Corporate Blogs in der Krise

16.03.2007
Deutsche Unternehmen experimentieren mit Online-Tagebüchern. Doch der lange Atem fehlt.
Die Skepsis gegenüber Inhalten firmeneigener Blogs ist groß.
Die Skepsis gegenüber Inhalten firmeneigener Blogs ist groß.

Er wurde in Marketing-Kongressen gefeiert, von den Propagandisten des Web 2.0 gepriesen, von Medienfachleuten gefördert: der Corporate Blog. Das firmeneigene Online-Tagebuch sollte auch in Deutschland neue Wege in der Kommunikation erschließen. Mal zielte es auf die Konsumenten der Online-Generation, mal ging es darum, die Experten einer Branche zu vernetzen - möglichst für weniger Geld, als eine kleine Werbekampagne in Fachzeitschriften kostet.

Blogs als Wissens-Management 2.0

Seit sieben Monaten gibt es eine Siemens-interne Blogo-späre, die vor allem durch das Engagement des Vorstandschefs Klaus Kleinfeld bekannt wurde. Aufgabe dieser Blogs ist eine Verbesserung des Wissens-Managements. Karsten Ehms, Principal Consultant bei Siemens Corpo- rate Technology, betreut die Corporate Blogs.

CW: Welchen Umfang hat die Siemens-Blogosphäre?

EHMS: Zurzeit sind es rund 1800 Beiträge, knapp 3000 Kommentare und etwa 1400 Tags. An die 1000 User haben die Blogging-Policy akzeptiert, können auf Knopfdruck kommentieren oder bloggen - die Reichweite umfasst etwa 15000 Kollegen.

CW: Was sind die Ziele des Corporate Blogging?

EHMS: Blogs sollen eine dialogorientierte Kommunikation ermöglichen, sozusagen Wissens-Management 2.0. Für die Siemensianer sind sie ein mehr und mehr genutztes Arbeitsmittel. Zurzeit gibt es bei uns etwa 400 Weblogs, von denen rund 15 Prozent als aktiv gelten. Blogs ersetzen teilweise die E-Mail, bieten eine bessere Vernetzung und Nachvollziehbarkeit. Sie sind kein Ersatz für Content- oder Document-Management-Systeme, sondern eine sinnvolle Ergänzung mit wertvollen Links und personenbezogenen Kontextinformationen.

CW: Gibt es immer eine offene Kommentarfunktion, wird moderiert oder zensiert?

EHMS: Jeder Beitrag ist kommentierbar, es gibt keine anonymen Beiträge. "Moderiert" wird nicht im Sinne eines Redaktionsprozesses mit Freigabe etc., sondern über Dialog und Kommentare. Es gab keinen einzigen Fall von Missbrauch im Sinne eines Verstoßes gegen die Blogging-Policy.

Wie misst man den Erfolg eines Blogs?

Aussagekräftig ist die Menge der Verlinkungen mit anderen Blogs. Wichtig bleibt: Wie reagieren die Leser, und wie sieht es mit der Zahl und der Qualität der Kommentare aus? Die Beurteilung der Wettbewerber ist schwieriger, da viele Zahlen in der Aufmerksamkeitsökonomie des Webs mit Vorsicht zu genießen sind. Hier einige unabhängige Sites, die das Ranking mit unterschiedlichen Methoden versuchen:

• www.technorati.com,

• www.alexa.com,

• www.top100-business-blogs.de,

• www.best-practice-business.de/blog.

Hier lesen Sie ...

• wie deutsche Firmen mit Blogs arbeiten;

• wo die Chancen und Risiken der Corporate Blogs liegen;

• warum die Einstiegshürden so hoch sind.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/

568726: CEO-Blogs;

565909: Corporate Blogs in USA;

572899: Blogs und Web 2.0.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Nur fünf der Dax-30-Unternehmen betreiben mehr oder weniger engagiert eine Art von Corporate Blog. Am stärksten sind ITK-Unternehmen, in anderen Branchen wie in der Automobilindustrie sieht es düster aus: außer mutigen, aber kurzatmigen Versuchen von Opel oder BMW - Fehlanzeige. Dabei sind gerade dort die Kunden interessiert: Foren zu Audi- oder Opel-Fahrzeugen oder deren Tuning verzeichnen seit Jahren Tausende von Beiträgen und Nutzern.

"Comments (0)"

Viele deutsche Corporate Blogs, mal von engagierten Mitarbeitern in den Abendstunden betreut, mal von hochbezahlten Agenturen entworfen und bestückt, dümpeln in kleinsten Nischen vor sich hin oder verenden nach einigen Monaten. Schlechtes Design, müdes Einstellen langweiliger Pressemitteilungen, seltene Aktualisierungen - und "Comments (0)", oder höchstens "Comments (1)", wenn sich ein hauseigener Mitarbeiter mal zu einem Kommentar aufraffen konnte oder gezwungen wurde. Der Zähler vieler Corporate Blogs zeigt für alle, dass oft kein Interesse bei Kunden, Experten oder Wettbewerbern besteht, sich auf einen Dialog mit den Machern des Blogs einzulassen - was aber doch die Kernfunktion eines Corporate Blogs sein soll.

