Beim Börsenabenteuer können DV-Programme nur wenig helfen:

Computer sind kein Garant für das große Geld

09.12.1988

Daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, bekommen immer wieder die Aktionäre von Publikumsgesellschaften zu spüren: Der Wert ihrer Papiere steigt nicht nur, er fällt auch; und das bisweilen ins Bodenlose. Wie beruhigend wäre es, wenn zuverlässige Signale den Anleger rechtzeitig warnen und so vor großen Verlusten bewahren würden. Eine Aufgabe wie geschaffen für den Computer, meinen viele.

"Buy low - sell high" ("Kaufe bei niedrigen Preisen, verkaufe bei hohen") - wer kennt ihn nicht, diesen berühmten Spruch der Börsianer. Todsicher ist es, dieses Rezept, das leuchtet jedem Kind ein. Die Frage ist bloß: Wie kann ich wissen, ob die Preise tief oder hoch sind? Der rauhe Wind des Börsenalltags bringt nur allzuoft Überraschungen mit sich - Überraschungen, die sehr rasch an die (finanzielle) Substanz gehen können. Könnte etwa der Computer, dieses Wunderding, solches Unheil abwenden, vor Fehlinvestitionen warnen oder gar per Tastendruck jene Börsentips ausspucken, mit denen das große Geld zu machen ist?

An Versuchen, zukünftige Börsenkurse vorherzuberechnen, hat es nie gefehlt. Einer der ersten, die es probierten, war Charles H. Dow, der Erfinder des berühmten Dow-Jones-Index. An diesem Index mißt man seit 1884 den Zustand der New Yorker Börse. Für Charles H. Dow war dies mehr als nur eine Fieberkurve, mit der man das hektische Geschehen am Aktienring verfolgen und - im Nachhinein - Erklärungen für seine persönlichen Erfolge oder Mißerfolge finden konnte. Dow, der damals Redakteur beim Wall Street Journal war, glaubte fest daran, daß sich aus dem täglichen Verlauf seines Index auch Schlüsse auf die Kursgestaltung der Zukunft ziehen lassen.

Diese Theorie ist natürlich sehr verlockend - schließlich verspricht sie jedem, der sie beherrscht, schnellen Reichtum. Aber sie ist auch heftig umstritten. lhre Anhänger - Fachleute nennen sie Chartisten - sind davon überzeugt, daß man zukünftige Börsentrends oder sogar Kurse errechnen kann. Gegner halten dies für groben Unfug und geben ihrer Antipathie auch unverholen Ausdruck: "Diese Marktbeurteilung ist eine historische Kuriosität; ich reihe die heutigen Chartisten bei den Astrologen ein", schreibt der Börsenspezialist Rudolph J. Kaderli in seinem Buch über modernes Anlageverhalten.

Dieser bös gemeinte Vergleich mit der Astrologie ist vielleicht gar nicht so abwegig, wenn man ihn zum Nennwert nimmt: Auch an der Chartistenlehre scheint "etwas dran zu sein"; jedenfalls ist sie nicht totzukriegen - vor allem jetzt nicht, wo man all die mühsame Arbeit einem Computer überlassen kann. Was früher Stunden in Anspruch nahm, erledigt der Rechner praktisch im Handumdrehen: Auf Tastendruck holt er die neuesten Kurse direkt von der Börse, vergleicht sie mit jenen der letzten Tage oder Monate, treibt komplizierte Statistik, zaubert Kursverlauf, Börsenindizes und andere Größen als Grafik auf den Bildschirm. Solche Grafiken heißen übrigens "Charts" - ein verwirrender Begriff, denn er hat mit den Chartisten nichts zu tun.

Bis hierher ist alles koscher - da machen auch Kaderli und seine Anhänger mit. Aber dann scheiden sich die Geister: Soll man jetzt all die vielen Zahlen und Kurven auch noch vom Computer interpretieren lassen? Das wäre dann Chartistentum in Reinkultur: eine rein mechanische Vorhersage der zukünftigen Börsenentwicklung. Auf den ersten Blick sollte dies eigentlich möglich sein; schließlich berechnen unsere Meteorologen die Wetterprognosen heutzutage auch auf dem Computer.

Wenn man die Sache etwas genauer unter die Lupe nimmt, zeigt sich aber ein entscheidender Unterschied zwischen dem Wetter in der Natur und jenem an der Börse: Das richtige Wetter beruht auf physikalischen Vorgängen und ist somit berechenbar. Im Börsenwetter hingegen steckt neben vielem anderen auch ein Faktor, den man nie wird berechnen können: die Psychologie der Anleger.

