CW@HOME: Die X-Box im CW-Test

15.03.2002
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Iden des März sind dieses Jahr der Zeitpunkt für einen Showdown der besonderen Art: Mit der „X-Box“ dringt Microsoft in die Konsolen-Phalanx von Nintendo und Sony vor und will den PC als Spieleplattform deklassieren. CW-Redakteure testeten die X-Box bis die Fingerkuppen glühten.

Da steht sie endlich, diese ominöse schwarze Box mit dem grünen X auf der Oberfläche. Ein Kasten, der, so trommelt zumindest die Marketing-Maschinerie seit November, die elektronische Spielezukunft ist. Doch genug der Vorrede, Stromkabel, Verbindung zum Fernseher und Controller eingesteckt und losgelegt. Stopp! Bevor Microsofts X-Box den Dienst aufnimmt, sind noch zwei Eingaben erforderlich: Die Auswahl der Sprache und die Angabe von Datum sowie Uhrzeit. Bisher von Windows und seinen Treiber-Orgien nicht gerade verwöhnt, schauten die Tester verwundert auf den Fernseher: Das war schon alles, um ein Betriebssystem aus dem Hause Microsoft zum Leben zu erwecken?

Grafikvergleich: Von einer extremen Überlegenheit der X-Box (links: Rallisport Challenge) gegenüber dem PC (rechts: Colin McRae Rally 3) kann keine Rede sein.
Grafikvergleich: Von einer extremen Überlegenheit der X-Box (links: Rallisport Challenge) gegenüber dem PC (rechts: Colin McRae Rally 3) kann keine Rede sein.

In der Tat, das war alles. Nach dem Einlegen einer der knapp 70 Euro teuren Spiele-DVDs steht dem Freizeitspaß nichts mehr im Wege. Erstes Objekt der Begierde ist „Project Gotham Racing“, einer von 19 Titeln, die zum X-Box-Start zur Verfügung stehen. Ein Rennspiel, bei dem sich der Spieler mit bis zu fünf Computerpiloten auf virtuellen Stadtkursen in London, San Francisco, New York und Tokio misst. Der erste Eindruck ist faszinierend. Die virtuellen Autos - anfangs hat der Gamer die Wahl zwischen dem neuen Mini, dem Mittelmotor-Roadster Toyota MR 2 sowie dem Mercedes SLK - spiegeln sich in der Sonne so real, als ob sie gerade auf Hochglanz poliert aus dem Showroom der Hersteller rollen. Doch die Begeisterung hält nur wenige Sekunden bis zum Start. Ein erstes Race durch die Häuserschluchten von San Francisco ernüchtert schnell, denn die Fassaden der Wolkenkratzer sind grafisch nicht viel ausgefeilter als von manchem PC-Spiel bekannt.

Noch enttäuschter ist der autovernarrte CW-Redakteur: In der computergenerierten Gotham City fährt sich der heckgetriebene SLK genauso unterschiedslos teigig wie der Frontantriebler Mini Cooper. Und vom speziellen Fahrflair eines Mittelmotor-Cabriolets wie dem MR2 ist überhaupt nichts zu spüren. Apropos spüren: Der Versuch wie bei den PC-Joysticks Force-Feedback-Funktionen in die Controller zu implementieren, erinnert fatal an die ersten Gehversuche von Nokia mit Vibrationsalarm-Akkus für Handys - von echten Kraftrückmeldungen etwa in Form einer zurückschlagenden Lenkung beim Räubern über die Bordsteinkante ist nichts zu fühlen.

Teuer: Mit Zubehör kommt die X-Box auf fast 680 Euro.
Teuer: Mit Zubehör kommt die X-Box auf fast 680 Euro.

Also flugs die nächste silberne Scheibe eingelegt: „Rallisport Challenge“. Doch auch dieses kann die oft gepriesene Grafiküberlegenheit der Microsoft-Konosole gegenüber den PCs nicht eindeutig unter Beweis stellen. Ferner fiel bei den weiteren angetesteten Spielen auf, dass eine Strategiekomponente wie in PC-Klassikern wie „Stronghold“, „Age of Empires“ oder „Anno 1602“ nicht zu finden war. Bei den uns vorliegenden Spielen stand die Action im Vordergrund, Freunde des Strategie- oder Simulationsgenres bleiben weiterhin auf den PC angewiesen.

Die Konsolen-Action erkauft sich der X-Box-Aspirant teuer. Microsofts Hightech-Kiste kostet mit Zubehör wie Sonderkabel für Dolby-Digital-Klang, zweitem Controller, Vernetzungskabel, zusätzlicher Memory-Einheit sowie dem notwendigen Ergänzungsset zum Abspielen von DVD-Filmen fast 680 Euro. Für diesen Batzen Geld gibt es im PC-Sektor - von Finanzminister Eichel bei der Einkommenssteuererklärung noch als Arbeitsmittel subventioniert - leistungsmäßig eine wahre Höllenmaschine. Und mit dieser lässt sich arbeiten, spielen und im Netz surfen.