Windows-Produkte als Rückversicherung

Corel und Inprise verschmelzen zu einer Linux-Company

11.02.2000
MÜNCHEN (CW) - Mit der Übernahme des Entwicklungsspezialisten Inprise will das Corel-Management sein Unternehmen zum "Linux Powerhouse" ausbauen. Bei allem Zutrauen in das Freeware-Unix sollen aber auch die Windows-Produktlinien weitergeführt werden.

Die Übernahme von Inprise, ehemals Borland, ist der Höhepunkt einer Partnerschaft, die seit Jahren ausgebaut wird. Das gilt insbesondere für die Linux-Orientierung, die im vergangenen Jahr bei beiden Firmen zur zentralen Strategie erkoren wurde. Die Unternehmen ähneln sich auch in ihrer Größe und in dem mäßig erfolgreichen Bemühen, aus der Verlustzone zu kommen. Von dem Aktientausch profitieren vor allem die Inprise-Eigner, deren Anteile mit rund 15 Prozent über dem Kurswert bezahlt werden.

Für ein Gelingen des Mergers spricht, dass sich die Produkte von Inprise und Corel ergänzen. Von Corel kommen drei Linux-Betriebssystem-Varianten und Anwendungssoftware wie Office-Pakete und Grafiksoftware. Inprise bringt vor allem Entwicklungswerkzeuge sowie einen weltweit aktiven Consulting-Bereich ein. Zukunftsträchtig, insbesondere in den Augen der Börsianer, sind auch die Internet-Tools von Inprise. So hat Inprise gerade erst die Linux-Version des Java-Entwicklungsumgebung "Jbuilder 3 Foundation" zum kostenlosen Download ins Internet gestellt. Technisch ist das Web-Know-how von Inprise eine wichtige Voraussetzung für Corels Absichten, auf Linux-Basis eine umfassende Internet-Infrastruktur aufzubauen.

Zentrale Bedeutung könnte auch die unter der Bezeichnung "Kylix" geplante Linux-Version der im Windows-Umfeld weit verbreiteten Entwicklungsumgebung "Delphi" erlangen, die für Mitte des Jahres angekündigt ist. Sollte es Corel gelingen, die Delphi-User auf seine Seite zu bringen, könnten mit Kylix erstellte grafische Anwendungen das bislang eher für Profis geeignete Linux auch für Computerlaien interessant machen. Eine solche Entwicklung wiederum würde dem Absatz von Corels Büro- und Grafiksoftware zugute kommen. Generell hofft Corel darauf, durch den jetzigen Deal der erste Anbieter zu werden, der im entstehenden Linux-Markt alle Funktionen von der Desktop-Anwendung bis zur Internet-Integration anbieten kann.

Insofern erweckten die Vertreter beider Firmen bei der Ankündigung ihrer Fusion den Eindruck, sie würden ihre Zukunft auf das Linux-Geschäft verwetten. Auf Nachfrage erfährt man jedoch, dass das Linux-Engagement keineswegs auf Kosten der Windows-Produkte gehen soll. In der Tat hat Inprise Mitte 1999 eine Kooperation mit Microsoft begonnen. Die Gates-Company hat sich mit zehn Prozent beteiligt und den notleidenden Entwicklern zudem mit einer Finanzspritze von 100 Millionen Dollar auf die Beine geholfen. Dafür hat sich Inprise verpflichtet, Microsoft-Systeme wie Windows 2000, "COM+", die "Microsoft Foundation Classes" und die "Distributed Internet Application Architecture" (DNA) zu unterstützen. Auch die Corel-Software läuft weitgehend unter Windows.

DER DEAL- Die Inprise/Borland-Eigner erhalten für eine Inprise-Aktie 0,747 Corel-Aktien.

- Der Gesamtwert der Transaktion beläuft sich auf rund 2,44 Milliarden Dollar.

- Inprise wird zu einer Corel-Niederlassung, deren Aktivitäten im Silicon Valley verbleiben. Hauptfirmensitz ist jedoch die Corel-Zentrale im kanadischen Ottawa.