Neue Arbeitswelt

Coworking - Wir nennen es Office

12.11.2009

Soziales Netz - in echt

Auch Matthias Meinecke (27) hat bis vor einem Monat zu Hause gearbeitet. "Irgendwann fällt einem die Decke auf den Kopf und die sozialen Kontakte fehlen." Deshalb ist der Software-Unternehmer mit seiner GmbH und seinem großen Monitor ins "betahaus" gezogen. Für Jens Schramm war dagegen die Flexibilität der entscheidende Grund: "Wir wussten nicht, wie wir uns weiterentwickeln, ob noch mehr Leute dazukommen. Außerdem kann ich hier schneller wieder 'raus, ich kann mich jederzeit verkleinern oder vergrößern." Der 26-Jährige mit den langen Rastazöpfen hat für seine Konzertagentur derzeit vier Arbeitsplätze in einer Ecke von "office 2" gemietet.

Die Türen des alten Lastenaufzugs krachen scheppernd nach unten und er ruckelt in den dritten Stock, der zweiten Ebene vom "betahaus". Vorbei an "dialog 2", einem der drei Meetingräume, gelangt man zu den beiden anderen großen Büros. Auch hier oben Platten auf Böcken so weit das Auge reicht. An einer hat sich inzwischen Regisseur Felice mit seinem weißen Apple niedergelassen, um an einem Konzept für einen Fernsehkrimi zu schreiben.

In den Ecken haben sich die Fixdesk-User eingerichtet, die ihre Schreibtische fest angemietet haben, zurzeit 15 an der Zahl. Unter einem döst friedlich ein brauner Boxer. Die Fixdesk-User zahlen 229 Euro Miete pro Monat und dürfen dafür über Nacht ihre Arbeitsmaterialien stehen und liegen lassen. Inklusive sind Schließfach, Briefkasten, 10 Stunden Meetingraum und ein eigener Schlüssel. Vereinzelte Regale sorgen für ein wenig Stauraum und Privatsphäre. Die Flexdesk-User dagegen müssen ihren Schreibtisch verlassen, wie sie ihn vorgefunden haben: leer. "Clean Desk Policy" heißt das hier.

Einen Schreibtisch für einen Tag gibt es ab 12 Euro - je öfter man kommt, desto billiger. Wer keinen eigenen Schlüssel dazu bucht, darf nur von 9 Uhr bis 18 Uhr bleiben. Viele User, wie die Mieter genannt werden, sind allerdings froh, "diesen Druck zu haben, morgens schon so früh da zu sein, weil sie nur bis sechs bleiben können. Die sind selig, wenn sie endlich mal einen Rahmen haben und dann aber auch schön Feierabend machen können", erzählt die 28-jährige Madeleine von Mohl, Mitgründerin des "betahauses". "Es tut einfach gut, ein bisschen Tagesstruktur reinzubringen, sonst zerfließt das alles zu einem Brei und man wäscht doch die Wäsche, statt an seinem Konzept zu arbeiten," ergänzt Tonia Welter (30), die ebenfalls zum Gründerteam gehört und Designerin ist.

Am späten Mittag treibt der Hunger Regisseur Felice wieder nach unten in die "Wissensarbeiterkantine", wie das Café auch genannt wird. Geboten werden auf dem Speiseplan Möhrensuppe, gegrillte Sandwiches, Kürbis-Pastasalat und zum Nachtisch Pflaumenkuchen. Wessen Geschmack diese Auswahl nicht trifft, kann im hauseigenen Wiki Essenswünsche äußern. Regisseur Felice nimmt mit einem Sandwich an einem Tisch Platz - alleine. Dabei würde sich die Pause anbieten, mit anderen Mietern ins Gespräch zu kommen. Die jungen Kreativen sind schließlich hier, um der Einsamkeit am heimatlichen Schreibtisch zu entfliehen.