Im vergangenen Frühjahr begann die Fischer-Gruppe ihr Projekt "Fixing-Blog", unterstützt von der Berliner Agentur "VM-People". Nach allen Theorien ist der Mittelständler für diese Kommunikationsform wie geschaffen: ein Hersteller von komplexen, vielfältigen Befestigungslösungen, eingebunden in ein internationales Expertennetz von Universitäten und Industrie.

Am Anfang stand die Vision: "Die Befestigungsexperten von Fischer tauschen sich weltweit mit Planern, Handwerkern, Wissenschaftlern und Studenten aus. Die neue Kommunikationsplattform hat zum Ziel, schnell und direkt über Aktuelles aus Bauwesen, Statik und Befestigungstechnik zu informieren." Nach wenigen Monaten schwand der Elan, im November 2006 fanden sich nur noch drei neue Einträge, die Zugriffe brachen auf rund ein Viertel zusammen. Nach einer letzten Aktualisierung am 12. Januar hieß es dann am 1. März trocken und ehrlich: "Der Fixing-Blog wird eingestellt. Ein Blog lebt von Aktualität und von kurzer, direkter Kommunikation. Für dieses Medium ist die Zeit bei uns intern offensichtlich noch nicht reif." Die Leiterin der Fischer-Unternehmenskommunikation, Beate Rzadtki, bringt es auf den Punkt: "Die Aktualisierungsrate ist stark gesunken, was überwiegend interne Gründe hatte, aber auch daran lag, dass das Feedback sehr verhalten war, die Zielgruppe (Planer/Statiker) nicht erreicht wurde und keine aktive Diskussion stattfand." Falsche Einschätzung der internen Möglichkeiten also, aber vielleicht auch der externen Adressaten: Wollten oder konnten sie nicht?

Angst vor Kontrollverlust

Diese Mischung aus Kurzatmigkeit - vielleicht auch mangelnder Konsequenz - und geringem Wissen über die Zielgruppen ist in deutschen Unternehmen häufig: Die "Euroblog-2006"-Studie zeigt zwei Lager, wenn es um die Einführung von Blogs geht: Etwas mehr als jeder zweite der befragten 587 PR-Fachleute aus 33 Ländern kümmert sich entweder gar nicht um das neue Medium oder will es nicht nutzen. Die andere Hälfte plant, innerhalb eines Jahres einzusteigen. Die Gründe für eine Ablehnung der Bloggerei lassen sich auf drei Hürden für Einsteiger reduzieren:

• Die Vorteile sind noch nicht deutlich genug;

• es herrscht Angst, die Kontrolle über die Kommunikation zu verlieren;

• mangelndes Personal.

Vor kurzem wurde recht plausibel versucht, den Return on Investment eines Corporate Blogs darzustellen. Charlene Li von Forrester Research hält das gar nicht für schwierig, vorausgesetzt, dass sich ein Unternehmen über die Ziele eines Blogs im Klaren ist. Ein Blog, der Hochschulabsolventen für das eigene Unternehmen zu interessieren versucht, muss anders unter die wirtschaftliche Lupe genommen werden als der "Fastlane-Blog" von General Motors. Letzterer wird jeden Monat von etwa 100 Lesern kommentiert. Ein Kundenpanel im gleichen Umfang zu befragen kostet im Monat etwa 15000 Dollar, damit werden im Jahr ungefähr 180000 Dollar durch den Blog gespart.

Juristische Risiken der Blogs

Auch Risiken quantifiziert Li ohne Scheu: Ein von Vorständen gefürchtetes Risiko ist die vorzeitige Bekanntgabe von börsenrelevanten finanziellen Details. Li schätzt das Risiko auf etwa drei Millionen Dollar, eine Mischung aus juristischen Kosten und einer Beschädigung der Marke oder des Vertrauens in das Unternehmen. Gegenmittel: Für etwa 10000 Dollar können alle Blogger trainiert, eine Kontrollinstanz eingeführt und das Risiko so auf ein vernachlässigbares Maß reduziert werden.

Dass Corporate Blogs in Deutschland ein wichtiger Baustein in der Unternehmenskommunikation und im Knowledge-Management werden, dafür sprechen die Erfolge interner Exemplare und die bewährten externen Blogs "Frosta-Blog.de", "Saftblog.de" oder "Fischmarkt. de". Jedes neue Medium braucht Zeit, um Konsumenten und die ihnen entsprechenden Formate zu finden. Nötig sind jedoch erhebliche Mittel und die Überzeugung mutiger Entscheider, eine transparente Unternehmenskultur in Zeiten des Internets zu wagen und vernetzte Kunden nicht nur als Risiko zu sehen. Neue Formen werden bereits erprobt: So genannte Flash-Blogs, die nur bei Bedarf und für eine überschaubare Zeit aktiv betrieben werden, könnten für manche Unternehmen die Lösung sein. (hk)