Fehler bei der DV-Einführung verhindern häufig eine sinnvolle Nutzung

Computer im Krankenhaus - eher ein Patient denn Kollege

09.11.1990

Immer mehr Krankenhäuser versuchen, mit der Einführung von DV-Systemen dem druckenden Personalmangel zu begegnen. Die bisherigen Ergebnisse waren nicht immer überzeugend. Eine umfangreiche Untersuchung ergab jetzt, daß meist Gedankenlosigkeit und kurzfristiges Kostendenken bei der Einführung der neuen Systeme dafür verantwortlich sind. Die erhoffte Arbeitsentlastung bringen nur Lösungen, die auf die besonderen Bedingungen des pflegerischen Bereichs zugeschnitten sind.

DV-Techniken setzen sich im Krankenhaus seit einigen Jahren durch. Im Frühjahr 1989 wurde vom Institut für Medizinische Informatik und Systemforschung (Medis) der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg sowie von der Prognos AG in Köln gemeinsam eine bundesweite Erhebung über den derzeitigen und geplanten Einsatz von DV-Techniken in zirka 2500 Akutkrankenhäusem durchgeführt.

Wie die Ergebnisse zeigen, werden zur Zeit in nahezu allen Krankenhäusern DV-Systeme eingesetzt; ihre Anwendung konzentriert sich im wesentlichen auf die Verwaltung und auf den medizinischen Bereich.

Zu 93 Prozent werden Informations- und Kommunikationssysteme (IuK) bisher in den Verwaltungsbereichen genutzt, wo sie zum Beispiel zur Unterstützung des Finanzierungs- und Rechnungswesens, der Patientenverwaltung sowie der Abrechnung der stationären Leistungen dienen. Hier ist in den nächsten Jahren aufgrund der hohen Prozentzahlen, die bereits erreicht wurden nur noch mit einem geringen Zuwachs (3,2 Prozent) zu rechnen.

Ausschlaggebend für die Dominanz des IuK-Einsatzes im administrativ-ökonomischen Bereich waren gesetzgeberische Maßnahmen, aber auch krankenhausinterne Bemühungen zur Bekämpfung der Kostenexplosion. Die Forderung nach verbesserter Wirtschaftlichkeit und betrieblicher Leistungstransparenz fand ihren Ausdruck unter anderem in der Verpflichtung der Krankenhäuser zur Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens durch den Gesetzgeber. Krankenhaus-Buchführungspflichten, Kosten-, Leistungs- und Diagnosestatistiken führten zu einer differenzierten Budgetierung von Kostenfaktoren in den verschiedenen Krankenhausbereichen, die ohne den Einsatz von DV-Techniken in diesem Umfang nicht mehr geleistet werden könnte.

Darüber hinaus beschleunigten die Möglichkeit, bewährte kommerzielle DV-Verfahren mit geringem Eigenaufwand zu adaptieren, und die schnelle Entwicklung der DV-Technik steigende Rechnerleistung bei gleichzeitig sinkenden Kosten - den Einsatz von IuK-Techniken im Verwaltungsbereich der Krankenhäuser.

Im medizinischen Bereich werden heute in 40 Prozent der Krankenhäuser Leistungen rechnergestützt erbracht; eine Steigerung auf fast 60 Prozent ist zu erwarten. Der Schwerpunkt des DV-Einsatzes liegt hier in der Unterstützung diagnostisch-therapeutischer Funktionen durch DV-Systeme zur direkten Meßwerterfassung und -verarbeitung. Darunter fallen vor allem Systeme zur Biosignalverarbeitung (zum Beispiel Herzfrequenzanalyse EKG), Laborsysteme (Blutserum-Analyse) und bildverarbeitende Systeme (zum Beispiel Computertomographie).

Dagegen wird EDV im Bereich der allgemeinen Untersuchung, Behandlung und Pflege der Patienten, wie sie in den Ambulanzen und bettenführenden Abteilungen durchgeführt werden, lediglich in 14 Prozent der Krankenhäuser eingesetzt. Diese niedrige Prozentzahl erstaunt um so mehr, wenn man sich die heutige Situation in den Pflegebereichen vor Augen führt: Der sogenannte Pflegenotstand, wie er sich vor allem in Ballungsgebieten in extremer Personalknappheit, dadurch bedingtem Bettenabbau und Schließung dringend benötigter stationärer Versorgungseinheiten auswirkt, dürfte sich noch weiter verschärfen.

