Experten warnen vor zu viel Technik

CRM: "Die Kunst, Kunden nicht zu Tode zu lieben"

17.12.1999
DÜSSELDORF (bs) - Customer-Relationship-Management (CRM) ist derzeit in Mode. Wie die Software für Vertrieb, Marketing und Service gewinnbringend einzusetzen ist, wieviel CRM Unternehmen und Kunden brauchen und welche Aufgaben auf IT-Mitarbeiter zukommen, diskutierten Anwender, Berater und Analysten auf der CRM-Expo in Düsseldorf.

"Die Frage ist heute nicht mehr, was kostet die Implementierung von CRM, sondern was kostet es, CRM nicht zu haben", behauptet Hans Bodigbauer, Leiter Marketing der Baywa Agrar in München. In seinem Vortrag auf der CRM-Expo zeichnet er vor den rund 350 Kongreßteilnehmern sein Bild, wie Unternehmen künftig gute Geschäfte machen können: Die Pflege der Beziehung zu möglichen und bestehenden Kunden sei der Schlüssel zum Erfolg. Damit liegt Bodigbauer im Trend, obwohl das Thema so alt ist wie der Handel selbst.

Relativ neu aber sind die technischen Möglichkeiten, die Software heute bietet, um die Beziehung zu Kunden zu pflegen. Neben der Unterstützung von operativen Aufgaben in Vertrieb, Marketing und Service lassen sich mit Data-Warehouse- und Analyse-Tools aufwendigste Kunden- und Produktdatenauswertungen bewerkstelligen, die dem Vertrieb gewinnbringende Verkaufsargumente an die Hand geben. Auch für die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen allen Bereichen innerhalb eines Unternehmens, die Kontakte zu Geschäftspartnern haben, ist gesorgt: Intranet- und Internet-Techniken sowie die zunehmende Verbreitung mobiler Kommunikationsendgeräte erlaubt eine Kundenbetreuung überall, zu jeder Zeit und in verschiedenen Qualitätsstufen: "CRM ist brutaler Kapitalismus", verkündet Wolfgang Martin, Analyst der Meta Group und Co-Chairman des CRM-Kongresses. Es gehe darum, immer noch etwas mehr aus den Kunden herauszuholen.

Auf dem Kongreß zeigte sich, wie weit hier Theorie und Praxis auseinander klaffen: Während Marktforscher und Anbieter ganzheitliche Ansätze für das Kunden-Management verkaufen - CRM ist der Überbau, und dazu gehören operative, analytische Anwendungen sowie Lösungen für die Zusammenarbeit, und das alles integriert (siehe Grafik "CRM-Ökosystem) - stecken die Projekte noch in den Kinderschuhen. Punktlösungen in Vertrieb oder Marketing sind die Realität.

"Es hat sich bewährt, den großen Bauplan im Hinterkopf zu haben, aber dort mit konkreten Lösungen zu beginnen, wo der Schuh am stärksten drückt", erklärt Baywa-Manager Bodigbauer seine Vorgehensweise. Nach dem Motto "Think big, start small" steht dabei für viele Unternehmen zunächst die Bereinigung der Kundendaten auf dem Plan. So bildet auch für das Baywa-Team eine solide Adreß- und Kundendatenbank das Fundament für eine CRM-Strategie: "Wir wollen unsere Kunden und Partner besser kennenlernen."

Das Handels- und Dienstleistungsunternehmen für die Land-, Forst- und Gartenwirtschaft hat dabei mit einem besonderen Phänomen zu kämpfen: "Jährlich werden rund 30000 landwirtschaftliche Betriebe geschlossen. Die Zahl der Kunden schrumpft, dafür werden die verbleibenden Höfe immer größer."

Das Unternehmen entschied sich für den "Marketing-Manager" von Update Marketing. Dieser unterstützt das Kontakt- und Workflow-Management, Team- und Cross-Selling und erlaubt es, Vertriebspartner einzubinden. Für Bodigbauer zeigte sich während der Pilotphase, in der 30 User mit dem System arbeiten, daß eine "exzellente" Datenqualität ausschlaggebend für den Projekterfolg ist: "Unsere Kundendaten waren Kraut und Rüben. Wir hatten Personen mehrfach gespeichert oder schleppten Informationen von Leuten mit, die bereits gestorben waren." Die Pflege der Daten wurde an einen Dienstleister vergeben. Im Endausbau sollen rund 300 Mitarbeiter mit dem System arbeiten.

Saubere Kundendaten als Fundament

Die Kosten gibt Bodigbauer mit 10000 Mark pro Arbeitsplatz an, worin je zu einem Drittel Hardware, Software und Schulung enthalten sind. Die laufenden Kosten kalkuliert er mit rund 200 Mark pro Monat und Arbeitsplatz, wobei für 100 Endgeräte ein Administrator eingesetzt wird. Im nächsten Jahr plant Baywa die Kopplung des Marketing-Managers mit dem Internet und einem Shop-System, womit Landwirte ihr Saatgut dann online bestellen können.

Eine Kernfrage auf dem Kongreß war, woher das plötzliche Interesse an einer vertiefte Beziehung zu den Kunden kommt. Roland Gieske, Management-Berater und Chef von Iceberg Cosulting aus Bremen, hat zwei Impulse ausgemacht: Viele Unternehmen haben heute ihre nach innen gerichtete Umstrukturierung abgeschlossen. Neue Computertechniken und Software erlauben es, Verhaltensmuster von Kunden ohne Zeitverzögerung transparent zu machen. Bei allen technischen Möglichkeiten warnt er aber davor, die Balance zwischen dem "virtuellen Kontakt" durch massive CRM-Technik und der sensiblen echten Beziehung zum Kunden zu vernachlässigen: "Die freundliche, aber monotone Ansprache eines Call-Center-Agenten ersetzt nicht das individuelle Verkaufsgespräch." CRM-Tools könnten nur vorbereiten, den Abschuß erreiche man erst im persönlichen Kontakt.

"Technisch sind wir bei George Orwells 1984 angekommen", ergänzt Analyst Martin. Ein gläserner Kunde sei heute möglich, doch nicht nur aus ethischen, sonder auch aus geschäftlichen Gründen dürfte man nicht zu weit gehen: "Wieviel CRM wollen Kunden überhaupt?" Eine Orientierungshilfe könnten die Datenschutzverordnungen der Europäischen Union in Brüssel geben (Abteilung 15). Dort ist festgelegt, welche Informationen gespeichert werden dürfen. Ebenso nützlich sei es, Psychologen oder Verhaltensforscher mit ins Boot zu holen, wenn Unternehmen ein System planten. Martin: "CRM-Projekte sind die größte Herausforderung seit es IT gibt. Zum ersten Mal steht der Kunde im Mittelpunkt des Interesses, da menschelt es halt."

Davon weiß auch Gunnar Lange von der Abteilung Vertriebs-Controlling und Systeme bei Appolinaris & Schweppes zu berichten: "Das langsame Umdenken der Leute läßt einen manchmal schon verzweifeln. Dennoch ist das Unternehmen seinem Ziel eines integrierten CRM-Systems einen Schritt näher gekommen. Management, Fachabteilung, IT und auch der Betriebsrat haben mitgespielt. Ziel des CRM-Projekts bei Appolinaris ist es, aktuelle Verkaufsinformationen zu sammeln, das Management und die rund 80 Außendienstmitarbeiter mit Analysen zu versorgen sowie die Lösungen mit dem Backend-System SAP R/3 zu koppeln.

"Früher hat unser Vertrieb mit Excel gearbeitet, die Daten für die Absatzplanung aus den operativen Systemen mußten manuell übertragen werden", beschreibt Lange die heute noch übliche Praxis vieler Betriebe. Es bedurfte einiger Klimmzüge, um Verkaufsdaten vom Außendienst über die Regionalleiter bis hinauf auf die Konzernebene zu verdichten. Die Informationen waren zudem oft veraltet und fehlerhaft. Für die Unterstützung des Verkaufs entschied sich das Unternehmen für die "CP Sales Suite" von CAS, Pirmasens, Analysen werden mit den Data-Warehouse-Produkten "Accelerator for R/3", "Impromptu" und "Power Play" von Cognos erstellt. Eine besondere Herausforderung für Lange und sein Team war die Anbindung der CP Sales Suite an R/3 im Bereich Stammdaten.

