Management: Aufbereitung von strukturierten und unstrukturierten Informationen und automatische Klassifikation sowie einschließlich Computer based Training (CBT).

Drei Varianten

Betrachtet man die Definitionen der unterschiedlichen Anwendungsbereiche von ECM und WCM, wird deutlich, dass heute noch vorhandene Unterschiede in den Systemkategorien sich nicht mehr lange aufrechterhalten lassen. Dies gilt für die Produkte und die technischen Plattformen ebenso wie für die Nutzungsmodelle. Was heute noch als reine Inhouse-Lösung im Einsatz ist, soll morgen bereits dem Partner oder Kunden zugänglich sein. Die Inhalte und Strukturen eines heutigen, auf Außenwirkung ausgerichteten Web-Portals soll morgen bereits die Plattform für die interne Informationsbereitstellung sein. Der Anspruch eines ECM-Systems reduziert sich dann auf drei wesentliche Ideen, die solche Lösungen vom Web-Content-Management unterscheiden.

Bei Variante eins fungiert ECM als integrative Middleware. Es hilft dabei, die Restriktionen bisheriger vertikaler Anwendungen und Inselarchitekturen zu überwinden. Der Anwender sieht im Prinzip nicht, dass er mit einer ECM-Lösung arbeitet. Für die Kategorie Web-basierter IT, die sich als dritte Plattform neben herkömmlichen Host- und Client/Server-Systemen etabliert hat, bietet ECM die notwendige Infrastruktur. Für die Einführung und Nutzung von ECM spielt daher Enterprise Application Integration (EAI) eine besondere Rolle.

In Variante zwei kommen ECM-Komponenten als unabhängige Dienste ins Spiel. Dabei lassen sich Informationen unabhängig von der Quelle und unabhängig von der benötigten Nutzung verwalten. Die Funktionen stehen hier als Dienst bereit, der sich von verschiedensten Anwendungen nutzen lässt. Der Vorteil eines Dienstekonzeptes ist, dass für jede Funktion jeweils nur ein allgemeiner Dienst zur Verfügung steht und redundante, aufwändig zu pflegende und teure Parallelität vermieden wird.

Bei Typ drei bildet das ECM ein einheitliches Repository für alle Typen von Informationen. In einem solchen "Content Warehouse" (übergreifend für Data Warehouse und Document Warehouse) lassen sich Informationen des Unternehmens in einem einheitlich strukturierten Repository zusammenführen. Aufwändige Redundanz und damit verbundene Probleme der Konsistenz von Informationen erübrigen sich. Alle Anwendungen liefern ihren Content in einem einheitlichen Repository ab, das wiederum allen Anwendungen die benötigten Informationen bereitstellt.

ECM ordnet sich so in ein Mehrschichtenmodell ein und umfasst alle Document Related Technologies zur Handhabung, Erschließung und Verwaltung schwach strukturierter Daten. Es ist damit eine der notwendigen Basiskomponenten für E-Business, wo übergreifende integrierende Lösungen gefordert sind. Danach erhebt ECM auch den Anspruch, alle Informationen eines WCM mit zu verwalten und als universelles Repository die Anforderungen der Archivierung mit abzudecken.

Der Markt

Im ECM-Markt möchten viele mitspielen. Von den großen Plattformanbietern wie Microsoft, Lotus und SAP über Anbieter von Document Related Technology bis hin zur kleinsten Bastelbude, die Web-Autorenwerkzeuge verkauft. Durch die globale Definition von Enterprise-Content-Management wird ein gigantischer Markt suggeriert, der so aber nicht besteht, sondern sich in viele Einzelfacetten auflöst.

Eine aktuelle Studie der AIIM International zum ECM-Markt, die von den Marktanalysten von Gartner erstellt wurde, tut sich daher auch schwer mit der Abgrenzung. Folgende Definition diente der Untersuchung als Grundlage: "Enterprise-Content-Management: The technologies used to create, capture, customize, deliver, and manage enterprise content to support business processes."

Gartner macht deutlich, dass trotz der recht konkreten Definition von ECM doch alle 1014 befragten Personen und Unternehmen ein leicht abweichendes Verständnis der Begriffe hatten. Deutlich wurde aber, dass die Grenzen zwischen Enterprise Applications und den betrachteten Document Technologies verschwimmen.

Dr. Ulrich Kampffmeyer ist Geschäftsführer der Project Consult Unternehmensberatung GmbH in Hamburg. Der Beitrag ist der aktuellen "CW extra" mit dem Schwerpunktthema "Content Management" entnommen.