Die Altersstruktur der Bevölkerung wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern: Die Anzahl der über 60jährigen Einwohner steigt, während die Altersgruppe der 15-30jährigen abnimmt. Dies führt einerseits dazu, daß potentiell immer weniger Arbeitskräftenachwuchs für den Pflegebereich zur Verfügung steht und andererseits vermehrt ältere Patienten Krankenhausleistungen in Anspruch nehmen. Ältere Patienten benötigen aber einen erhöhten Pflegeaufwand, da sie häufig unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden (Multimorbidität) und ihre Regenerationsfähigkeit geringer ist.

Darüber hinaus läßt sich seit einigen Jahren beobachten, daß die durchschnittliche Verweildauer der Patienten in Krankenhäusern kontinuierlich kürzer wird (derzeit beträgt sie 13 Tage), was einen höheren Patientendurchsatz zur Folge hat. Die Arbeitsbelastung und Beanspruchung des Pflegepersonals nimmt dadurch zu, da der Pflege- und Verwaltungsaufwand für jeden Patienten in den ersten fünf Tagen am höchsten ist.

Diese Situation soll zukünftig durch den DV-Einsatz entschärft werden. So wird geschätzt, daß in den 90er Jahren fast in jedem zweiten Krankenhaus mit der Implementation von Computern zu rechnen ist. Dadurch, so hofft man, läßt sich der zunehmende Arbeitsdruck auf den Stationen vermindern. Wie aber können DV-Anwendungen im Pflegebereich eine Entlastung für die Beschäftigten bringen?

Vor allem von der DV-Herstellerseite werden vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung gerade im Pflegebereich propagiert. Insbesondere die nicht direkt patientenbezogenen administrativen Tätigkeiten, die sich für eine weitgehende DV-gerechte Standardisierung erschließen lassen, wie die Erstellung von Formularen, die Dokumentation der pflegerischen Maßnahmen und ähnliches mehr, sollen sich demzufolge vereinfachen und reduzieren lassen.

Ist ein alle Bereiche umfassendes Krankenhaus-Informationssystem (KIS) installiert, so heißt es, könnte Arbeitszeit eingespart werden durch einen verbesserten Informationsaustausch und erleichterte Kommunikationsprozesse zwischen Pflegeeinheit und den verschiedenen Leistungs- und Versorgungsbereichen (wie Labor und Röntgen-Abteilungen, aber auch Apotheke und Wäscherei): Material ließe sich schneller anfordern, medizinische Leistungen könnten ohne zeitraubende Telefonate terminiert und Befundübermittlungen beschleunigt werden. Patientenakten wären von jedem Punkt der Klinik aus elektronisch abrufbar. DV-Applikationen ließen sich zudem sinnvoll im Stations-Management einsetzen; eine effizientere und flexibler gestaltbare Personalbedarfsermittlung und -einsatzplanung erscheint vor dem Hintergrund des Personalnotstands dringend erforderlich.

Untersuchungen zeigen, daß Pflegekräfte allein für administrative und organisatorische Arbeitsvorgänge bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitskapazitäten aufwenden müssen. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, daß in einer bettenführenden Abteilung bis zu 150 verschiedene Formularblätter in Gebrauch sein können. Dieser Aufwand läßt sich, so wird geschätzt, durch den Einsatz von DV-Techniken auf zehn bis 20 Prozent reduzieren. Die freiwerdende Arbeitszeit könnte dann für die eigentlichen pflegerischen Tätigkeiten, insbesondere für eine verbesserte psychosoziale Betreuung der Patienten, genutzt werden.

