CRM-Spezialisten sterben aus

13.09.2005
Mit Siebel verliert der letzte große CRM-Anbieter seine Eigenständigkeit. Nun muss Oracle fünf Kunden-Management-Systeme unter einen Hut bringen.
Anfangs hatte SAP mit Siebels Erfolg zu kämpfen. Mittlerweile sind die Walldorfer vorbeigezogen.
Anfangs hatte SAP mit Siebels Erfolg zu kämpfen. Mittlerweile sind die Walldorfer vorbeigezogen.

Mit der Übernahme von Siebel durch Oracle verschwindet der größte CRM-Spezialist. Highend-Lösungen für das Kundenbeziehungs-Management gibt es fast nur noch bei ERP-Vollsortimentern. Auch wenn Siebel schon länger als Übernahmekandidat galt, so ist die generelle Marktbereinigung in diesem Segment augenscheinlich. Anfang August hatte SSA Global den CRM-Hersteller Epiphany gekauft.

Was nun, SAP?

Zwar ist SAP direkt betroffen von Oracles Siebel-Übernahme, doch die Walldorfer strotzen vor Selbstbewusstsein. "Wir vertreiben mehr CRM-Lizenzen als Oracle mit all seinen Produkten zusammen, daran ändert auch die Siebel-Übernahme nichts", so ein Unternehmenssprecher. "Für uns ist dies eine konsequente Fortsetzung der Oracle-Strategie, Kunden zu kaufen", verlautet es spöttisch aus der Konzernzentrale. SAP sehe keinen Anlass, seine Strategie zu ändern. So werde man sich auch keinen Bieterstreit mit Oracle liefern, um Siebel zu erwerben.

Im Juni dieses Jahres hatte SAP einige Top-Manager aus Entwicklungs- und Marketing-Abteilungen von Siebel abgeworben, sich aber auch bei Sun und Oracle bedient.

Ob SAP alternative Wartungsangebote auch für Siebel-Nutzer auflegen wird, stehe dem Sprecher zufolge nicht fest. Die Walldorfer bieten Peoplesoft-Kunden an, ihre Software nicht mehr von Oracle pflegen zu lassen, sondern über die Firmentochter Tomorrow Now, wobei der Vertrag die mittelfristige Migration auf Mysap vorsieht. Ähnliche Offerten sind künftig für Siebel-Kunden denkbar. "Wir werden prüfen, wie die Kunden, die davon betroffen sind, helfen können." Weltweit soll es rund 500 Kunden, die Produkte von Siebel und SAP nutzen.

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www.computerwoche.de/go/

*79983: Miet-CRM von SAP?;

*78875: Schwache Siebel-Bilanz;

*80000: CRM on Demand;

*80061: Salesforce.com steigert Gewinn.

Hier lesen Sie …

• warum der Siebel-Kauf IBM und Microsoft tangiert;

• wie SAP auf den Deal reagiert;

• was auf die Siebel-Kunden zukommt.

ERP-Boliden bestimmen Markt

Zu den Gründen für Siebels Probleme der vergangenen Jahre zählt nach Ansicht von Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners, dass sich die Softwarefirma auf den CRM-Markt beschränkt habe. Siebel konnte anfangs bei großen Firmen punkten, die nach geeigneten Produkten für das Kundenbeziehungs-Management suchten. Für detaillierte Kundendaten und deren vertriebsgerechte Verarbeitung war in den für Finanzbuchhaltung und Materialwirtschaft optimierten Produkten wie R/3 kein Platz. ERP-Boliden wie SAP hatten hier allenfalls rudimentäre Funktionen zu bieten. Die Zeiten haben sich geändert: Mittlerweile haben die Walldorfer in puncto CRM-Umsatz mit Lizenzen den Wettbewerber überflügeln können. Laut Gartner konnte SAP die Lizenzeinnahmen von 2003 auf 2004 um 23,1 Prozent auf über 600 Millionen Dollar steigern, Siebel dagegen nur um 2,4 Prozent auf rund 478 Millionen Dollar.

Doch CRM-Projekte erweisen sich oft als langwierig, und nicht wenige Vorhaben scheitern. Belebt wurde die Branche durch Hosting-Anbieter wie Salesforce.com, der nach den Zahlen von Gartner von 2003 auf 2004 den Umsatz um 84,1 Prozent auf 110,6 Millionen Dollar steigern konnte. Siebel kopierte mit Hilfe von IBM das Konzept (CRM On-Demand). Auch SAP will CRM-Mietlösungen feilbieten, hält sich mit Details jedoch (noch) bedeckt. Gerüchten zufolge plant Microsoft ebenfalls CRM-Software zu vermieten.

