CW@HOME: Kunst 2.0: Pixel statt Pinsel

29.04.2002
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die internationale Kunstszene hat schon vor geraumer Zeit das Internet als Trägermedium entdeckt. Zwar vermitteln die Pixel nicht mehr als einen vagen ersten Eindruck von den Werken; Kunstnovizen hingegen bietet sich die Chance, problemlos in das Metier einzusteigen.

Als Giotto di Bondone vor 700 Jahren die Cappella degli Scrovegni in Padua ausmalte, benötigten Reisende für die Strecke von Bayern ins Veneto noch mehrere Wochen. Heute hingegen genügt eine Bewegung des Zeigefingers, und man kann das kürzlich restaurierte Hauptwerk des Künstlers über das Leben Jesu Christi in einer 360-Grad-Rundumsicht bewundern. Damals gab es Wegelagerer, heute gibt es das Web - zum Glück.

Für ausgewiesene Kunstfreunde stellt die Allgegenwart der Pixel indes keine ernst zu nehmende Alternative zu Öl-, Lack- oder Wasserfarben dar. Auge in Auge mit dem Original eröffnet sich eine Dimension, für die HTML beim besten Willen nicht ausreichend ist. Jedoch lässt sich das Internet hervorragend für die Missionstätigkeit am ansonsten kunstresistenten Teil der Menschheit nutzen. Es gelte, meinen Galeristen, potenziellen Interessenten online die Schwellenangst zu nehmen, die sie im echten Leben von einem Besuch der Ausstellungen abhält. Im Internet weiß bekanntlich niemand, dass du ein Hund bist; hier ist es nicht von Belang, ob man Hieronymus Bosch für den Erben eines Haushaltsgerätekonzerns hält. Der ideale Kunstkenner des 21. Jahrhunderts geht folglich so vor: online schauen, real diskutieren, bar bezahlen.

Links

Artnet.com

Galerie Bigart

Giotto agli Scrovegni

Menschenkunst

Web-Museen

Vollständig umgesetzt wurde diese Erkenntnis etwa von der Bigart-Galerie. Hier können die zeitgenössischen Werke im Web anhand einer Preisliste sortiert werden. Zudem hat Galeristin Ulrike Adler die Produkte in Größen-, Stil- und Farbskalen eingeordnet. Wer ein vornehmlich blaues Bild - bitte nicht zu groß und zu abstrakt - für 1000 Euro will, findet es in der Regel auch. Kunst wird hier zeitgemäß auf eine Investitionsform reduziert, die strikten Rahmenbedingungen unterworfen werden kann. Im Auge des Betrachters spielt sich jedoch nicht allzu viel ab, denn mehr als ein schemenhafter Eindruck des Schaffens lässt sich auf 100 Quadratzentimetern kaum vermitteln. Dennoch glänzt das Medium mit einer Funktionsvielfalt, die auf anderem Weg nur mühsam realisiert werden kann. Informationen zu den Künstlern und ihren Werken sind inzwischen unverzichtbarer Rahmen der Galerien, um die Bilder in ihrem

„Gesamtkontext“ zu arrangieren. Auch bietet sich durch das Internet bis dato unbekannten Kunstschaffenden die Chance, per File-Transfer zumindest in der einschlägigen Szene Beachtung zu erlangen. Ein Beispiel hierfür ist die Community „Menschkunst“, die nach Angaben der Initiatoren mehr als 300 Künstlern als Plattform dient. Und auch vor Giotto di Bondone persönlich hat das Web nicht Halt gemacht, denn die Site Giotto.de wurde bereits reserviert. Dass dort eines Tages Fresken betrachtet werden können, darf jedoch getrost bezweifelt werden: Registriert hat sie der Nahrungsmittelkonzern Ferrero. Das Web ist dann doch in erster Linie keine Galerie, sondern lediglich ein neuer Vertriebskanal - auch für Kunst.