Neben der Unterstützung administrativer Tätigkeiten und der stationsübergreifenden Kommunikation mit anderen Krankenhausabteilungen können auch die eigentlichen patientennahen Tätigkeiten, wie etwa die Planung und Dokumentation der am Patienten vorzunehmenden pflegerischen Maßnahmen, durch eine geeignete Datenverarbeitung erleichtert werden. Die für eine DV-gerechte Verarbeitung notwendigen Standardisierungen der Tätigkeiten der Grund- und Behandlungspflege werden derzeit in verschiedenen Pilotprojekten entwickelt und erprobt. So könnten auf der Basis allgemein verbindlicher Pflegestandards und -kategorien für jeden Patienten individuell angepaßte Pflegepläne erstellt werden. Davon erhofft man sich neben einer Straffung der Arbeitsabläufe die betriebswirtschaftliche Optimierung sowie eine Steigerung der Versorgungsqualität der Patienten.

Folgerichtig wird dann die Verwendung von DV-Systemen auch nicht im Stations- oder Arztzimmer enden. Bereits heute laufen Pilotprojekte, die den Einsatz von Handterminals, Bedside-Terminals, Touch-Screens, Laptops etc. am Patientenbett erproben. Unter informationstechnischen Gesichtspunkten macht dies durchaus Sinn, gilt doch der Grundsatz, Daten dort zu erheben, wo sie anfallen (was eine hohe Aktualität und Datengenauigkeit garantiert), sowie die Daten dort im Zugriff zu halten, wo sie gebraucht werden. So können Daten patientennaher Tätigkeiten, die beispielsweise bei der Visite anfallen (Aktualisierung der Puls- und Temperaturwerte, Medikamentendosierungen, Anordnung medizinischer Untersuchungen etc.), sofort in den Computer eingegeben werden.

Die Realität sieht anders aus

Daten patientenferner Tätigkeiten wie die Terminierung der angeordneten Leistungsanforderungen beziehungsweise Medikamentenbestellungen lassen sich im Stationszimmer dokumentieren.

Doch so vielversprechend diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Computertechnik auch klingen mögen, Vor-Ort-Interviews in den Pflegeeinheiten sowie Studien über den Einsatz von IuK-Techniken in europäischen Krankenhäusern vermitteln ein ganz anderes Bild der Realität: Zumindest in der bundesdeutschen Krankenhauslandschaft sind diese Möglichkeiten kaum irgendwo verwirklicht, Falls doch, lassen meist die erhofften Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, wie Zeitersparnis, Senkung des Anteils von patientenfernen Tätigkeiten etc., auf sich warten

Es liegt nahe, die Schuld dafür bei den Pflegekräften zu suchen, nämlich darin, daß sie wegen ihrer direkt auf den kranken Menschen bezogenen, überwiegend psycho-sozial und handwerklich-praktisch ausgerichteten Tätigkeit neue Techniken am Arbeitsplatz ablehnen. Das trifft so nicht zu. Im Gegenteil: Sowohl Ärzte als auch das Pflegepersonal haben in der Regel vor der Implementierung von Rechnersystemen positive Erwartungen, wenngleich Pfleger und Schwestern etwas skeptischer eingestellt sind. Die Bereitschaft, sich auf der Station mit Computern auseinanderzusetzen, ist erstaunlich hoch, kann aber auch in Ablehnung und Demotivation umschlagen.

Für die Akzeptanz solcher Systeme sind zwei Faktoren ausschlaggebend: die Vertrautheit mit der neuen Technik und deren Flexibilität. Vertrautheit wird durch intensive praktische Auseinandersetzung erzeugt. Die Motivation zum persönlichen Engagement wird unterstützt, wenn das Personal den Nutzen von Computeranwendungen in den Pflegeeinheiten möglichst frühzeitig und direkt erkennt.

Die Systeme müssen flexibel sein

Darüber hinaus muß sich das System den unterschiedlichen Arbeitsabläufen anpassen lassen. Da die Aufbau- und Ablauforganisation nicht nur von Krankenhaus zu Krankenhaus beträchtlich variieren kann, sondern auch zwischen den Pflegebereichen innerhalb eines Krankenhauses, müssen die implementierten Systeme entsprechend flexibel gestaltbar sein; dies sollte heutzutage kein Problem mehr darstellen. Zudem muß die Computer-Mensch-Schnittstelle besonders im Krankenhausbereich individualisierbar sein, da hier Gelegenheitsnutzer mit unterschiedlichster DV-Qualifikation verschiedenartige Arbeitsaufgaben zu bewältigen haben.

