Computerworld News Service sprach mit Big Blues Vorstandsvorsitzenden Kaspar V. Cassani:"Europa muß künftig mehr Wettbewerb dulden"

24.01.1986

PARIS - Kaspar V. Cassani, Vorstandsvorsitzender der IBM World Trade Corp., setzt auf lebhaften Wettbewerb, Technik, die den Ansprüchen der Anwender genügt und auf das, was er als "effektiven Gebrauch der Informationstechnologie" bezeichnet. Von beschaffungspolitischen Maßnahmen hält er nichts. In einem Interview mit "Computerworld News Service" (CWN) beschrieb Cassani IBMs Geschäftspolitik in Europa.

CWN: Welche besonderen Maßnahmen wild IBM ergreifen, um sich auf dem europäischen Markt größere Bedeutung zu verschaffen?

Cassani: IBM ist seit mehr als 60 Jahren in Europa und kann auf beständige und rentable Wachstumsraten verweisen. Durch langfristige Investitionen haben wir uns in die europäische Industrie integriert. Heute hat IBM in ganz Europa 15 Fertigungswerke und acht Forschungs- und Entwicklungsstätten; zirka 90 Prozent unserer Europa-Produktion wird auch hier verkauft. Innovationen und verbesserte Preis/ Leistungs-Verhältnisse haben zu IBMs Wachstum in Europa beigetragen. Kosten, die sämtlichen Vergleichen europaweit standhalten können, reduzierte Kosten infolge Massenproduktionen, fortgesetzte Betonung der Qualität und Produktivität; hervorragender Kundenservice und verbesserte Zusammenarbeit mit europäischen Lieferanten tun ein weiteres.

CWN: Inwiefern wird IBMs Verhältnis zu Rolm dazu beitragen, höhere Verkaufszahlen bei Telekommunikationsprodukten und Dienstleistungen in Europa zu erzielen?

Cassani: Wir haben bereits die Gründung von Rolm Europe Ltd. angekündigt. Entwicklungs- und Produktionseinrichtungen sollen zu Beginn nächsten Jahres in Großbritannien errichtet werden. Weltweit entwickelt Rolm Schaltgeräte, also PBX, für IBM.

CWN: Werden IBMs Anstrengungen, sich auf dem europäischen Telekommunikationsmarkt auszudehnen, Reibungspunkte mit den harschen PTT-Regelungen bieten, da die Postbehörden jeweils inländische Anbieter bevorzugen? Wie wird IBM gegebenenfalls reagieren?

Cassani: Wir haben in der DV-Industrie gesehen, wie der Fortschritt durch lebhafte Konkurrenz und ohne Beschränkungen von außen vorangetrieben wurde. Dieselben Gepflogenheiten sollten auf dem Telekommunikationsmarkt obsiegen, zumal Telekommunikation und Datenverarbeitung zu einer Industrie verschmelzen - zur Informationstechnologie (IT). Die effektive Anwendung von IT ist für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie unabdingbar. Anwender müssen auf optimale Techniken zugreifen können. Marktbestimmungen und nationale Liefervereinbarungen bestimmen noch große Teilbereiche des Telekommunikationsmarktes in Europa. IBM unterstützt die EG und andere internationale Organisationen in ihren Bestrebungen, größere Wirtschaftsliberalität zu verwirklichen und einen homogenen Telekommunikationsmarkt in Europa zu schaffen. Ich glaube, wir werden allmählich einen politischen Wandel bei den einzelnen Staaten feststellen können: Die Märkte werden sich für Wettbewerb der verschiedenen Produkte und Dienstleistungen öffnen.

CWN: Sind die inländischen Telekommunikationsverkäufer in Europa, die sich seit langem auf ihre PTT-Verträge verlassen, zu leichten Zielscheiben für IBM geworden?

Cassani: In Europa gibt es einige der größten und stärksten Telekommunikationsunternehmen der Welt. Es sind zweifellos sehr ernstzunehmende Konkurrenten. Allerdings erfährt das Umfeld, in dem sich die inländischen Telekommunikationsverkäufer hier befinden, einen Wandel - und meiner Meinung nach können die Unternehmen nur daran interessiert sein, diesen Wandel mitzuvollziehen.

Wir schätzen die Gewinne der europäischen Informationstechnologie-Unternehmen für l985 auf 150 Millionen Mark. 55 Prozent davon haben unseren Annahmen zufolge Telekommunikationsdienste und Einrichtungen beigesteuert. Wenn Europa diesen Geschäftsanteil behalten und um der Konkurrenzfähigkeit willen immer auf dem neuesten Stand sein will, muß es auf seinen Märkten mehr Wettbewerb dulden - vergleichbar etwa den USA oder Japan.

