Kaum noch Saft im "Linux-Powerhouse"

Corel steht nach geplatzter Fusion mit Inprise vor einem Scherbenhaufen

26.05.2000
MÜNCHEN (CW) - Das kanadische Softwareunternehmen Corel steckt nach dem abgesagten Merger mit Inprise/Borland in einer der schlimmsten Krisen seiner Geschichte: Ohne Umsätze steigt der Aktienkurs nicht, ohne Kapitalzufluss verliert die Firma aber ihren finanziellen Handlungsspielraum.

"Corel befindet sich in einer Cash-Krise", beurteilte Carl Zetie, Analyst bei der Giga Group, die Situation der kanadischen Softwarefirma in der vergangenen Woche. Dabei hätte alles gut enden können, wenn es nach dem Willen des Corel-CEO Michael Cowpland gelaufen wäre: Mit der Übernahme von Borland/Inprise in Form eines Aktientauschs und der Bildung eines "Powerhouse" für Linux wäre zumindest die Bargeldreserve des gekauften Unternehmens von rund 240 Millionen Dollar unter kanadischen Zugriff gekommen. Diese Infusion hätte Corel bitter nötig gehabt, denn das erste Quartal des Geschäftsjahres fiel mit einem Verlust von 12,4 Millionen Dollar schlechter als erwartet aus.

Schlimmer noch: In einer Pflichtmitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC hatte der Softwareanbieter bereits im April davor warnen müssen, dass ihm im Juli das Geld ausgehe, wenn sich keine Investoren finden würden oder aber der Deal mit Inprise platze. Für die nächsten zwei Quartale sei zudem nicht mit einer Verbesserung der Ertragslage zu rechnen. Dies und das schlechte Quartalsergebnis setzten den Aktienkurs derart unter Druck, dass sich die Fusion für Inprise-Aktionäre nicht mehr gelohnt hat. Das ursprüngliche Volumen der Übernahme von rund 2,4 Milliarden war rapide geschrumpft, denn der Kurs von Corel sank an der Nasdaq zwischenzeitlich um mehr als 70 Prozent.

"Wir sind als Freunde geschieden"Mitte Mai zogen die Firmen nun die Notbremse und verkündeten, man habe sich darüber verständigt, die Übernahme abzusagen: "Wir sind als Freunde geschieden", hieß es offiziell. In unterschiedlichen Presseerklärungen versuchten die Firmen immerhin noch, das Beste aus ihrer vertrackten Lage zu machen: Beide meldeten sinngemäß, dass die nicht vollzogene Ehe ganz in ihrem strategischen Interesse liege.

Dies darf zumindest im Fall von Corel bezweifelt werden, denn den Kanadiern steht das Wasser bis zum Hals. Ohne einen hohen Aktienkurs können sie keine Firmen übernehmen, um sich mit frischem Bargeld zu sanieren. Und ohne wachsende Umsätze, die nach Corels Einschätzung vorerst nicht zu erwarten sind, steigt auch der Kurs des Papiers nicht signifikant. Umstrukturierungen und Einsparungen - in erster Linie beim Personal - können überdies schwerlich eingeleitet werden, wenn kein Geld für Abfindungen zur Verfügung steht.

Man suche Alternativen für die Finanzierung, so Corels frisch gekürter Finanzvorstand John Blaine nach dem geplatzten Merger. Allerdings wollte er gegenüber der Presse nicht offenbaren, welche Optionen konkret damit gemeint sind. Insgesamt sollen zumindest rund 40 Millionen Dollar pro Jahr eingespart werden.

Auf den strategischen Kurs von Corel habe das Scheitern der Fusion keine Auswirkungen, so CEO Cowpland. Dieser führe immer noch eindeutig in Richtung Linux. Anscheinend zahlt es sich aber nicht aus, das Open-Source-Betriebssystem für Desktops anzupreisen. Zwischen der Übermacht von Microsofts Windows und den bekannten Distributionen à la Red Hat oder Suse wird die Nische für Corel immer kleiner.