Die Aussagen der Betroffenen zeigen nun aber, daß sowohl in der Implementierungsphase als auch im Routinebetrieb etliche Probleme auftauchen, die die Akzeptanz der Systeme durch die Benutzer gefährden.

So treten vor allem DV-technische Probleme in Krankenhäusern auf, die bereits längere Zeit DV im Einsatz haben. Die überwiegend in den 70er Jahren konzipierten Systeme basieren in diesen Fällen auf mittlerweile veralteten Systemarchitekturen. Die Softwarelösungen sind hochintegriert und oft speziell für den Eigenbedarf entwickelt worden, so daß der Einsatz zusätzlicher neuerer Applikationen einen nahezu kompletten Austausch des Systems erfordern würde. Aus Kostengründen ist dies selten realisierbar.

Lärmpegel als Streßfaktor

Die Folge: Es entstehen Laufzeitprobleme, beispielsweise Antwortzeiten von mehr als drei Sekunden, aber auch die Benutzeroberfläche der veralteten Terminals läßt sich kaum anwendergerecht gestalten. Generell treten Hard- und Softwareergonomische Probleme auf. Die beengten Raumverhältnisse in den Kliniken erlauben oft keine optimale Gestaltung des DV-Arbeitsplatzes, wie sie die einschlägigen DIN-Normen fordern. Häufig werden auf den Stationen Nadeldrucker eingesetzt, deren Lärmpegel im stationären Bereich zu Störungen im Betriebsablauf und zu einem nicht unwesentlichen Streßfaktor für Personal und Patienten werden kann.

Zentrale Bedeutung kommt der System- und Benutzerbetreuung zu, die in der Regel nur während der Normalarbeitszeit zur Verfügung steht. Aufgrund des Rund-um-die-Uhr-Betriebes eines Krankenhauses treten dann Probleme auf, wenn beispielsweise DV-Systeme außerhalb normaler Arbeitszeiten ausfallen. Häufige Systemabstürze führen zu einem Vertrauensverlust: Die Pflegekräfte greifen dann auf die bewährten konventionellen Dokumentationsmethoden zurück, so daß Mehrarbeit durch Doppelnotierungen anfällt. Zeitersparnis wandelt sich in Zeitverlust.

Neben den DV-technischen Problemen treten Schwierigkeiten im Bereich der Betriebsorganisation auf. Die Einführung neuer Techniken zieht oft eine Reorganisation der Arbeitsabläufe mit starken Auswirkungen auf die Beschäftigten nach sich. Bisherige Mängel in der Organisation und Leerläufe im Arbeitsprozeß werden offenkundig, so daß Straffungen vorgenommen werden. Für die Betroffenen hat dies eine größere Disziplinierung zur Folge. Die Möglichkeit einer direkten Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten durch die DV führt zudem zu Verunsicherung und Akzeptanzverlusten. Die Folge kann eine erhöhte Personalfluktuation in den Pflegebereichen sein.

Wichtig ist die Sozialverträglichkeit

Akzeptanzmindernd wirken zudem verschiedene Befürchtungen des Pflegepersonals: So wird häufig geäußert, daß die Einführung von DV zur Unterstützung des Pflegeprozesses im patientennahen Bereich zu Dequalifizierungstendenzen führe. Je mehr der Computer in die Lage versetzt wird, Vorschläge zum Pflege- und Therapieverlauf zu generieren, desto weniger Qualifikationsanforderungen würden an die Pflegekraft gestellt. Auf längere Sicht könnte sich die Tendenz abzeichnen einem Großteil der Pflegekräfte nur noch das unbedingt notwendige Wissen zur Ausführung vorgegebener Pflegetätigkeiten zu vermitteln und einem kleinen Teil des Personals eine hochstehende Qualifikation unter Einschluß pflegerischer Planungskompetenzen zu ermöglichen. Die Folge wäre eine Qualifikationsschere, die unter den Pflegekräfte zu einer Polarisierung führte in eine kleine hochqualifizierte Elite und in eine Masse von minderqualifizierten "Hilfspflegern". Außerdem sehen Pflegekräfte bei einem Einsatz von DV-Techniken im Patientenzimmer die Gefahr, daß zwischen Terminal und Personal eine intensivere Kommunikation entsteht als zwischen Personal und Patient.