Beschaffungspolitische Maßnahmen zugunsten inländischer Lieferanten mögen ihre Berechtigung gehabt haben, als Forschungs- und Entwicklungskosten verhältnismäßig niedrig waren und man sich doppelte Entwicklungsprozeduren noch leisten konnte. Aber auf dem sich rasch entwickelnden Telekommunikationsmarkt von heute, blockieren solche Regelungen Innovationen. Tatsächlich schadet man damit dem eigentlichen Nutznießer, der international nicht mehr wettbewerbsfähig ist.

CWN: In Ihrer "La Gaude-Rede" vom 22. Oktober forderten Sie klare Unterscheidungen zwischen grundlegenden Übertragungsdiensten (Basic Transmission Service) und verbesserten Serviceleistungen. Wie würden Sie die verbesserten Serviceleistungen näher bezeichnen?

Cassani: Beim grundlegenden Übertragungsdienst wird die Information lediglich von einem Ort zum anderen geschickt, ohne Veränderung der Form oder des Inhalts. Dies geschickt mit Hilfe öffentlicher oder gemieteter Schaltkreise oder öffentlicher Datennetze. Wenn Form oder Inhalt der Information verändert werden, spricht man von ausgebauten Serviceleistungen. Sie beinhalten Speichermöglichkeiten, Code- und Protokollumwandlung, Informationswiedergewinnung und -verarbeitung. Die Postbehörden sollten auch weiterhin eine Monopolstellung beim grundlegenden Übertragungsdienst genießen; alle erweiterten Dienste sollten dem Wettbewerb überlassen werden, an dem sich die PTTs natürlich beteiligen könnten.

CWN: Besteht die Möglichkeit, daß IBM seine Value-Added-Network-Produkte - eine Gemeinschaftsentwicklung mit Nippon Telephone and Telegraph (NTT - auf den europäischen Markt bringt?

Cassani: Über diese Vorstellung kann ich kann mutmaßen.

CWN: In welche Richtung marschiert IBM in bezug auf Open Systems Interconnection (OSI)? Gibt es Pläne über mögliche Kompatibilitätsbestrebungen von OSI und SNA?

Cassani: Bei OSI verfolgt IBM denselben Pfad, den das Unternehmen seit OSIs Entstehen 1977 eingeschlagen hat: OSI wird als internationaler Standard für die Verbindung von Netzen unterstützt. Wir stellen OSI-Produkte seit mehreren Jahren vor. Je mehr die sieben verschiedenen Stufen des OSI Reference Models bestimmt werden, desto mehr Produkte werden wir auf den Markt werfen.

SNA und OSI ergänzen einander. Auf SNA als Netzarchitektur für die Einbindung unserer Produkte in andere Netze hat IBM Besitzansprüche. Bei anderen Herstellern gilt das ebenso. OSI soll jedoch so definiert werden, daß für verschiedenartige Netze ein internationaler Standard gesetzt wird. Wir berücksichtigen dieses Projekt ganz allgemein bei unseren Entwicklungen; in Deutschland und Frankreich haben wir Einrichtungen geschaffen, die die Entwicklung und Anwendung von OSI-Standards besonders fördern. Hardware und Software, die wir auf OSI zuschneiden, sollen sich gleichzeitig in IBMs Produktreihe einfügen lassen.

CWN: Wie kann ein OSI-standardisiertes Produkt auf dem europäischen Markt erfolgreich werden?

Cassani: Primär muß das Produkt den Anforderungen des Benutzers entsprechen. Dieser Gesichtspunkt wurde meines Erachtens häufig in öffentlichen Diskussionen vernachlässigt. Zur völligen Implementierung von OSI auf ganzer Linie bedarf noch einiger Jahre Hard- und Softwareentwicklung.

CWN: Ist IBMs Marktanteil bei PCs hier kleiner als in den USA - und wenn ja, warum?

Cassani: Da der Begriff "Personal Computer" so unendlich weit gefaßt ist, halte ich eine Diskussion über Marktanteile für überflüssig. Allgemein gesprochen, läßt sich ein ein- oder zweijähriger Unterschied hinsichtlich der Marktdichte in Europa und den USA feststellen. Allerdings ist die Wachstumsrate in Europa gegenwärtig größer als in Amerika. Wir haben den IBM PC in Europa 16 Monate nach seiner Einführung in den USA vorgestellt, daher ist die Marktsituation hier eine andere. Die wachsenden Absatzzahlen stimmen uns zufrieden.