Computer als Butier nutzen oder: Wie vermeiden wir einen Informatmonsdschungel?

27.11.1987

Professor Dr. Ulrich Lohmar

Vorsitzender der Stiftung für Kommunikationsforschung Forum für Wirtschaft, Wissenschaft und Poltik, Bonn

Information ist ein in den entwickelten Indstriegesellschaften unbegrenzt vorhandener, verfügbarer, veränderbarer und verwertbarer Rohstoff, der in Gestalt von Texten, Daten, Grafiken, Bildern oder Sprachen ökononüsch nutzbar gemacht werden kann, In diesem Produktivitätsfaktor Information liegt ein entscheidender Wachstumsimpuls für die gesamte Weltwirtschaft; diese ist gekennzeichnet durch die Verknüp ung von Energie, Materie und Information.

Die Medienlandschaft - bei uns gliedert sich in vier vertikaleSäulen:

- die Print-Medien (Bücher, Zeitschriften, Zeitungen)"

- elektronische Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik;

- Rundfunk (Fernsehen und Hörfunk);

- neue Medien: Kabel, Bildplatte, Satelliten, Video, Bildschirmtext etc.

Diese vorhandenen Informationsstraßen verbinden die vielfältigen Bausteine der Medienbereiche zu einem neuen Medienbaukasten und erlauben den Aufbau und die Nutzung komplexen und integrierter Netze. Das sind die Nervenstränge der modernen Kommunikationswelt.

Der Medienbaukasten erlaubt, ökonomisch gesehen, die mehrfache oder vielfache Nutzung des gleichen inhaltlichen Angebots auf verschiedenen Wegen und Straßen des neuen Kommunikationsnetzes. Mit der enormen Steigerung der Medien-Verkehrswege hat das inhaltliche und kreative Angebot in den Industriegesenschaften. natürlich nicht in gleichem Maße erweitert werden können. Auch aus diesem Grund ist das Prinzip der Mehrfachnutzung inhaltlicher Angebote unvermeidlich geworden.

Zugleich müssen wir, sozusagen umgekehrt, einen Informationsdschungel vermeiden. Wie ist das möglich?

1. Die eigentliche Leistung des Computers und damit auch der Datenbanken liegt darin, daß sie das Gedächtnis der Menschen entlasten können. Je komplexer die Informationsbasis von Entscheidungen ist, desto mehr sind wir etwa auf Datenbnken angewiesen. Der Computer erlaubt uns, Informationen zu vergessene ohne sie zu verlieren.

2. Der quantitative Unterbau an Informationen vernüttelt uns jedoch keine Antwort auf die Frage, was wir jeweils wollen oder tun könnten. Computersysteme können nur die quantitativen Dimensionen beurteilen helfen, nicht die Qualität und das Ziel von Entscheidungen. Ob dies erreicht werden kann, hängt wiederum von der technischen, sprachlichen und ökonomischen Zugänglichkeit der Computersysteme und dem erforderlichen Zeitaufwand für ihre Nutzung ab.

3. Durch den vermehrten Einsatz von Computern entsteht mit steigender Hierarchie ein wachsender Realitätsverlust. Die komplexe Umwelt großer Organisationen wird auf quantitative Zusammenhänge reduziert. Erst kürzlich wurde darauf hingewiesen, daß der Verlust an Sprachvielfalt um so größer werden wird, je mehr Menschen miteinander auf diese Weise kommunizieren. Der binären Struktur des Computers folgt der g@dankliche Zwang zum Entweder-/Oder.

4. Die bloße Addition vieler Daten bringt uns also der jeweils richtigen Entscheidung nicht näher. Daten allein sind wertlos, wenn sie nicht klaren Zielen oder Bedürfnissen zugeordnet werden, bevor man sie sucht und nutzt.

5. Die Entlastung unseres Gedächtnisses durch den Computer bringt uns zwar ein Mehr an Freiheit, doch darf dies nicht zu einer Einschränkung unserer Wertorientierung und der möglichen Vielfalt von Entscheidungen führen.

6. In unserer wissenschaftlichen Zivilisation geschehen Innovationen fast immer in der Reihenfolge, daß technische oder naturwissenschaftliche Entdeckungen gemacht werden, die Ökonomie solche Möglichkeiten aufgreift, dann gesellschaftliche Organisationen und die Politik und schließlich das Recht und das Ausbildungswesen. In dieser Domino-Reihe liegt beschlossen, daß die technische Machbarkeit vor der Erprobung neuer Organisationsformen und des konkreten Nutzens rangiert.

7. Neue Technik ist zudem am Anfang immer primitiv, wird dann kompliziert und schließlich einfach. Der Durchbruch der Mikroelektronik hat den Weg frei gemacht von der komplizierten Phase der Computer-Anwendung zur einfachen Handhabung.

8. Damit enthält die Mikroelektronik auch die Chance, durch dezentrale Anwendung den Weg von Informationen zum Arbeitsplatz des einzelnen Mitarbeiters zu verkürzen und ihm einen unmittelbaren Zugriff durch den Informationsdschungel auf diejenigen Informationen zu ermöglichen, die er jeweils braucht. Man muß die Funktionsweise des Computers nicht im einzelnen verstehen, um ihn nutzen zu können.

9. Der Computer ist also ein .technischer Butler", nicht weniger, aber auch nicht mehr. Alles, was wir mit gewonnener Erfahrung und Fertigkeit, durch unmittelbare menschliche Kommunikation und gesunden Menschenverstand regeln und entscheiden'können, sollten wir auch weiter so handhaben.

10. Die eigene Urteilskraft kann und soll durch den Computer nicht ersetzt, sondern gestärkt werden. Die Maße und Möglichkeiten des Umgangs mit dem Computer sind in jedem beruflichen und privaten Alltag andere, wenn wir die Vielfalt menschlichen Lebens erhalten und eine binäre Eintönigkeit vermeiden wollen. Der Informationsdschungel kann nicht durch den Computer überwunden werden, sondern nur durch unsere eigene Entschlossenheit, ihn für uns zu nutzen, ihm aber nicht dienstbar zu werden.