Aus den geschilderten Äußerungen wird ersichtlich, daß bei der Einführung der elektronischen Datenverarbeitung nicht nur betriebswirtschaftliche und arbeitsökonomische Zielsetzungen verfolgt werden sollten, sondern vor allem auch auf die Sozialverträglichkeit der Technik geachtet werden muß. Für eine menschengerechte Gestaltung der Technik müssen sowohl Arbeitssituation und -bedingungen des Personals als auch die Versorgungsqualität für die Patienten bedacht werden. Die Erfahrungen zeigen zudem, daß DV-Implementierungen ohne ausreichende Personalkapazität auf den Stationen und ohne eine geeignete, streßreduzierende Arbeitsorganisation auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen.

Pflegekräfte werden bisher nur selten an der Einführung beziehungsweise Implementierung von DV-Anwendungen im stationären Bereich beteiligt. Der Regelfall ist, daß sich das Pflegepersonal unvorbereitet mit den IuK-Systemen konfrontiert sieht. Erst allmählich erkennt die Krankenhaus-Leitungsebene die Vorteile einer aktiven Einbeziehung der späteren Nutzer schon bei Planung, Entwicklung und Einführung der DV-Systeme.

Krisenstäbe sind oft zum Scheitern verurteilt

Kurzfristig lassen sich zwar die Investitionskosten niedrig halten; wenn auf langfristige Kooperation zwischen Herstellern und Nutzern in Arbeitsgruppen und Entwicklungsteams weitgehend verzichtet wird, entstehen daraus aber auf die Dauer erhebliche, kaum kalkulierbare Folgekosten.

Wenn die implementierten Systeme nicht von vornherein benutzergerecht und aufgabenangemessen gestaltet sind, sinken Akzeptanz und Motivation, sich mit dem System zu beschäftigen, sehr schnell. Untersuchungen zeigen, daß in solchen Fällen die Belastung für die Beschäftigten so hohe Ausmaße annehmen kann, daß ganze Krankenhausbereiche die Mitarbeit bei der Implementierung und dem Einsatz von Krankenhaus-Informationssystemen verweigern, teilweise sogar aktiv boykottieren. Krisenstäbe und ad hoc zusammengestellte Arbeitsgruppen sind dann meist zum Scheitern verurteilt. Im günstigeren Fall sind die der jeweiligen Umgebung und Arbeitssituation nicht optimal angepaßten Systeme mit großem Aufwand nachträglich benutzergerecht zu modifizieren, damit sie Oberhaupt von den Beschäftigten akzeptiert werden.

Nach der Meinung vieler Pflegekräfte ließe sich die Technik weniger belastend und auch nützlicher für ihre Arbeitsaufgaben einsetzen, wenn sie selbst an der Entwicklung und Ausarbeitung von Rahmenplänen für solche Systeme teilgenommen hätten. Voraussetzung einer solchen partizipativen Entwicklungsstrategie ist die Unterstützung seitens der Krankenhausleitung, da hierfür viel Zeit und Aufwand nötig sind. Die zusätzlichen Kosten können durch eine wirksamere Nutzung der Technik aufgewogen werden. Ärzte, Schwestern und Pfleger, die mit dem Entwickler in einer Gruppe zusammenarbeiten sollen, müssen für diese Tätigkeiten in ausreichendem Maße freigestellt werden. Die Mitglieder dieser Gruppe sollten in der Lage sein, gleichberechtigt im Team zielorientiert und selbständig zusammenzuarbeiten.

Partizipation setzt jedoch ein entsprechendes DV-Wissen voraus, über das häufig weder Pflegekräfte noch Ärzte verfügen. Somit kommt der Frage der DV-Qualifikation des Personals, über ein reines Bedienungswissen hinaus, eine zentrale Bedeutung zu. Die Vermittlung von Partizipationskompetenz im Hinblick auf Planung, Entwicklung und Gestaltung von DV-Systemen ist jedoch schwierig zu bewältigen, da die nötigen Kenntnisse gewöhnlich erst im Laufe des Implementierungsprozesses von Pflegekräften und Ärzten schrittweise erworben werden.

Die wichtigsten Qualifikationserfordernisse

Inwieweit werden die derzeit gängigen Bildungsangebote den krankenhausexternen und -internen Anforderungen gerecht? Prognos und Medis versuchten im Rahmen ihrer Studie, eine aktuelle Bestandsaufnahme der Ausbildungsinhalte sowie der Fort- und Weiterbildungsangebote in bezug auf Grundlagenwissen, Fertigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit DV-Systemen vorzunehmen. Dabei wurden zum einen die Ausbildungsinhalte analysiert, zum anderen die Bildungsangebote der Hersteller von IuK-Systemen und einschlägiger Weiterbildungsinstitutionen.

Eine Analyse von Lehrplänen hat gezeigt, daß in der Ausbildung die Vermittlung von DV-Grundwissen derzeit noch keine Rolle spielt. Ebenso ist der Anteil sozialwissenschaftlicher Fächer sowie die Behandlung von Fragen zur Organisation des Krankenhauses und zu Dokumentationstechniken nahezu unbedeutend. Insgesamt läßt sich ein allzu deutliches Übergewicht des medizinisch-naturwissenschaftlichen Teils gegenüber sozialwissenschaftlichen Ausbildungsinhalten und Kenntnissen im Bereich von Dokumentations- und Kommunikationstechniken feststellen.

Eine Befragung von Krankenhaus-Verwaltungsleitern führte zu dem Ergebnis, daß im Zuge der Planung oder Einführung von DV-Systemen zum größten Teil Angebote von Herstellern wahrgenommen werden. Dabei besteht das Schulungsangebot der Softwarefirmen grundsätzlich aus einer Einweisung der Nutzer und Anwender in das für die jeweilige Arbeitsaufgabe relevante Bedienungswissen (Gerätebedienung, Softwarebenutzung). Stations- und Pflegedienst-Leitungen erhalten meist zusätzliche Erläuterungen zum DV- und Organisationskonzept.

Die Softwarehäuser befürworten überwiegend eine Qualifizierung des Personals in Form des sogenannten "Multiplikatoren"-Konzepts. Als Multiplikatoren werden Mitarbeiter aus dem stationären Bereich ausgewählt, die zunächst durch den Anbieter - wie dieser verspricht eine intensive Schulung in den Bereichen DV- und Organisationskonzept, Anwender-Tools, Operating und Hardwaretechnik erhalten, um dann dieses Wissen krankenhausintern weiterzugeben.

Kontakt zum Systemanbieter

Aufgabe der Multiplikatoren ist unter anderem, im Rahmen der Systemeinführung sowie im weiteren Routinebetrieb Mitarbeiter in die Systembedienung einzuweisen, Änderungswünsche der Benutzer entgegenzunehmen und den Kontakt zum Systemanbieter zu pflegen. Die Anbieter favorisieren das, weil die Verantwortung für eine angemessene Qualifizierung frühzeitig auf den Anwender selbst übergeht; die Systemhäuser werden so der Verpflichtung enthoben, mit oft kostspieligen Qualifizierungsmethoden eine breite Akzeptanz des Systems sicherzustellen.

Teils ergänzend, teils alternativ zum Multiplikatoren-Konzept wird von den Firmen begonnen, Lernsoftware für die Systemeinweisung anzubieten. Um am Lernprogramm Modifikationen vornehmen zu können beziehungsweise neue Trainingsmodule einzubauen, liefern einige Anbieter zusätzlich die dazu passende "Courseware" mit. Nur ein kleiner Teil der Krankenhäuser nutzt sonstige private Bildungsangebote oder einschlägige halböffentliche Weiterbildungsinstitutionen. Darüber hinaus bestehen bei Krankenhaus-Rechenzentren oder in den Häusern selbst zahlreiche schwer systematisierbare Kursangebote, die sich überwiegend auf die Einführung der spezifischen hausinternen Systeme beschränken und weniger theoretische und übergreifende Aspekte vermitteln.

