Seit wenigen Wochen im produktiven Einsatz

Consumer Electronic sagt ja zu R/3 - aber nur unter Linux

14.01.2000
von Eva-Katharina Kunst* "Wenn schon dieses Monstrum von Software, dann mit Linux!" Dieser Vorsatz brachte den Münchner Chipbroker Consumer Electronic AG (CE) dazu, als erstes und bis Ende 1999 einziges Unternehmen SAP R/3 unter Linux im Produktivbetrieb einzusetzen.

"Die Zeit war einfach reif, weil der Markt danach verlangte", urteilt Detlef Stüwe, DV-Leiter bei Consumer Electronic, über die auf den ersten Blick wundersame Allianz zwischen SAP und Linux. Nachdem der Softwareanbieter die Linux-Version vor der CeBIT ''99 angekündigt hatte, führte Stüwe intensive Gespräche mit den Entwicklern vom SAP-eigenen "Linuxlab", sah sich die Demoversion an und testete sie im Mai schließlich selbst. Sein erstes Fazit: Für einen Produktivbetrieb war die Software noch nicht geeignet.

Andererseits hatte CE den Entschluss gefasst, zum dritten Quartal 1999 mit R/3 produktiv zu gehen. Den Jahresabschluss wollte das Unternehmen auf jeden Fall bereits mit der SAP-Software vornehmen - und möglichst vorher schon ein Quartal in R/3 abgebildet haben.

Im Grunde sind bei dem Chip-Broker nur schlichte Geschäftsprozesse zu implementieren: Sie beginnen mit der Anlage einer Kundenanfrage. Daraufhin werden Lieferanten- und Bedarfsanforderungen generiert. Es folgen das Angebot an den Kunden sowie die Bestellungen - zum einen durch den Kunden und zum anderen beim Lieferanten. Schließlich werden die Auftragsbestätigung vermerkt, die Wareneingänge gebucht sowie die Ein- und Ausgangsrechnungen erstellt. CE benötigt weder Module für Human Resources oder Lagerhaltung noch ein Produktionsplanungs- und -steuerungssystem.

Dafür arbeitet das Unternehmen aber in einem extrem schnelllebigen Markt, der rasche Reaktionen auf wechselnde Materialstände und Engpässe im Halbleitermarkt erfordert. Im Zuge der Internationalisierung und Expansion stand im Sommer 1998 die Ablösung des Warenwirtschaftssystems und der Finanzbuchhaltung von Computer Aided Consulting zur Debatte. Im März des folgenden Jahres entschied sich der Vorstand für SAP.

Aufgrund der unumstößlichen Entscheidung für Linux, der noch nicht erfolgten Freigabe einer entsprechenden R/3-Version und der strikten Terminvorgabe steckte CE daraufhin in einer Zwickmühle. Deshalb beschloss das Management, das Customizing der R/3-Module zunächst unter Windows NT zu beginnen und auf das Open-Source-Betriebssystem umzusteigen, sobald SAP die Linux-Pilotversion freigegeben haben würde.

Start für das Customizing unter NT war der Juni 1999. Schon einen Monat später konnte die R/3-Implementierung unter Linux in Angriff genommen werden - was den direkten Vergleich zwischen den beiden Betriebssystemen ermöglichte: Stüwe notierte zunächst aber kaum Unterschiede. "Den jeweiligen Rechner, der im Hintergrund lief, bemerkten wir erst einmal gar nicht." Der anfängliche Aufwand zur Einführung von SAP R/3 war von der Größenordnung her ebenfalls identisch. "Allerdings sollte in so einem Fall schon Linux-spezifisches Know-how vorhanden sein", räumt der DV-Leiter ein .

Umso mehr überzeugte das Open-Source-System jedoch in puncto Laufstabilität: In der Testphase unter NT war CE mehrmals gezwungen, den Rechner neu zu booten; mit dem Konkurrenzsystem verzeichnete das Unternehmen bis heute keinen einzigen Absturz. Ohne freilich irgendwelche Benchmarks gefahren zu haben, äußert Stüwe die Überzeugung, R/3 laufe unter Linux eleganter und schneller als unter NT. Zudem benötige die Linux-Version weniger Speicherplatz.