Tatsächlich wären die Wetterprognosen stets richtig, wenn man "nur" das richtige Computermodell und alle Daten hätte. Börsenprognosen aber sind auch theoretisch nie hundertprozentig richtig hinzukriegen - Computer hin oder her. Charles H. Dows Leitsatz: "In meinem Index diskontiert die Börse alles, ausgenommen die Akte Gottes", stimmt also nicht - zum Glück nicht: So kommt es wenigstens nie dazu, daß alle Anleger dank gleicher Computerprognose zur gleichen Zeit das gleiche wollen. Das ganze Börsengeschehen, im Grunde genommen ein gigantisches Nullsummenspiel - was der eine gewinnt, verliert der andere - , würde dadurch ad absurdum geführt!

Wenn die Interpretation der Börsenkurven nach bestimmten Regeln (Fachleute nennen das Chartanalyse) nicht zum gelobten Ziel führt, was macht der kluge Investor? Er macht Chartanalysen. Allerdings ist das nur eines der Mittel, die er einsetzt. Daniel Lanz, Anlageberater bei der Zürcher Kantonalbank, beschreibt sein Vorgehen als Profi folgendermaßen: "Interessiere ich mich für eine bestimmte Aktie, schaue ich zuerst auf den Chart dieses Titels. Diese Grafik ist ein ausgezeichnetes Hilfsmittel. Daß sie aus dem Computer stammt, ist dabei nebensächlich - der Rechner hat einfach die Fleißarbeit besorgt, die man früher von Hand machen mußte."

Die Schlüsse, die Lanz aus der Chartanalyse zieht, modifiziert er durch die Untersuchung weiterer technischer Kennzahlen (Umsatzvolumen des Titels, OpenInterest etc.). Der Oberbegriff dafür heißt "Technische Analyse". Diese wiederum wird ergänzt durch Überlegungen aus zwei weiteren Analysen: der fundamentalen (welche Firma oder gesamtwirtschaftliche Faktoren wie Zinsniveau in den USA) und der psychologischen Analyse ("Reagan hat die Zukunft in Rosa beschrieben", "KKWs sind im Moment nicht in"). Langsam verdichten sich die vielen Mosaiksteinchen zu einem mehr oder weniger scharfen Bild. Ganz am Schluß, quasi als Dessert, gehört zum Anlageentscheid auch noch eine Prise "Feeling". Lanz: "Wenn ich bei einer Aktie (oder einer anderen Investition) ein schlechtes Gefühl habe, lasse ich lieber die Finger davon - auch wenn alles andere für den Titel spricht."

Erhebt sich die Frage, ob sich dieses zeitraubende Evoluationsverfahren lohnt. Schließlich muß es für jeden interessanten Titel alle paar Tage neu angestellt werden. Daniel Lanz jedoch ist davon überzeugt: "Ich mache zwar trotz aller Gründlichkeit auch Fehler, aber auf lange Sicht sicher weniger als einer, der sich mit unvollständigen Informationen und Kenntnissen ins Börsenabenteuer stürzt oder andere dazu anleitet." Zu den letzteren zählt Lanz auch viele Anlageberater, die stark mit administrativen Arbeiten belastet sind und so kaum mehr Zeit finden, ihre Hausaufgaben zu machen.

Daß sich komplizierte Börsenanalysen jetzt auch in Europa langsam durchsetzen - in den USA gehören sie schon lange zur Tagesordnung - hat natürlich seinen Grund. Sie führen nämlich ganz automatisch zu einer Zunahme der Anlageentscheide. Werden diese realisiert, profitieren die Banken, die ja am Umsatz beteiligt sind. Früher, als man sich mit der Analyse der fundamentalen Börsenfaktoren begnügte, blieben die Wertschriftendepots im Durchschnitt viel länger unverändert. Lanz: "Hier liegt noch ein riesiges Potential. Wenn die Banken ihre Kunden dazu bringen, mit dem Geld zu arbeiten, statt es einfach liegen zu lassen, bringt das Kommissionen in Millionenhöhe." Auch die Kunden machen ihren Schnitt - allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie gut beraten werden und auch dementsprechend handeln.

Was nun den Computereinsatz anbelangt, so muß man deutlich unterscheiden zwischen Verwaltungsprogrammen und Prognosesoftware. Verwaltungsprogramme verrechnen Börsenkurse rein buchhalterisch und helfen somit dem Anleger, die Übersicht über sein Depot zu behalten. Sie dienen also in erster Linie der Vergangenheitsbewältigung. Natürlich lassen sich damit auch "Wenn-dann-Spiele" betreiben - kann man kann sich also ausrechnen lassen, was passiert wäre beziehungsweise passieren würde, wenn man diesen oder jenen Titel früher/später gekauft/liquidiert hätte beziehungsweise kaufen/ liquidieren würde.

