Sicherheitsvorkehrungen verhinderten größere Schäden

Computeranlagen wurden durch das Erdbeben kaum ramponiert

03.11.1989

MÜNCHEN (IDG) - Das verheerende Erdbeben der vorletzten Woche brachte nicht nur Tod und Verwüstung für die kalifornische Küstenregion. Auch das Zentrum der amerikanischen Computerindustrie war in Gefahr. Doch obwohl das Epizentrum des Bebens in nächster Nähe von Silicon Valley lag, blieben dort die Schäden gering, ebenso wie in den meisten Rechenzentren des betroffenen Gebiets.

"Als alles vorbei war, herrschte eine unwirkliche Stille in der Stadt. Das Zentrum ringe um die Market Street und das Bankenviertel war übersät mit Glassplittern und aus den Fassaden gebrochenen Ziegelsteinen. Aus geborstenen Hydranten sprudelte das Wasser auf die Straßen und in der Luft hing der Geruch von Gas."

So schilderte ein Mitarbeiter der Computerworld, der amerikanischen Schwesterzeitschrift der COMPUTERWOCHE, den Augenblick nach dem zweitschwersten Erdbeben in der Geschichte San Franciscos, das am vergangenen Dienstag um 17:04 Ortszeit mehr als hundert Menschen das Leben kostete und Schäden in Milliardenhöhe verursachte. In seiner Redaktion, etwa vierzig Kilometer südlich von San Francisco, waren Schreibtische umgestürzt und PCs auf den Boden gekracht.

Auch die Rechenzentren der Region wurden schwer durchgeschüttelt. Doch obwohl das Erdbeben Straßen und Brücken zerstörte, tiefe Spalten in die Erde riß und Wohngegenden verwüstete, waren viele Rechenzentren bereits am nächsten Tag wieder in Betrieb und die meisten der übrigen kehrten in der folgenden Woche zum Normalbetrieb zurück.

Bei den im Silicon Valley nur wenige Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt ansässigen Computerfirmen kam die Arbeit zum Stillstand. Aber auch hier konnten viele, wie etwa Apple, wo durch die Erschütterung nur die Sprinkleranlage ausgelöst wurde, bereits am Donnerstag die Produktion wieder aufnehmen. Schäden wurden kaum gemeldet.

Bei National Semiconductor wurden schon am Mittwochnachmittag wieder Chips gefertigt. Die IBM-Niederlassung in San Jose, wo in 20 Gebäuden die General Products Division und ein Teil der, Produktion von Plattenlaufwerken untergebracht sind, meldete Wasserschäden durch gebrochene Leitungen. Ein Teil der Anlage war am Mittwoch wieder in Betrieb; die normale Arbeit wurde in den folgenden Tagen wieder aufgenommen. Auf die Frage, ob das Erdbeben Auswirkungen auf die Fertigstellung der überfälligen 3390-Laufwerke haben werde, sagte IBM-Chef John Akers nur, er hoffe, daß sie bald kommen und daß das Beben den Prozeß sicher nicht beschleunigt habe.

Mit am Schlimmsten traf es laut Computergram Microsofts Unix-Partner SCO in Santa Cruz. Verletzt wurde niemand, aber Decken stürzten ein und sämtliche Telefonleitungen wurden unterbrochen. Als einzige Verbindung zur Außenwelt blieben tragbare Telefone.

Hewlett-Packard in Cupertino meldete "einige Gebäudeschäden" und brachte als erstes die wichtigsten Datenbestände vor etwaigen Nachbeben in die Schweiz in Sicherheit. Bei AMD fiel der Putz von der Wand und bei Pyramid zerbrach ein Aquarium, was einem tropischen Zierfisch ein jähes Ende bereitete.

In San Francisco waren die Folgen gravierender. Das größte Problem war der Stromausfall. Zwei Tage lang war die Innenstadt völlig ohne Strom, und noch am Wochenende war die Lage kaum besser. Ohne Notstromversorgung ging nichts mehr, selbst wenn Gebäude und Geräte unversehrt geblieben waren.

Das Rechenzentrum der Bank of America, der größte Computeranwender der Region, und die Wells Fargo Bank arbeiteten mit hauseigenen Dieselaggregaten weiter. Sie konnten damit unter anderem 80 Prozent ihrer Geldautomaten in der Stadt weiter betreiben. Kreditkarten-Primus Visa schaltete auf Ersatzcomputer um und konnte am Mittwoch ganz normal seine täglichen 5,6 Millionen Transaktionen bewältigen.

Bei Pacific Bell, die ihre Zentrale erst kürzlich für mehrere Millionen Dollar erdbebensicher gemacht hatte, gab es nur "minimale" Schäden. Trotzdem mußte der Geschäftsbetrieb eigestellt werden, weil der Wolkenkratzer, in dem die Zentrale untergebracht ist, für unbewohnbar erklärt wurde. Man zog in ein nahegelegenes Gebäude um und arbeitete bei Kerzenlicht weiter.

Wer entsprechend vorgesorgt hatte, für den standen auch Computer-Notdienste bereit. Der erste Anruf eines Kunden aus der Bay-Area erreichte die Comdisco Disaster Recovery Services in Rosemont, Ill., gegen halbsechs Uhr. Dreizehn weitere folgten, sieben davon mit "Totalschaden". Die Gründe waren Stromausfall, defekte Anlagen und unbetretbare Rechenzentren. "Der bei weitem schlimmste Notfall, den wir je hatten", stöhnte Comdisco-Präsident Ray Hipp. "Es ist unvorstellbar."

Auch die anderen DV-Notdienste waren von ausgelastet. Von den 20 Kunden der Sungard Recovery Services in der Bay-Area, darunter einige der größten Netzwerk-Anwender des Landes, meldeten fünf einen Totalausfall ihrer DV, vier weitere kamen nur mit Mühe über die Runden.

Zum Teil sprangen die Hersteller ein. DEC aktivierte innerhalb von 30 Minuten seine Krisenzentren in Colorado Springs, Atlanta und Dallas, die mit 77 Mitarbeitern betroffenen Kunden Beistand leisteten. Zusätzlich wurden drei der sieben Firmenflugzeuge nach Kalifornien geschickt, um Ersatzteile von Los Angeles nach San Francisco zu schaffen Auch Hewlett-Packard bot seinen Kunden sofortige Hilfe an.

Comdisco-Chef Hipp schätzt, daß weniger als 20 Prozent aller IBM-Mainframe Installationen durch einen Notfalldienst geschützt sind. Daß IBM-Kunden besonderen Wert auf, Sicherheit legen, scheint sich allerdings auch hier zu bestätigen: Bei den Kunden anderer Hersteller ist der Anteil noch geringer.

Wo Vorsorge getroffen worden war, gab es in der Regel wenig Probleme. Bei Kaiser Foundation Health Plan, einem Krankenhaus-Konzern, erlaubten die auf mäßige Erdbeben ausgelegten Installationen, den DV-Betrieb zum größten Teil sofort nach dem Beben wieder aufzunehmen.

- Mehr als 200 000 Menschen waren in den Stunden nach dem Beben ohne Telefonverbindung nach draußen, und auch am Mittwoch gelang es nur sporadisch, telefonisch in das Katastrophengebiet vorzudringen.

AT&T, die in den Stunden nach dem Beben über 40 Millionen Telefongespräche zu bewältigen hatte, mehr als das Doppelte der normalen Last, blockierte 70 Prozent der Gespräche in das Katastrophengebiet, um das Netz vor einem Totalzusammenbruch zu bewahren und Leitungen für Notrufe freizuhalten.