CE verfügt über eine Test- und eine Produktivmaschine mit jeweils zwei Xeon-Prozessoren, die mit 450 Megahertz getaktet und mit 1,8 GB Hauptspeicher ausgestattet sind. Im Gegensatz zu NT kommt Linux mit der Hauptspeichergröße gut zurecht, ohne dass ein Swapping notwendig wäre; die NT-Version der SAP-Software benötigte 2,3 GB Hauptspeicher und lagerte deshalb Teile des Speicherinhalts aus.

Nach einer Netto-Installationszeit von 100 Tagen hatte CE das R/3-System funktionstüchtig gemacht. Produktivstart war am 4. Oktober 1999. "Seitdem funktioniert es einfach", freut sich Irene Lejeune, als Vorstandsmitglied des Unternehmens für die Bereiche Finanzbuchhaltung und Controlling verantwortlich. "Wir konnten vom ersten Tag an Rechnungen schreiben."

System-Manager Stüwe war ursprünglich nicht sehr begeistert von der Entscheidung für R/3 gewesen. Angesichts des weltweit gerade einmal 50 Mitarbeiter starken Unternehmens hielt er die SAP-Lösung für überdimensioniert. Doch heute ist er überzeugt, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben: "In weniger als einer Minute können wir eine Bestellung in R/3 generieren, in knapp 20 Sekunden einen Materialstand angeben." Durch R/3 unter Linux sei das gesamte Unternehmen schneller und sicherer geworden.

Die Entscheidung für Linux als Server-Betriebssystem stand von Anfang an außer Frage: "Wir hatten Vertrauen in die SAP-Leute vom Linuxlab - und in Linux sowieso", berichtet Stüwe. Windows NT wäre für diese Aufgabe "auf keinen Fall" in Frage gekommen. "In einem unternehmenskritischen Bereich sollte kein NT laufen." Als einzige Alternative war eine Unix-Maschine von Sun oder HP in der Diskussion. Aber für Linux sprach laut Stüwe, dass "wir damit ein richtig offenes, zukunftssicheres und stabiles Betriebssystem haben".

Ums Geld ging es bei dieser Entscheidung nicht in erster Linie - zumal das Einsparungspotenzial lediglich 20000 Mark betrug, weil Linux nur auf dem Server zum Einsatz kommt. Das Open-Source-System auf den Clients einzusetzen ist bei CE noch kein Thema. "Das SAP-GUI für die UnixSysteme funktioniert kaum", lautet Stüwes Begründung. Auch die neuesten Open-Source-Oberflächen wie KDE und Gnome eigneten sich noch nicht für den unternehmensweiten Einsatz. "Doch 2001 ist Linux sicher reif für den Desktop".

Mit dem Support während der Einführungsphase ist CE zufrieden. Die Zuständigkeiten für SAP unter Linux seien eindeutig geregelt: SAP leiste Unterstützung für Applikation und Betriebssystem, der Hardwarehersteller Compaq den Support für die Maschine und die nötigen Treiber.

Alles in allem sieht Stüwe für R/3 unter Unix eine glänzende Zukunft voraus: "Da kann Bill Gates sagen, was er will - SAP R/3 unter Linux wird eine kommerzielle Erfolgsstory."

DAS UNTERNEHMEN

Die 1976 gegründete Consumer Electronic AG (CE) mit Hauptsitz in München sowie Tochtergesellschaften in den USA, Japan und der Schweiz ist seit 1998 an der Börse notierte. Das Handelshaus für elektronische Bauelemente arbeitet im reinen Back-to-Back-Bereich. Jedem Kundenauftrag steht genau eine Lieferantenbestellung im global vernetzten, virtuellen Lager entgegen. Der Gesamtumsatz für 1999 liegt mit 73 Millionen Mark voraussichtlich höher als die ursprünglich prognostizierten 70 Millionen Mark. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern wird dabei auf 7,5 Millionen Mark geschätzt. Mit einem Geschäftsvolumen von mehr als 20 Millionen Mark sorgte das vierte Quartal 1999 für ein "All-Time-High" im Auftragseingang. Zugleich korrigierte CE seine Umsatzerwartung für 2000 um 80 Millionen Mark auf 180 Millionen Mark nach oben.