Die Walldorfer Software war für die Belange des Getränkekonzerns stark modifiziert worden, da branchentypische Funktionen wie Verwaltung von Leergut und Gebindearten im Standardfunktionsumfang von R/3 fehlten. Zudem wurden die Anwendungen zunächst unabhängig voneinander implementiert, was die Abstimmung der Schnittstellen zusätzlich erschwerte und die Gesamtprojektlaufzeit auf über zwei Jahre verlängerte. Lange hält es aber für möglich, die technische Implementierung in sechs bis neun Monaten zu schaffen.

Die Aussichten für Software-Anbieter, Berater und Systemintegratoren im CRM-Markt sind rosig. Allein in Deutschland soll das Segment laut einer Studie der Meta Group von 1,67 Milliarden Mark (1998) auf rund 6,5 Milliarden im Jahr 2002 anschwellen. Dabei nähern sich die Anwender hierzulande dem Thema eher schüchtern: Nur etwa 34 Prozent von 738 durch die Meta Group befragten Betrieben hierzulande beschäftigen sich mit CRM, knapp sieben Prozent davon wiesen eine implementierte Lösung vor. Der Rest plant auch in den nächsten ein bis zwei Jahren kein derartiges Projekt. Ganz anders dagegen in den USA: Laut einer Befragung der Meta Group in Nordamerika wollen sich im Jahr 2000 annähernd 100 Prozent auf DV-Basis mit der Beziehung zu ihren Kunden befassen.

Nutzen von CRM ist weiter unklar

Ein Grund, warum CRM sich hierzulande nur schleppend verbreitet, ist der für viele Unternehmen nicht erkennbare Nutzen (51 Prozent). Bei 28 Prozent der Befragten seien die organisatorischen Voraussetzungen noch nicht gegeben, und ein Großteil der Betriebe wisse schlicht nicht, was mit CRM gemeint ist, so Analyst Martin. Auch Fragen, mit welchem CRM-Teilaspekt Unternehmen beginnen sollten oder wo die Grenzen der Kundenbeziehung sind, beschäftigen Anwenderbetriebe. Eine Patentlösung für diese Probleme gab es in Düsseldorf nicht.

Eines wurde allerdings deutlich: CRM ist mehr als eine Worthülse und auch kein Produkt von der Stange: "CRM ist eine Philosophie", bringt es Manfred Göbels auf den Punkt. Er zeichnet verantwortlich für den weltweiten Kundendienst im Bereich Nutzfahrzeuge der DaimlerChrysler AG. Die gesamte Organisation eines Unternehmens sei davon betroffen und zum Umdenken gezwungen. Abteilungs-Fürstentümer hätten ausgedient: Mit der Devise "Der Kunden ist unser Arbeitgeber und nicht der Daimler" motiviert Göbels seine Mitarbeiter zu mehr Service.

Gleichzeitig warnt Berater Gieske aber vor zuviel Beziehung zum Kunden: "CRM ist die Kunst, den Kunden nicht zu Tode zu lieben." Sich in puncto Kunden-Management allein auf moderne Hard- und Software zu verlassen sei dabei falsch: "Bevor die CRM-Schlachtschiffe auslaufen werden, müssen sich Unternehmen mit den Wünschen und dem Verhalten des Kunden auseinandersetzen."

CRM-Studien

Anwender, die sich über das Thema Customer-Relationship-Management informieren möchten, können auf zwei unterschiedliche Studien zurückgreifen. Die Meta Group, München, (www.metagroup.de) hat im Sommer und Herbst dieses Jahres 738 deutsche Unternehmen zu ihren CRM-Strategien befragt. Die Untersuchung "Agenda 2000: Customer Relationship Management (CRM) in Deutschland" ist nach Branchen gegliedert und gibt die praktische Erfahrung aus Projekten, eine Einschätzung des hiesigen Marktes sowie Beispiele für den Aufbau von CRM-Systemen wieder. Kontakt: Thomas.Witzer@metagroup.com.

Hilfe bei der Auswahl eines Herstellers bietet "CRM Strategies" von Ovum Ltd. Vorgestellt werden hier die Architekturen verschiedener führender Hersteller und deren Marktpositionierung. Darüber hinaus werden die Möglichkeiten zur Integration von ERP- und CRM-Anwendungen beschrieben (Enterprise Application Integration). Kontakt: Jessica Figueras, Ovum Ltd., 00442075519034 oder info@ovum.com.