Die meisten in der Bundesrepublik Deutschland erhältlichen Verwaltungsprogramme sind auf Profis zugeschnitten - auch vom Preis her: "P.I.S." zum Beispiel, ein gut eingeführtes und bewährtes Portfolio-Management-System, kostet über

10 000 Mark. Damit lassen sich auf Tastendruck Erfolgs- und Performance-Auswertungen errechnen, Fragen nach Branchenrisiken, Anlagekategorien und Ländergliederung beantworten.

"Integrated Portfolio Management" (IPM),.ein anderes Profi-Programm, schlägt gar mit 30 000 Mark zu Buche. Dazu kommen bei allen Börsencomputern natürlich noch die Hardwarekosten - also nochmals ein paar tausend Mark. Kein Zweifel: Für den Mann auf der Straße sind diese Dinger nicht gedacht. Warum die Software so teuer ist, erklärt Alan Kruck von der Zürcher Wirtschafts- und Unternehmens-Studien AG: "Die professionelle Vermögensverwaltung unterliegt gesetzlichen Bestimmungen, die von Land zu Land variieren. Unterschiedliche Steuergesetze bringen es zum Beispiel mit sich, daß wir unser IPM-Programm für die Bundesrepublik Deutschland adaptieren mußten."

Wer das alles nur als Hobby betreiben möchte, kann sich in der Bundesrepublik Deutschland oder in den USA entsprechende Billigprogramme kaufen. Dort bekommt er zum Beispiel für etwa 80 Dollar das Programm "Portfolio Manager", mit dem man zwei Dutzend Aktien auf dem PC verfolgen kann. Mit der Erforschung der Börsenzukunft haben die Verwaltungsprogramme ebensowenig zu tun wie die sogenannten Arbitrage-Programme, die hier nur kurz gestreift werden sollen. Solche Programme kommen zum Einsatz, um die winzigen Kursdifferenzen auszunützen, die sich im Laufe von Börsensitzungen ergeben können zwischen einem Indexkontrakt und den ihm zugrundeliegenden Titeln. Mitmachen können bei diesem interessanten Spiel allerdings nur Anleger, die auf die Schnelle Millioneneinsätze tätigen und fast gleichzeitig wieder glattstellen können. Weil diese Sache sehr zeitkritisch ist, müssen die entsprechenden Transaktionen in Sekundenschnelle abgewickelt werden, was ohne Computerhilfe völlig undenkbar ist.

Prognoseprogramme sind etwas ganz anderes: Sie versuchen, allen Schwierigkeiten zum Trotz, dem seelenlosen Rechner eine Art Börsenfeeling einzutrichtern; etwa folgendermaßen: "Wenn der Titel bisher so gelaufen und dies und jenes geschehen ist, müßte er doch eigentlich ein Kauf (Verkauf) sein." Natürlich spricht der Computer nicht mit dem Anwender, aber er liefert ihm die gewünschte Information in Form von Kauf/Verkauf-Signalen auf Papier. Wie gut beziehungsweise schlecht solche Programme sind, zeigt sich meist schon nach wenigen Wochen: Fehlprognosen entlarvt die Börse unerbittlich, und zwar gleich in Mark oder Dollar.

Natürlich zitieren die Hersteller solcher Software in erster Linie die richtigen Vorhersagen, die (unvermeidlichen) Nieten erwähnen viele nur ungern. Bestenfalls präsentieren die Verkäufer ihren potentiellen Kunden sogenannte Statistiken, die beweisen sollen, daß 70 Prozent der vom Computer gelieferten Signale ins Schwarze getroffen hätten. Solche Erfolgsausweise sind meist reine Augenwischerei: Wer ein Dutzend Zahlen in zwei oder drei Kategorien sortiert, betreibt noch lange keine exakte Statistik, dazu wären weit größere Stichproben nötig. Ganz abgesehen davon nutzen sieben Börsenvolltreffer, die der Computer in der Vergangenheit erzielt hat, für die Zukunft herzlich wenig.

Womit wir bei der Gretchenfrage wären: Lohnt sich denn die Anschaffung von Börsencomputern überhaupt? Der Informatiker Georg Gati von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich meint dazu: "Computer nutzen dem Investor in erster Linie zur Verwaltung seiner Wertschriften. Die entsprechenden Programme sind in der Regel einwandfrei. Ob sich der Kauf lohnt, hängt allein davon ab, in welchem Maß sie dem Anleger die Arbeit erleichtern. Denn Börsengewinne bringen diese Programme nicht."

Dies darf man auch nicht von den anderen, zukunftsgerichteten Programmen erwarten. Gati: "Bei der sogenannten Prognosesoftware ist Vorsicht am Platz. Eine Diskette, die 300 Franken (zirka 360 Mark) kostet, kann sicher nicht der Schlüssel zum Börsenerfolg sein. Überhaupt: Weil Menschen den Computer programmieren, kann die Maschine auch nicht bessere, sondern höchstens schnellere Entscheidungen treffen als ihr Erfinder."