Drei Arten von Kunden

Etwa 100 SAP-Kunden haben R/3 unter Linux getestet und werden diese Version der Standardsoftware wohl bald im Produktivbetrieb einsetzen. Zwar gibt der Softwareanbieter die Namen der Testanwender nur ungern preis, als sicher gilt jedoch, dass sich darunter die Deutsche Telekom und die italienische Telefongesellschaft ENI befinden.

Betreut wurden die Pilotkunden vom SAP-eigenen "Linuxlab" sowie den Hardwareanbietern Siemens, HP, IBM und Compaq. Christoph Schmidt, Key Account Manager im SAP-Lösungsvertrieb bei Compaq, hat bei seinen Kunden drei unterschiedliche Muster im Verhalten gegenüber R/3 unter Linux ausgemacht.

Da sind zum einen die eingefleischten Unix-Anhänger, die durch SAP in ihrer Präferenz Bestätigung gefunden haben. Das Risiko einer frühen Linux-Adoption schreckt sie nicht, und sie gehen mit Volldampf in die Implementierung, wie es die Consumer Electronic AG vorgemacht hat.

Zum Zweiten gibt es die Unternehmen, die eine Reihe von unterschiedlichen Systemen im Einsatz haben und von Linux eine Vereinfachung des System-Managements sowie eine Reduzierung des Supports erwarten. Sie befinden sich in unterschiedlichen Phasen der Erprobung von R/3 auf Linux.

Schließlich nähern sich diesem Thema allmählich auch die Abwartenden, die nur auf etablierte Hardware- und Softwareplattformen setzen. Wenn sich die Akzeptanz des Open-Source-Systems so weiterentwickelt wie bisher, wird es nicht lange dauern, bis auch diese Gruppe R/3 auf Linux implementiert.

Ab sofort für alle zu haben

Rechtzeitig zur Jahrtausendwende verkündet die SAP AG, Walldorf, die frohe Botschaft: Ihre Tests für R/3 unter Linux sind so weit gediehen, dass die betriebswirtschaftliche Standardsoftware auf dem Open-Source-System generell für den Unternehmenseinsatz freigegeben wird.

Mit der "General Availability" findet das Pilotprogramm "First Customer Shipment" (FCS) seinen Abschluss. In den Genuss des FCS-Programms waren insgesamt nur 100 SAP-Kunden gekommen. Sie durften R/3 unter Linux vorab testen - mit Unterstützung des SAP-eigenen "Linuxlab" sowie der Hardwarepartner Compaq, HP, IBM und Siemens.

Seit Ende Oktober 1999 hatte SAP keine weiteren Unternehmen in das FCS-Programm aufgenommen. Jetzt aber kann jeder Interessent R/3 unter Linux im Produktivbetrieb einsetzen.

Der auf Linux 2.2 basierende Betriebssystemkern entspricht im Wesentlichen dem Standard-Kernel des Distributors Red Hat, weist jedoch einige SAP-spezifische Erweiterungen auf, so beispielsweise Support für die 28 Sprachen, unter denen SAP R/3 läuft. Derzeit unterstützen die Walldorfer mit ihrer Linux-Version nur Intel-Hardware. Das Open-Source-Betriebssystem ist auf dieser Plattform das einzige Unix-Derivat, mit dem die SAP-Module arbeiten.

Auf anderen Hardware-Plattformen hingegen steht die Enterprise-Ressource-Planning-Software für herstellereigene Unix-Versionen zur Verfügung: für "True64" von Compaq, "HP-UX" von Hewlett-Packard, "AIX" von IBM, "Reliant-Unix" von Siemens und "Solaris" von Sun Microsystems. "R/3 auf diesen einander ähnelnden, aber doch unterschiedlichen Derivaten mit hoher Qualtität zur Verfügung zu stellen kostet erheblichen Aufwand," klagt Harald Kuck, Development-Manager in der Abteilung Client Server Technology (CST) des Linuxlab. "Er würde sich verringern, wenn sich Linux auch auf diesen Hardware-Plattformen durchsetzte."

Im Linuxlab ist man überzeugt davon, daß das Open-Source-Betriebssystem weiter expandieren wird. Der nächste Meilenstein steht kurz bevor: Mit der Freigabe eines von SAP entwickelten, plattformunabhängigen Java-GUI wird sich R/3 unter Linux schon bald nicht nur als Server-, sondern auch als Client-Lösung realisieren lassen.

*Eva-Katharina Kunst ist freie Jouranlistin in Kempen.