Chef-Entwickler Steve Chen verläßt verärgert das Unternehmen:

Cray Research stoppt Entwicklung des MP

11.09.1987

MINNEAPOLIS/CHIPPEWA FALLS (CW) - Eines der ehrgeizigsten Projekte in der Parallelrechnerforschung ist abgebrochen worden. Der Multiprozessor Cray MP wird nicht weiterentwickelt, weil die ursprüngliche Zeit- und Kostenplanung bei weitem überschritten worden wäre. Chef-lngenieur Steve Chen ist aus der Cray Research Inc. ausgeschieden.

Supercomputer-Pionier Seymour Cray ist neuerdings wieder der einzige Vordenker in seinem Betrieb. Hatten sich bisher zwei Arbeitsgruppen, eine von Cray und eine von dem aus Taiwan stammenden Amerikaner Steve Chen geleitet, in der Forschungsabteilung von Cray Research intern Konkurrenz gemacht, so besteht seit letzter Woche nur noch das Team des Chefs, das derzeit den Cray-3 entwickelt.

Entwicklungsstab fällt dem Rotstift zum Opfer

Das Supercomputerprojekt "MP" (Multiple Processor) hingegen ist aus Kostengründen beerdigt worden. Chens 180-Personen-Stab fällt damit zum großen Teil dem Rotstift zum Opfer: Knapp hundert Stellen sollen in der nächsten Zeit abgebaut werden.

Nachdem Chen aus Protest gegen die Entscheidung seine Demission bekanntgegeben hatte, schlossen sich ihm spontan etliche Ingenieure an, die wie ihr Chef das plötzliche Aus der jahrelangen Forschungsarbeiten nicht verdauen konnten. Doch was zählte, waren die wirtschaftlichen Fakten. Mit den 50 Millionen Dollar, die Cray dem Chen-Team zur Verfügung gestellt hatte, wäre das Projekt nach heutiger Kenntnis nicht realisierbar gewesen.

Gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen

Durch den Abbruch der Arbeiten kommt das Unternehmen, bei dem rund 15 Prozent des Umsatzes in den Bereich Research and Development fließen, finanziell mit einem blauen Auge davon: Die bisherigen Projektkosten summierten sich erst auf 22 Millionen Dollar. Hätte man nicht die Notbremse gezogen, so heißt es bei Cray, hätte der MP mindestens 100 Millionen verschlungen. Ganz abgesehen davon hatte sich bei dem angepeilten Ziel, bis Anfang der 90er Jahre ein funktionierendes System zu bauen, der Wunsch als Vater des Gedankens erwiesen.

In der Supercomputer-Szene sorgte der Vorfall für vielfältige Spekulationen, sowohl über die Zukunft der Cray Research als auch über die von Chen. Der Ingenieur, der auch an der Konzeption der heutigen Baureihe X-MP und der der künftigen Modellserie Y-MP mitgewirkt hat, steht bei den Headhuntern hoch im Kurs. An seinem Know-how, für das sein bisheriger Arbeitgeber offenbar keine rechte Verwendung hat, sind diverse Computerhersteller interessiert. Denn die Zeit von Crays Quasi-Monopol bei Superrechnern ist vorbei. Die Großen der DV-Industrie haben die Supercomputer als Zukunftsmarkt entdeckt.

Nach einer Studie der IDC wird der Markt für die schnellen Numbercruncher bis 1991 auf vier Milliarden Dollar jährlich wachsen und sich damit gegenüber 1986 vervierfachen. Die Analystin Marcia Brooks, die bei dem Marktforschungsunternehmen in Framingham/Massachusetts das Segment Supercomputer bearbeitet, weiß beispielsweise zu berichten, daß die IBM ihre Marketingsaktivitäten für die 3090-Jumbos mit Vektor-Einrichtung doppeln will. Digital Equipment bereite einen Einstieg in die Klasse der Mini-Supercomputer für Anfang 1989 vor.

Das Wall Street Journal sieht ernsthafte Konkurrenz für Cray auch in dem Japan-Konzern NEC und der amerikanischen Eta Systems Inc., einer Control-Data-Tochter, heranwachsen. Sollte Steve Chen bei Eta an Bord gehen, schlösse sich gewissermaßen ein Kreis: Seymour Cray hatte 1972 Control Data verlassen, weil man ihre seine "futuristischen" Forschungsvorhaben nicht finanzieren wollte.