Die negativen Auswirkungen des noch erheblich entwicklungsbedürftigen Bildungsangebots und der unangemessenen Methodik verdeutlichen die Aussagen der betroffenen Pflegekräfte: Das von den Herstellern propagierte und häufig durchgeführte Multiplikatoren-Konzept wird von den hierfür ausgewählten Personen als starke Belastung empfunden.

Der Computer wird kaum genutzt

Nach der sogenannten Einweisung, die inhaltlich kaum über das reine Bedienungswissen der DV-Systeme hinausgeht und je nach Hersteller zwischen zwei und sechs Stunden dauert, sollen sie in der Lage sein, ihr Wissen an die Mitarbeiter weiterzugeben. Da sie selbst aber nur über unzureichendes Wissen verfügen, macht die Handhabung der Technik noch lange Probleme und kostet viel Zeit. Die Folge ist, daß die herkömmliche Abwicklung der Arbeitsaufgaben zeitsparender bleibt und der Computer kaum genutzt wird.

Darüber hinaus sind in den meisten Häusern die Einweiser für die Pflegekräfte zugleich interne Ansprechpartner ("lokale" Experten) bei Problemen im Umgang mit der DV; da sie aber neben ihrer eigentlichen Arbeit zusätzlich damit befaßt und mehr aus persönlichem Engagement in ihre Rolle hineingewachsen sind, können sie sich meistens nicht genügend Zeit nehmen, den Pflegekräften ausreichend zu helfen.

Aus den Interviews wird deutlich, daß sich die Pflegekräfte eine gründliche, ausführliche Qualifikation wünschen sowie Gelegenheiten, sich ausreichend und eigenverantwortlich an Geräten einzuüben, die unabhängig vom Gesamtnetz und -betrieb arbeiten.

Wie die Recherchen bei Aus- und Weiterbildungsinstituten, bei Herstellern und Anbietern von pflegerelevanter Software sowie bei den betroffenen Nutzern und Anwendern der DV-Systeme in Krankenhäusern gezeigt haben, scheint das derzeit vorhandene Qualifizierungsangebot für diesen Bereich weder konzeptionell noch inhaltlich auf die Interessenlage und Bedürfnisse der Benutzer ausgerichtet zu sein: konzeptionell insofern, als Ausbildungsmodelle wie das Multiplikatoren-Konzept dem sensiblen und streßanfälligen Pflegebereich in keiner Weise angemessen sind; inhaltlich, weil die vermittelten Kenntnisse viel zu speziell auf das reine Bedienerwissen des jeweils eingesetzten DV-Systems zugeschnitten sind.

Es entsteht der Eindruck, daß vor allem die Träger der Krankenhäuser und die Industrie die Notwendigkeit einer Qualifikation - als Voraussetzung für den aktiven Umgang mit dein System, für die Fähigkeit, mit ihm als Werkzeug die eigene Arbeit zu gestalten - aus Kostengründen ignoriert werden.

Da die Qualifikation der Nutzer über einen sinnvollen Einsatz der DV entscheidet sind geeignete Methoden zur Vermittlung des erforderlichen Wissens zu entwickeln. Zu diesem Zweck sollten Pflegekräfte, Ärzte, DV-Hersteller und -Anbieter sowie professionelle Pädagogen, die an den einschlägigen Instituten tätig sind, in geeigneter Form kooperieren. Neben der Abstimmung krankenhausexterner und -interner Ausbildungsmaßnahmen müßten inhaltliche Ausbildungsstandards festgelegt werden, die sich zum Beispiel an folgenden Lernzielen orientieren könnten:

- grundlegende Kenntnisse über Organisation der pflegerischen Arbeit,

- ausreichendes DV-technisches Grundlagenwissen,

- Beurteilung des aktuellen Entwicklungsstandes des DV-Einsatzes in der Pflege,

- Beherrschung des praktischen Umgangs mit Terminal/PC und relevanter Software,

- Einschätzung der Auswirkungen des DV-Einsatzes auf den eigenen Arbeitsbereich beziehungsweise die Organisation und auf die Struktur der Pflegearbeit,

- aktive Mitgestaltung und Entscheidungsfindung bei der Einführung von IuK-Systemen,

- sinnvoller Einsatz der DV zur Unterstützung des eigenen Arbeitsfeldes.

