Neues Konzept koennte Anfang vom Ende des Sprachmonopols bedeuten

Corporate Networks: Anpassung an EG-Norm erhitzt die Gemueter

12.03.1993

Heimlich, still und leise hatte man im Postministerium Ende vergangenen Jahres noch schnell fuer klare Verhaeltnisse gesorgt und eine von vielen Anwendern und Experten beklagte anachronistische TK-Altlast beseitigt (vgl. "In Corporate Networks darf bald auch Sprache uebermittelt werden", CW Nr.1/2 vom 8. Januar 1993, Seite 15). Hintergrund: Die Sprachuebertragung in Corporate Networks unterlag nach bisher geltendem deutschem Recht dem Telefondienst-Monopol und war damit weitaus restriktiver ausgelegt als in den meisten EG-Laendern und in den USA. Ausschlaggebend war jedoch vor allem eines: Die deutschen Bestimmungen standen im Widerspruch zu der von der EG-Kommission bereits 1990 verabschiedeten Richtlinie ueber den Wettbewerb bei TK-Diensten (90/388/EWG).

Um quasi mit weisser Weste den Binnenmarkt angehen zu koennen, aber auch auf unmissverstaendlichen Druck der EG-Kommission hin praesentierten die Bonner Deregulierer nun eine Uebergangsregelung, die, wie es im Text heisst, "kurzfristig in dieser Frage eine vollstaendige Konformitaet zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht herstellt".

Nachdem bisher die Deutschen als Bremser jeglicher Liberalisierung im Bereich des Sprachuebertragungs-Monopols galten, sollte nun auch in der Bundesrepublik Rechtsklarheit herrschen. Umstritten war dabei vor allem, inwieweit die Sprachuebermittlung in unternehmensweiten Netzen, die unterschiedliche Standorte umfassen, zulaessig ist.

Ja zu Europa liess keine andere Option zu

Die jetzt weitergehende Freigabe der Sprachuebermittlung umfasst nach Angaben von Peter Bross, Leiter der fuer die Deregulierung zustaendigen Hauptabteilung 1 im Bonner Postministerium, "geschlossene Benutzergruppen, die, bezogen auf den Geschaeftszweck, den sie verfolgen, in einem Vertragsverhaeltnis zueinander stehen". Im Klartext: Waehrend bisher bereits die Kombination von Sprach- und Datenuebertragung in geschlossenen Benutzergruppen bei LANs und MANs - in Faellen, wo der Datenverkehr ueberwog - zulaessig war, soll dies jetzt generell fuer die klassische Mutter-Tochter-Beziehung bei Unternehmen gelten. Hierzu erteilt nun das Ministerium dem neudefinierten Kundenkreis, wie es in der Richtlinie weiter heisst, "Genehmigungen zum Errichten und zum Betreiben von Fernmeldeanlagen, die der Vermittlung von Sprache fuer andere dienen", sofern es sich nicht um "eine kommerzielle Bereitstellung des Sprach-Telefondienstes fuer die Oeffentlichkeit handelt".

Was die Bonner Beamten da noch unter der Aegide des kurz vor Weihnachten zurueckgetretenen Ministers Christian Schwarz-Schilling auf den Weg gebracht haben, ist sich Bross durchaus bewusst - sowohl in politischer als auch in technischer Hinsicht: "Wenn wir Europa nicht insgesamt in Frage stellen wollten, hatten wir keine andere Option", lautet seine politische Begruendung fuer die Rechtsangleichung. "Das zugrundeliegende EG-Recht ist unter aktiver Mitwirkung der Bundesrepublik verabschiedet worden". Wer sich nun ueber die Entwicklung beklage, koenne nicht so tun, "als wenn er ueberrascht und nun gezwungen wurde, dies umzusetzen". Ueberdies sei, so die Klarstellung des leitenden Ministerialbeamten, der Grundsatz, den Massenkommunikationsdienst Telefon im Monopol zu behalten und im Umkehrschluss alles andere freizugeben, "ein auch von der Bundesregierung getragener Ansatz".

Auf entschiedenen Protest stiess das Postministerium mit seinem ueberfaelligen ordnungspolitischen Eingriff denn auch gleich bei der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), deren stellvertretender Vorsitzender Emil Bock dem ehemaligen Minister Schwarz-Schilling einen "wenig guten Stil" attestiert, in dem dieser schon mit der Ruecktrittsabsicht im Kopf noch eine so weitreichende Entschliessung vom Zaun gebrochen habe.

Es sei zudem "absolut unlogisch", so Bock gegenueber der COMPUTERWOCHE, "sich einerseits zu bemuehen, die Telekom an die Boerse zu bringen und ihr andererseits grosse Einnahmeverluste durch Verkehrsentzug aufzuerlegen".

Wie sehr der streitbare DPG-Vize hier einen wunden Punkt anspricht, macht Telekom-Sprecher Klaus Czerwinski deutlich, der in einer ersten Stellungnahme davon ausgeht, "dass die Neuregelung sicherlich den Markt der Telekom beeintraechtigen wird". Zwar koenne man beim Bonner Postunternehmen nach rund neun Wochen noch keine Bilanz ziehen, sehe aber durchaus die Tragweite des geaenderten Genehmigungskonzeptes.