CRM-Hosting

Glaubt man Larry Ellisons Worten, dann war insbesondere Siebels Hosting-Strategie ein Grund für den Kauf. Damit düpiert Oracle den Datenbankrivalen IBM, der die Hosting-Infrastruktur stellt. Die unausweichlichen Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit Siebel wollte Big Blue lieber nicht kommentieren. IBM konkurriert mit Oracle auch bei Integrationslösungen und Applikations-Servern. Mit Siebel verliert Big Blue zudem einen weiteren Applikationspartner für die eigene "Websphere"-Plattform. Auch Peoplesoft und J.D. Edwards hatten ihre Systeme für Websphere optimiert.

Betroffen von der Übernahme ist auch Microsoft. Einerseits vermarkten die Redmonder eigene CRM-Lösungen für den Mittelstand, die auch mit Oracles Produkten konkurrieren, andererseits hatte Siebel seine Software an die Plattform .NET angepasst. Mit dieser Initiative will Microsoft seine Infrastruktur im Highend etablieren. Siebel-Kunden können wählen, ob sie ihre Produkte unter .NET oder J2EE betreiben möchten. Obwohl Oracles eigene Infrastruktur "10g" mit .NET konkurriert, wird die Ellison-Company nicht ohne weiteres die .NET-Anpassung der Siebel-Software aufgeben können. Gleiches gilt für die Datenbankunterstützung: Während Oracles E-Business-Suite nur die hauseigene Datenbank nutzt, arbeiten Siebel-Programme auch mit Systemen von IBM und Microsoft zusammen.

Oracle braucht CRM-Zukäufe

Ähnlich wie schon bei den Peoplesoft-Lösungen muss Oracle wohl oder übel die Schnittstellen zu konkurrierenden Datenbanksystemen aufrecht erhalten. Es dürfte Oracle schwer genug fallen, die Siebel-Kunden zu halten, drastische Maßnahmen wie das Aufkündigen von Produktfunktionen wären zumindest kurzfristig fehl am Platz. Siebel soll nach Bekunden Oracles das Zentrum der CRM-Entwicklung bilden. Was dies für die bestehenden CRM-Produkte des Hauses bedeutet, bleibt vorerst im Dunkeln. Mittlerweile verfügt Oracle durch Zukäufe über fünf CRM-Linien (Oracle, J.D. Edwards, Peoplesoft, Retek und Siebel). Diese setzen zwar verschiedene Schwerpunkte, letztlich dienen sie aber alle dem gleichen Zweck.

Gleichwohl ist Oracle auf CRM-Zukäufe angewiesen: Im deutschen Markt konnte das Unternehmen mit eigenen CRM-Produkten nie richtig Fuss fassen. Dem Berater Wolfgang Schwetz aus Karlsruhe zufolge kommt Oracle hierzulande auf gerade einmal drei Installationen. Mehr Bedeutung erlangte der Anbieter durch den Kauf von Peoplesoft und Siebel.

Nach den Zahlen des Beratungshauses Gartner belegt Siebel hierzulande den zweiten Platz mit einem Marktanteil am Lizenzumsatz von 6,6 Prozent im Jahr 2003. SAP bringt es auf 43,8 Prozent. Siebel beschäftigt derzeit etwa 100 Mitarbeiter in Deutschland.

Integration der Produkte

Angst haben brauchen die deutschen Siebel-Kunden nach Ansicht von Schwetz nicht. Für die nächsten zwei bis drei Jahre seien die Investitionen gesichert. Zu Panikreaktionen bestehe kein Anlass. "Ich vermute, dass Siebel seine Eigenständigkeit auf der Produktseite behält. Bezogen auf die Tools und die Basis-Technologien wird es eine andere Ausrichtung geben." Schwetz spielt damit auf Oracles Architekturkonzept "Fusion" an. Die Middleware soll die eigenen und die erworbenen Business-Software von Retek und Peoplesoft integrieren und möglicherweise auch die Siebel-Lösung. Das Ziel dabei ist, Informationen und Prozesse über verschiedene Applikationen hinweg zu verwalten beziehungsweise zu betreiben.

Universal Application Network

Ob und wie in die Oracle-Welt Siebels "Universal Application Network" (UAN) aufgeht, vermag niemand vorherzusagen. UAN ist Siebels Web-Services-Strategie. Sie beinhaltet Geschäftsprozesspakete, mit denen Firmen eine horizontale Integration von verschiedenen Business-Applikationen mit den Siebel-Produkten bewerkstelligen sollen. Diese Pakete stützen sich auf Integrationslösungen von Oracle-Konkurrenten wie IBM, Seebeyond (mittlerweile eine Tochter von Sun) und Webmethods. Auch Microsofts .NET, Biztalk und Office werden darüber angebunden. Da Oracle das Applikationsgeschäft auch für die Vermarktung der der eigenen Infrastruktur nutzen möchte, stören solche Partner nur.