Schwierig gestaltet sich die Entwicklung krankenhausinterner Qualifikationsmaßnahmen, da sie den spezifischen organisatorischen und sozialen Bedingungen gerecht werden müssen. Bettenführende Abteilungen arbeiten häufig im Drei-Schicht-Betrieb, so daß eine zeitgleiche Unterrichtung der Beschäftigten nicht möglich ist. Zudem weist das Stationspersonal eine sehr heterogene Altersstruktur auf, und sein Bildungsniveau variiert individuell. Nützlich wäre hier ein ergänzender Einsatz von Lernsoftware auf Computern, die vom Betriebsnetz unabhängig sind und dem Personal - beispielsweise während der ruhigeren Nachtschicht ein zeitunabhängiges, angstfreies und experimentelles Lernen ermöglichen.

Eine besondere Bedeutung kommt der Entwicklung von Ausbildungsmodellen zu, die der gemeinsamen Nutzung der DV-Systeme durch Ärzte und Pflegekräfte Rechnung tragen. Hier wird es darauf ankommen, beiden Berufsgruppen trotz der noch überwiegend hierarchisch organisierten Arbeitsabläufe in den Pflegebereichen ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen, das sie befähigt, kooperativ als "therapeutisches Team" eine ganzheitliche, patientenorientierte, DV-gestützte Pflege und Therapie auszuüben.

Wenn Qualifikationsmodelle adäquat für die krankenhausspezifischen Bedingungen entwickelt und erfolgreich angewendet werden, kann in Zukunft die Implementierung von DV-Systemen auf sozialverträgliche Weise und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Effizienz durchgeführt werden. Weiterhin lassen sich mit Hilfe des fachlichen Know-hows von Pflegekräften und Ärzten die DV-Systeme den spezifischen ergonomischen Anforderungen in Krankenhäusern anpassen. Werden diese Anforderungen erfüllt, so steht einem flächendeckenden Einsatz von DV-Systemen in Krankenhäusern nichts im Wege.

Das derzeitige Marktvolumen für Krankenhaus-Software beträgt etwa 200 Millionen Mark, was einem Aufwand von 1,50 Mark pro Pflegetag und Jahr für die Datenverarbeitung entspricht.

Nach Schätzungen wird sich dieser Betrag bis zum Ende des Jahrtausends für das bisherige Bundesgebiet auf das Drei- bis Vierfache erhöhen.

Diese Zahlen lassen sich jedoch nur erreichen, wenn in Zukunft DV-technisch ausgereifte, benutzerfreundlich gestaltete Softwarelösungen angeboten werden, die den Pflegekräften und Ärzten erlauben, diese als Werkzeug zur Gestaltung und Verbesserung der Pflegearbeit am Patienten aktiv anzuwenden.

Thomas Arnhold, M.A., ist Mitarbeiter des Instituts für Medizinische Informatik und Systemforschung (Medis) bei der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg bei München. Dipl.-Volkswirt Manfred Baumann ist Mitarbeiter der Kölner Prognos AG, Abteilung Gesundheitversorgung.

Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Projektträger des Bundesministers für Forschung und Technologie bereitet im Rahmen des Forschungsförderungsprogramms "Arbeit und Technik" (AuT) einen Arbeitsschwerpunkt "Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei der Pflege und Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten" vor. Unter anderem sollen hierdurch Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen von Krankenhäusern, einschlägige Hard- und Softwarefirmen, wissenschaftlichen Institutionen etc. finanziell unterstützt werden, die einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechniken im Krankenhaus leisten. Mit der Bekanntmachung der Ausschreibung ist voraussichtlich Anfang 1991 zu rechnen. Nähere Information können bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR), Projektträger "Arbeit und Technik", Südstraße 125, 5300 Bonn 2, angefordert werden.