Telekom nimmt die Neuregelung zur Kenntnis

Generell gelte, so Czerwinski, die Devise, "dass die Telekom das, was die EG beschlossen und die Bundesregierung nun umgesetzt hat, zur Kenntnis nimmt". Kuenftig wolle man daher verstaerkt versuchen, ueber eigene, weitergehende Loesungsvorschlaege wie das Telekom Designed Network (TDN) es "fuer Kunden interessant zu machen, das ganze weiterhin ueber uns abzuwickeln".

Worum es jedoch jenseits aller politischer Scharmuetzel vor allem geht, ist, wie Bross die Konseqenzen fuer das Netzmonopol der Telekom richtig einschaetzt, die Tatsache, dass man sich mit dem Genehmigungskonzept von "der Crux der bisherigen Regelung befreit hat" - naemlich "den Sachverhalt ausschliesslich nach technischen Kriterien zu beurteilen". Entscheidend sei nun lediglich, so der Deregulierungs-Verfechter im Postministerium, "in welchen Kommunikationsbeziehungen die einzelnen Kundengruppen zueinander stehen". Wie die Sprachuebermittlung dabei bewerkstelligt werde - ueber Festverbindungen oder das herkoemmliche Telefonnetz -, darueber sei "nichts ausgesagt". Das Fazit von Bross: "Der Uebertragungsweg der Telekom wird zwar noch benoetigt, alles was darueber hinausgeht, ist technisch nicht mehr abgrenzbar."

Fuer einen "riesigen Vorteil" haelt denn auch Horst Schaefers, Leiter des Bereiches Kommunikationstechnik bei der West-LB Duesseldorf, die neue Verordnung des Ministeriums, weil dadurch "fuer uns die Mutter-Toechter-Beziehungen endgueltig geklaert sind". In seinem Verantwortungsbereich war das Thema von jeher aktuell, weil man innerhalb der unternehmensweiten Netzinfrastruktur "immer schon Sprache uebertragen wollte". Bisher behalf sich die West-LB dabei, so die Auskunft des TK-Experten, mit Loesungen, bei denen man zum Teil "Handstaende" machen musste, um "mit rechtlichen Hilfskonstruktionen das Problem hinzubekommen".

Wie unbefriedigend und wenig praxisorientiert die bisherige Regelung war, verdeutlicht Schaefers an einem Beispiel: So konnte eine Immobilien- und Anlagentochter in Muenster, die im gleichen Haus wie die eigene West-LB-Zweigstelle untergebracht war, nicht ueber das bankeigene Standleitungsnetz mit der Muttergesellschaft in Duesseldorf kommunizieren und umgekehrt. Viele Unternehmen in der Bundesrepublik standen, so Schaefers, vor einer vergleichbaren Situation, konnten aber "aufgrund einer vielleicht schlechteren Argumentation" keine Genehmigung fuer die Sprachuebertragung erwirken.

Grenze wurde ein Stueck durchlaessiger

Fuer die Zukunft pruefe man nun natuerlich, was "durch die Freigabe zusaetzlich ermoeglicht wird". Dabei wollen die Banker Schaefers zufolge nicht nur eigene TK-Kosten einsparen, sondern erhoffen sich zusaetzliche Einnahmen von den von ihnen betreuten Kommunikationspartnern, "die dafuer bisher extra an die Telekom bezahlen mussten". Was der West-LB- Kommunikationsexperte in diesem Zusammenhang freimuetig ausspricht, koennte bei vielen anderen Grossanwendern in Sachen Umgehung des Sprachmonopols Schule machen: "Die Grenze ist ein Stueck durchlaessiger geworden, und wir gedenken dies auch auszunutzen."

Bis die Uebergangsregelung jedoch definitiv gesetzlich verankert ist, wird es nach Ansicht von Bross noch eine Weile dauern, weil dies ein Prozess sei, "der nicht in Tagen oder Wochen ablaeuft". Fuer den leitenden Beamten haengt dies unter anderem mit dem Fortgang der Postreform II zusammen. Komme diese "wie auch immer" zustande und gehe man in diesem Zusammenhang auch an das Fernmeldeanlagen-Gesetz (FAG) heran, koenne diese Frage "sicherlich mit bereinigt werden". Stelle sich eine Postreform hingegen als vorerst nicht realisierbar heraus, muesse man "ueber eine Novellierung des FAGs in diesem Punkt nachdenken".

In jedem Fall aber sei die Kritik derjenigen, die am Infrastrukturauftrag beziehungsweise dem Sprachmonopol der Telekom festhalten, zurueckzuweisen. Wenn Firmen nun ploetzlich, so die Retourkutsche von Bross an die maechtige Postgewerkschaft, Dinge zustande braechten, die die Telekom nicht kann oder aufgrund ihrer Geschaeftsziele auch gar nicht will, duerfe man dem "entgangenen Umsatz nicht nachweinen" und muesse "die Wachstumsimpulse fuer die Volkswirtschaft insgesamt sehen". Wuerde es gelingen, die Telekom zu privatisieren, gaebe es, so die vorherrschende Meinung im Ministerium, keinen Grund mehr, "eine derart strukturierte Gesellschaft noch laenger mit einem Monopol auszustatten".