Computer sind Spiegel der Gesellschaft

24.10.1975

"Sowohl kapitalistische als auch sozialistische Wirtschaftssysteme sind nur so gut, wie das System der Computer, welches sie abstützen. Sind wir für diese gewaltige Aufgabe gerüstet? Die Beantwortung der Frage erfordert eine gründliche Besinnung. Wir brauchen jedenfalls einen neuen Typ von Informatiker, der seine Aufgabe darin sieht, Theorie und Praxis in harmonischer Form zu vereinen." Mit diesen Sätzen beschloß der deutsche Computer-Pionier Prof. Dr. Konrad Zuse auf der 5. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik in Dortmund sein Hauptreferat "Mathematische Logik und Informatik".

Der Inhalt dieses Traktats, gemixt aus persönlichen Erinnerungen, Computergeschichte, Analyse der Gegenwart und Forderungen an die Zukunft läßt sich auf eine Formel bringen: Was nutzt die Informatik als sich verzettelnde Übertheorie, wenn das Gespräch mit der Praxis darunter leidet, die Probleme des Alltags nicht leichter lösbar werden.

Theorie der Informationsverarbeitung

Zuse schilderte, wie er seit den dreißiger Jahren nicht nur erste Konstruktionen von Rechenmaschinen versuchte, sondern im gleichen Ansatz in Zusammenarbeit mit Mathematikern eine umfassende Theorie des Rechnens mit Maschinen, besser noch der Informationsverarbeitung zu schaffen.

Die Überlegungen mündeten im Zuse'schen "Plankalkül": einer algorithmischen Sprache, ein "Formalismus, mit dem sämtliche überhaupt denkbare Informationsverarbeitungsprozesse ohne die Wortsprache formuliert werden können", wie Zuse das heute ausdrückt.

Durch die Initiative der ersten amerikanischen Computerkanstrukteure und die sehr pragmatische Vorgehensweise der zunächst auf rein numerische Datenverarbeitung abgestellten Programmiersprachen trat aber dann, so Zuse, eine Entwicklung ein, die bis heute zur "Entfremdung zwischen Mathematiker, Informatiker, Ingenieur und Anwender" führte.

Babylonischer Sprachwirrwarr

Dennoch versagt Zuse moderneren Programmiersprachen seine Anerkennung nicht:

"Inzwischen ist längst klar geworden, daß wir zur Programmierung von Computern Sprachen brauchen, welche den vollen Umfang logischer, flexibler Programme abdecken. Wir haben heute auch einige Sprachen, wie Algol 68, und PL 1, die diese Bedingung mehr oder weniger erfüllen". Zuse lobt auch den Weg zur normierten Programmierung, um "trotz des babylonischen Sprachwirrwarrs zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen", wie er sagt. Aber: "Eine algorithmische Sprache muß alle Möglichkeiten der mathematischen Logik ausschöpfen, jedoch so formuliert sein, daß sie auch der Praktiker versteht. Es wird heute sehr viel über Sprachtheorien, Dialogsprachen und dergleichen geschrieben. Eine wichtige Aufgabe wird dabei jedoch vernachlässigt: der Dialog zwischen Theoretikern und Praktikern."

Für Konrad Zuse, den großen, alten Mann der Computer-Ära, sind das keine Forderungen ohne Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Im Gegenteil. Er dokumentiert:" Wir werden täglich mit kritischen Situationen in Wirtschaft, und Politik konfrontiert. Die Probleme sind nur mit intensivem Einsatz der Computer zu lösen. In Zukunft werden Computerfachleute an den Schalthebeln der Weltwirtschaft stehen, und zwar unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftssystem."