Durchbruch in der Nuklear-Medizin: Datensystem VARICAM als Beispiel für die Zusammenarbeit von Arzt und Rechner

Computer-Hilfe bei Diagnose und Therapie

28.11.1975

Eines der modernen diagnostischen Hilfsmittel der Medizin ist die sogenannte Szintigraphie. Kurz gesagt, wird hierbei dem Patienten in geeigneter Form ein radioaktives Isotop verabreicht, dessen Gamma-Strahlung, ähnlich wie bei einer Röntgenaufnahme, von einer Gamma-Kamera registriert wird. Aus den zeitlichen Intensitätsschwankungen dieser Strahlung und aus der räumlichen Intensitätsverteilung kann der Arzt wichtige Rückschlüsse auf die Art der Erkrankung - beispielsweise einen Tumor oder eine Leberzirrhose - ziehen.

Gamma-Kameras für Szintigramme

Die von den Gamma-Kameras gelieferten "Szintigramme" hat man bisher entweder mit speziellen Polaroid-Kameras aufgenommen oder auch Daten über die Strahlungsintensität ummodifiziert mit konventionellen Computer-Systemen abgespeichert. Dabei liegt die xy-Matrix aber fest. Differenziertere Bearbeitungsmöglichkeiten bietet das auf der Systems 75 in München vorgestellte System VARICAM der Varian Associates, Palo Alto (Varian GmbH, München), das an dieser Stelle als Modellfall einer zeitgemäßen Integration von Computerleistung in den Tagesbetrieb einer Klinik - hier der nuklearmedizinischen Abteilung -besprochen werden soll.

Dialog-System Arzt - Rechner

Das VARICAM-System erlaubt die Automatisierung sämtlicher Betriebsmöglichkeiten bei der Szintigraphie und macht damit auch Hilfspersonal den Umgang mit der Gesamtanlage möglich. Dazu trägt vor allem der leicht er lernbare Dialogverkehr mit dem System bei.

Die Anlage bildet bei der Einspeicherung der Gamma-Aufnahme keine Matrix, sondern nimmt unmittelbar die Rohdaten auf Platte. Zur besseren Ausnutzung des vorhandenen Speicherplatze s sowie gleichzeitig zur besseren Übersicht für den auswertenden Arzt kann schon bei der Daten-Einspeicherung festgelegt werden, daß nur Impulsfrequenzen (Counts pro Sekunde) über einem beliebig festzulegenden Schwellenwert gespeichert werden. Die Registrierung konzentriert sich also auf die relevanten Bereiche des zu untersuchenden Organs die Peripherie, beispielsweise die Adern im Umfeld des Untersuchungsobjekte, fällt weg.

Hohe Auflösung

Das System registriert Daten binnen 4 sec und ist damit schneller als die beste Gamma-Kamera, betont Günther Kuhn, Systemspezialist für medizinische Arbeiten bei Varian. Es liefert mit 256 mal 256 Elementen eine sehr hohe Flächenauflösung und mit 256 Intensitätsstufen auch eine sehr differenzierte Auflösung in z-Richtung. Daneben ist noch ein vierter Eingang mit ebenfalls acht Bit für physiologische Informationen vorhanden.

Mit diesem Eingang hat es folgende Bewandtnis. Führt man beispielsweise eine dynamische Blutstromuntersuchung der Halsschlagader durch, so läßt sich auf Kanal vier der Herzschlag eingeben, und man kann später unmittelbar die szintigraphische Aufnahme mit der Pulsfrequenz in Beziehung setzen Das erleichtert dem Arzt die weitere Auswertung der Meßresultate.

Eine wertvolle diagnostische Hilfe für den Arzt besteht ferner darin, daß mit diesem System mehrere Isotopen gleichzeitig verwendet werden können Dabei wird zunächst von jedem der benutzten Isotope das sogenannte "Power-Spektrum" im Rechner gespeichert und anschließend der Patient vor die Gamma-Kamera gesetzt. Mit Hilfe der gespeicherten Power-Spektren kann das System nun zwischen den beiden Isotopen unterscheiden.

Diese Möglichkeit ist beispielsweise bei der Diagnose von Lebertumoren nützlich. Es gibt nämlich zwar kein Isotop, das sich allein im Tumorgewebe ablagern würde, wohl aber eines, das nur im gesunden Lebergewebe auftritt. Nimmt man dazu ein zweites Isotop, das sich in gesundem wie in krankem Lebergewebe findet, so läßt sich durch Differenzbildung vom Rechner der Ort des Tumors genau bestimmen.

Analyse von Teilaspekten

Will der Arzt sich diesen Ort nun näher ansehen - das gilt für alle Szintigramme, nicht nur für solche Duplex-Aufnahmen -, so kann er auf dem Tektonix-611-Display mit Hilfe der Tastatur den ihn interessierenden Bereich abgrenzen und separat auf den Bildschirm oder auf einen elektrostatischen Statos-33-Printer/Plotter legen. Gleichzeitig können bis zu 16 Interessenbereiche definiert werden - die einander auch überlappen können -, womit der Arzt eingehend diagnostische Teilaspekte studieren kann.

Unwesentliches eliminiert das System

Das System ermöglicht mit dieser Fähigkeit zur Konzentration auf bestimmte Partien der Aufnahmen beispielsweise die Beobachtung, wie die Leber sich mit Blut füllt. Möglich sind aber zum Beispiel auch dynamische Studien am Herzen, etwa die Bestimmung des Herzwirkungsgrades durch den Vergleich kontrahierte und erschlaffte Kammern. Dazu wird die nicht interessierende Herzwand einfach aus dem Interessenbereich ausgeklammert der Arzt vermag sich auf den Inhalt der Herzkammern zu konzentrieren.

Sehr vielfältig sind die Ausgabemöglichkeiten des Systems. Man kann auf monochromem Bildschirm oder auf dem Plotter in gerasterten Grautönen und in "Höhenlinien" die Intensitätsverteilung der Gamma-Strahlung sichtbar machen, auf einem Farb-TV-Schirm lassen sich statt der Grautöne auch verschiedene Farbwerte für die einzelnen Intensitäten definieren, was erheblich zum besseren Erkennen von Strukturen beiträgt. In Farbe sieht mancherlei Arges geradezu grafisch "schön" aus. Die Intensitätskurven lassen sich auch als einfache grafische Darstellungen im Koordinatenkreuz anzeigen oder auf Wunsch als isometrische Abbildungen aus verschiedenen Perspektiven.

Während die vorangegangenen Aufnahmen noch ausgewertet werden laufen bereits die Gamma-Kamera-Aufnahmen am nächsten Patienten. Sieben Programme können gleichzeitig laufen, was die Anlage für Reihenuntersuchungen geeignet macht.

Vorschläge für die Therapie

Doch VARICAM ist nicht nur als Diagnosehilfe brauchbar. Es gibt außerdem, so Kuhn zur Computerwoche, für das System auch ein Therapie-Planungs-Programm, mit dem nach Maßgabe der ärztlichen Behandlungsvorschrift die Bestrahlung gesteuert wird. Durch laufendes Messen der Strahlungsintensität werden dabei Überdosen ausgeschlossen - und damit wird eine Gefahrenquelle minimiert.

* Egon Schmidt ist freier Wissenschaftsjournalist