Cultureware fuer die dezentral organisierte Gesellschaft

05.01.1996

Stephan Doeblin, Geschaeftsfuehrer MFS Communications GmbH, Kronberg und Frankfurt

Vor kurzem fragte ein Journalist, ob wir auch Dienste verkaufen. Meine Antwort lautete, dass unser Service aus den Komponenten Hardware, Software und "Cultureware" besteht. Der neue Begriff bezeichnet eine durch technologische Entwicklungen entstandene weitere Dimension des Dialogs zwischen Kunden und Lieferanten. Er sollte fuer die Kultur eines Unternehmen ebenso zutreffen wie auf seine Produkte. Fuer die Telekommunikationsbranche als Teil des Multimedia-Marktes ist Cultureware eine Herausforderung.

Durch die weltweite Abkehr von Monopolen steht die Branche insgesamt vor einem Neuanfang. Ein Beispiel: Der Spitzenwert fuer die Ausfallsicherheit von Telefonnetzen im Ortsbereich betraegt 99,997 Prozent. Ein Hardwarehersteller, der eine solche Produktqualitaet seiner Mikroprozessoren liefern wuerde, waere in kuerzester Zeit bankrott. Ein Weltunternehmen wie Motorola misst und vergleicht die Leistungen der verschiedenen Netzbetreiber, um die Qualitaet der firmeneigenen Kommunikation zu sichern und zu verbessern. Das Unternehmen bietet den Carriern Informationsseminare an, um ein hoeheres Leistungsniveau fuer die eigene Telekommunikation zu erhalten. Einerseits weiss Motorola, dass fuer ein global taetiges Unternehmen die Telekommunikation zum Produktionsfaktor geworden ist; andererseits fordert das Unternehmen von sich und seinen Partnern, als "lernende Organisation" zu arbeiten.

Die Verbesserung der Serviceangebote, jene Aufgabe, die nach einer Aufloesung der Monopole den Wettbewerb im Markt praegt, ist erst der Anfang auf dem Weg zur lernenden Organisation. Durch die Konkurrenz steigt der Marktstandard an Servicequalitaet. Der Dienst am Kunden wird in der ersten Phase des Wettbewerbs zum wichtigsten Unterscheidungsmerkmal der Telekommunikationsanbieter. Selbst die Rechnung wird den Kundenwuenschen entsprechend gestaltet, indem zum Beispiel die jeweiligen Telefonkosten den entsprechenden Kostenstellen zugeordnet werden. Doch was kommt danach?

In den USA bietet ein durchschnittliches Restaurant schon heute einen Service, dessen Niveau besser ist als die Bedienung in vielen teuren Gaststaetten in Deutschland. Wenn ein hoher Servicegrad selbstverstaendlich ist, stellen wir bei der Auswahl des Restaurants kulturelle Kriterien in den Vordergrund: ob wir gesehen werden wollen oder gerade nicht, Interieur, Standort, Geschmackserlebnis, Preis und wieviel Zeit wir dort verbringen wollen. Die Wahrnehmung und die Beduerfnisse des Kunden praegen die Kultur eines Produktes.

Auch in der Multimedia-Branche gehoert eine so definierte Kultur zum Produkt - Cultureware wird zum Produktmerkmal, wo Kunden das Produkt selbst veraendern, an ihre Wuensche anpassen koennen. Der Weg zur Cultureware ist im Telekommunikationsgeschaeft schon jetzt erfolgreich: Die Telefonauskunft im D2-Netz bietet Kunden an, die gewuenschte Verbindung durchzuschalten, so dass sie den weiteren Waehlgang sparen. Zum guten Service kommt die durch Individualitaet verbesserte Gespraechskultur: Die Auskunft meldet sich mit Namen und fuehrt das Kundengespraech in einem relativ persoenlichen Stil. Das Angebot ist Cultureware und deshalb der anonymen Form der herkoemmlichen Fernsprechauskunft weit ueberlegen.

Kuenftig wird fuer viele Produkte gelten: Wir werden wieder mehr Spass am Wissen und Lernen bekommen - weil wir es spielerisch selbst organisieren.

Die Cultureware des Entertainments ist der Schluessel fuer Marktstrategien: Die Mitgliedschaft im Club des Mobilfunks bietet die Cultureware des Clubs. Das gleiche gilt fuer das Internet, den weltweit groessten und expansivsten "Club". Trotz oder wegen seiner fuer den Anwender minimalen Hard- und Software-Voraussetzungen, unplanbarer und dezentraler Verbreitung traegt es Zuege einer "lernenden Organisation". Analog hierzu sollten Anbieter im Markt der Telekommunikation nicht Einzelloesungen und Monopole anstreben, sondern Bausteine fuer die dezentral organisierte Gesellschaft der Zukunft liefern.

Fuer die Unternehmenskommunikation gilt: Produkte, die als Cultureware ueberzeugen koennen, entstehen in einer kommunikativen Unternehmenskultur. Mitarbeiter, die flexibel, selbstverantwortlich und prozessorientiert miteinander umgehen, schaffen Cultureware, in der alle Kunden wichtig sind - und in der die Geschaeftsfuehrung eines Unternehmens auch fuer die "kleinen" Kunden da ist. Fragen Sie doch einmal den Vorstand ihres Telekommunikationsanbieters, wann er sich persoenlich bei einem kleinen Einzelhaendler danach erkundigt hat, ob dieser mit dem Service zufrieden ist.

Anstelle starrer Organisationsformen braucht die Multimedia-Industrie viele kreative Unternehmer, die nicht die Zukunft planen und definieren, sondern sie ermoeglichen - und das zum Spass und Vergnuegen vieler.